Eine pink-weiße Pop-Up-Version von F. Scott Fitzgeralds Roman
Für und mit The Great Gatsby möchte man Englisch gelernt haben, um zu erkennen, dass der Roman nicht zu übersetzen ist. F. Scott Fitzgeralds Buch ist nicht nur unübersetzbar in andere Sprachen, er ist noch mehr unübersetzbar in andere Medien. Das soll nicht heißen, dass man es nicht immer wieder versuchen muss.
Baz Luhrmanns The Great Gatsby ist die vierte Hollywood-Version des Stoffes. Keine ist über eine mehr oder weniger werknahe Illustration hinausgekommen, von einer geschwätzigen Fernsehvariante ganz abgesehen. Mit der bangen Frage, wie die Chemie schauspielerisch und inszenatorisch zu erzeugen sein würde zwischen Tom und Daisy Buchanan und Jay Gatsby, der, wie wir wissen, anders heißt und ein amerikanischer Traum und Albtraum ist. Und welchen Rhythmus die Verfilmung finden würde. Die wohl berühmteste, von Jack Clayton und Francis Ford Coppola mit Robert Redford, Mia Farrow und Bruce Dern, setzte auf eine todessehnsüchtige Verlangsamung; sie stand am Ende der Hippie-Aufbruchsträume und löste eine Mode- und Designmanie aus, die man damals als „Nostalgie-Welle“ medialisierte. Der „Gatsby-Look“ machte die Runde; Robert Redford war schön und unnahbar und doch im Inneren so verletzlich und verletzt durch die Liebe, und Mia Farrow war schön und oberflächlich und litt daran.
Nun also Leonardo DiCaprio und Carey Mulligan, und Baz Luhrmann, der Berserker des Cinema du look, setzt auf Beschleunigung, 3-D-Effekte, Comic- und Musical-Ästhetik; er verfilmt den Gatsby nicht, er lässt uns Partikel des Romans um die Ohren fliegen. An seinem Red Curtain-Filmstil (diesen Begriff wählte Luhrmann selbst einmal) scheiden sich die Geister. Einerseits geht es um die Verbindung von Bühnen- und Filmräumen: Kino als kreisendes und tanzendes Durchmessen radikal künstlicher Räume, die exzessive performative Brechung jeglicher realistischer Filmhandlung, der Schauwert als l‘art pour l’art, eine Design-Attacke am Rand der Obszönität, mehr entfesselte Kamera bei einem überlangen Music-Clip als Spielfilm…
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52 Filmkritiken, geschrieben und veröffentlicht in den Jahren 2010 bis 2013, bieten Einblicke und Ansichten, vermitteln Zusammenhänge und Perspektiven.
Das Thema der Filmkritik ist das Filmesehen. Und Filmesehen ist eine Kunst. Und Georg Seeßlen versteht davon eine ganze Menge. Seine kompetente Übersetzung des audiovisuellen Mediums Film in Sprache ist tiefgründig, vielschichtig und bezieht aktuelle gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen mit ein.
Gehen Sie mit Georg Seeßlen auf eine Reise in die Filmgeschichte. Eine Reise in Zeit und Raum.
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