Im zweiten Teil der „Trilogie des Exils“ geht es, wie Regisseur Angelopoulos selber sagt, um „Exil, Trennung, Suche, den Kollaps der Ideologien und das unablässiger Erproben der Historie“
Man kennt sie, die eigenartigen cineastischen Zeitskulpturen des Theo Angelopoulos, und man kennt ihr Material: die Automobile im Nebel, die Räume der Erinnerung mit den Fenstern mit wehenden Vorhängen, die Fluchtbewegungen von Gruppen heimatloser Menschen, das Kind, das es zu retten gälte, die Plansequenzen mit den malerischen Übergängen, getragene Worte, die niemandem gelten, Fragmente von Geschichte, die Fragmenten von Geschichten begegnen, Schatten der Diktaturen, das seltsame Ineinander sehr konkreter Orte und poetischer nowhereness. Daheim, sagt der Regisseur in diesem Film und so sagt es auch der Regisseur dieses Films, kann ich nur in den Geschichten sein, die ich erzähle. Also nirgends.
Kann man Angelopoulos-Filme noch „kritisieren“? Vielleicht behaupten, dieser Film sei ein wenig sperriger als die vorherigen, die Szenen seien noch mehr Performances, es würde nun noch weniger auf eine „Auflösung“ hinauslaufen. Die autobiografische Komponente sei diesmal besonders ausgeprägt.
Es geht um die Lebenslinien dreier Menschen: Eleni, Jacob, Spyros, die sich lieben, und an ihrer Liebe leiden, die durch die Geschichte getrieben werden, von Griechenland nach Deutschland, nach Kasachstan und nach Sibirien, immer Flucht und ein wenig Hoffnung. Die schmerzliche Odyssee beginnt an dem Abend, als Eleni und Spyros am Fluss miteinander getanzt haben. Dann ist er nach Amerika aufgebrochen, und sie wird verhaftet. Nach der Flucht aus dem Gefängnis meint sie Asyl in der Sowjetunion zu finden, doch auch dort ist sie eine Gefangene. Spyros gelingt es nach drei Jahren, sie zu finden, und zur Zeit von Stalins Tod hoffen sie, das Land verlassen zu können. Stattdessen werden beide verhaftet. Viele Jahre später erst finden sie wieder zusammen, Spyros wird seine Frau verlassen, um wieder mit Eleni zusammen zu sein, und Eleni auch ihren Sohn wiederfinden, der nach Kanada gegangen ist, um der Einberufung und dem Einsatz in Vietnam zu entgehen. Zurück, immer und immer, bleibt Jakob, der deutsche Jude, der Eleni in Exil und Gefangenschaft beistand.
Und da ist der Sohn des Ehepaares, der Filmregisseur, der bei seinen Arbeiten zum Film dieser Geschichte ins Stocken geraten ist, der unter der Trennung von seiner deutschen Frau Helga leidet und dessen Tochter, mit Namen Eleni, in der Großstadt verloren geht. Die Eltern kehren zurück, sie wollen nun endlich in die Heimat, die Geschichte des Films und die des Lebens finden zueinander. Die alte Eleni muss die junge vor dem Selbstmord bewahren, und das kostet sie den Rest ihrer Kraft. Eine anrührende Angelopoulos-Abschiedsszene: Eleni will den Tisch decken, zum Sylvesterabend, zum Anbruch des neuen Jahres und des neuen Jahrhunderts. Sie sieht nur die Abwesenden, die Gegangenen, die Gestorbenen, die Fehlenden; den Anwesenden, ihren Mann, sieht sie nicht mehr. Diese Einstellung korrespondiert direkt mit einer aus dem ersten Teil der Trilogie: Dort erkennt eine andere, oder auch die gleiche Eleni: »Niemand, auf den ich noch mit dem Essen warten kann. Ich habe niemanden mehr.«
Vielleicht ist dies das Kompositionsprinzip von Angelopoulos‘ Filmen überhaupt: Man sieht nur das Verschwundene. Die Anwesenheit der Menschen in ihrer Geschichte sieht man nicht. So kommen die Filme nie an, seine Menschen sind wahrhaft nur Wanderschauspieler ihres eigenen Leben. Das ist, gewiss, in seiner tieftraurigen Art auch sehr schön, nicht nur in der Komposition selber, das endlos Gleiche, das immer wieder neu wird, sondern auch als Erfahrung: Niemand (auf beiden Seiten der Leinwand) verliert oder vertreibt Zeit in einem Angelopoulos-Film, der Staub der Zeit ist das Leben selbst. Aber eben dies hat auch eine Dimension des Unmenschlichen. Angelopoulos‘ Menschenwesen leiden unter einer Regie, die sie nicht versteht.
Es ist nicht so, dass Angelopoulos‘ Filme unpolitisch geworden wären, oder gar antipolitisch, wie man hier und dort hört. Sie sind vielmehr problematisch in ihrer politischen Philosophie von der ewigen Wiederkehr. Aber ist es nicht das Vorrecht der Künstler, zu sehen, ohne nach Erkenntnis und Tat zu fragen? „Wir sind dazu verdammt, mit unseren Obsessionen zu arbeiten. Wir machen immer denselben Film, wir schreiben immer dasselbe Buch, Variationen und Fugen desselben Themas“ (Angelopoulos). So ist man, wieder einmal, daheim im wiederkehrenden Angelopoulos-Film der Heimatlosigkeit.
Autor: Georg Seeßlen
Text: veröffentlicht in epd Film 11/2009
Bild: NFP (Filmwelt)
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