Die Guten, die Bösen und die Hässlichen

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Ein großer Sieg: Quentin Tarantinos verwegener Weltkriegs-Western

Auf den ersten Blick ist wieder mal alles ganz einfach: Quentin Tarantino hat „Inglourious Basterds“, seine Fantasie über den Zweiten Weltkrieg, nach Mustern des Italowestern gedreht. Da gibt es die Guten: redliche Bauern und die Jüdin Shosanna, die als einzige das Massaker der Nazis an ihrer Familie überlebt hat, im besetzten Frankreich. Unter falscher Identität betreibt sie nun ein Kino in Paris und kommt mit „deutschen Nächten“ den Auflagen der Besatzer nach. Und es gibt Shosannas Freund Marcel, der als „Neger“ selbst in höchster Gefahr ist, der rassistischen Gewalt der Deutschen zum Opfer zu fallen.

Und dann gibt es in diesem Film natürlich die Bösen, angefangen bei Hitler und Goebbels: Das sind keine Dämonen oder Clowns, sondern bemerkenswert triviale Sackgesichter – man kann sich fragen, wer die denn an die Macht gebracht hat. Zu den Bösen gehört indes auch so jemand wie der „Judenjäger“ Hans Landa, dem die Menschenjagd ebenso großes Vergnügen bereitet wie ein Stück Apfelstrudel. Landa ist ein weltgewandter Schurke, der in seiner Kultiviertheit nicht recht ins Bild der hackenschlagenden Leinwand-Nazis passt. Zu Hitler und Goebbels passt eher jener Soldat, der mit den Kameraden eigentlich nur die Geburt seines Kindes feiern möchte und dann doch stirbt für Führer und Vaterland. – Außerdem gibt es noch die Hässlichen in „Inglourious Basterds“: eine Gruppe jüdisch-amerikanischer Soldaten, Emigranten und Deserteure, die hinter der Front nach Indianer-Art Jagd auf Nazis machen: überfallen, töten, skalpieren. Man nennt sie nicht zufällig „Basterds“.

Jagd auf Nazi-Skalps

Die Guten, die Bösen und die Hässlichen sind bei Tarantino miteinander durch die „Operation Kino“ verbunden. Ihr Ziel lautet: Hitler, Goebbels, Göring töten, also die gesamte Führungsriege des „Dritten Reichs“ mit einem Schlag vernichten – und damit erreichen, was der „Operation Walküre“ nicht gelang: den Krieg beenden und damit viele Menschenleben retten. Zwischen den Guten, den Bösen und den Hässlichen bewegen sich noch ein paar Figuren, die nicht ohne weiteres zugeordnet werden können: etwa ein junger deutscher Soldat, der als Scharfschütze unzählige Russen von einem Kirchturm aus erschossen hat. Von seinen fragwürdigen Heldentaten erzählt wiederum ein Film im Film: „Stolz der Nation“ soll seine Uraufführung in Shosannas Kino erleben, vor versammelter Nazi-Prominenz. Was für eine Gelegenheit: Ein britischer Offizier, Filmkritiker im Zivilberuf, soll die „Basterds“ zum Attentat führen; eine Ufa-Filmdiva arbeitet als Agentin für die Alliierten.

Quentin Tarantinos Kunst besteht darin, dass er nicht nur all diese Bälle in der Luft hält, sondern sich dabei auch noch ein paar Mal gekonnt um die eigene Achse dreht. Dass die „Operation Kino“ am Ende ungeachtet der historischen Faktenlage gelingt, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Tarantino hat es ohnehin nicht als Überraschungscoup, sondern als lakonisches Statement inszeniert: Das Kino bezwingt bei ihm die grauenhafte historische Wirklichkeit. Den Opfern der Nazis wird aber nicht nur ein heroisches Bild der Gegenaktion gegeben – im, wie es Tarantinos Mitstreiter Eli Roth nennt, „koscheren Porn“ der Rachefantasie darf auch die Tabugrenze von Hass und Gewalt überschritten werden. Widerstandsträume werden wahr. Wäre nicht jeder Filmkritiker gern ein Untergrundheld?! Wäre nicht die Diva des Dritten Reichs, die ihr Leben für den Kampf gegen die Tyrannei eingesetzt hätte, eine wundervolle Entlastungsfantasie (besser jedenfalls als seltsame Gerüchte um Kontakte Zarah Leanders zum russischen Geheimdienst)?! Und wäre es nicht großartig, wenn man die Nazi-Herrschaft durch eine Handvoll B-Film-Helden, eine Mischung aus Hinterhof-Gang und Boyscouts, hätte erledigen können?! „Inglourious Basterds“ ist ein Feelgood-Movie für all jene, die schon immer ihre Schwierigkeiten damit hatten, historisches Wissen und moralische Haltung mit den guilty pleasures der Pop-Kultur zu verbinden. Das ist eine ganze Menge, und Tarantino ist es nicht genug.

In „Inglourious Basterds“ haben alle Figuren irgendetwas mit dem Kino zu tun. Sie sind Kinobetreiber, Filmvorführer, Schauspieler, Kritiker, Produzenten, Publikum; sie geben sich als Kameraleute aus, spielen Star-Rollen, verwandeln sich durch Kostüme und Schminke in ihre Vor-Bilder. Sie übernehmen Filmdialoge, unterhalten sich über Filme, spielen Film-Ratespiele. Da ist Tarantino, das lebende Filmmuseum, der Weltmeister cineastischer Wundertüten, natürlich in seinem Element. Vor allem aber macht er deutlich, worum es hier geht: um einen Krieg der Bilder.

Dass Tarantino für seine Kriegsfantasie den Spaghetti-Western à la Sergio Leone als Muster gewählt hat, erweist sich nicht nur auf der formalen Ebene als genialer Schachzug. Der klassische Western war ja der Gründungsmythos einer Gesellschaft, die Ordnung und individuelle Freiheit ganz buchstäblich unter einen Hut bringen wollte. Die US-amerikanische Kriegserzählung setzte den Western-Mythos im Kino und anderswo fort – und das nicht nur, indem Westernhelden wie John Wayne zu fiktiven Kriegshelden wurden und echte Kriegshelden wie Audie Murphy zu Westernhelden. Im US-Kriegsfilm bezwang der individualistische amerikanische Freiheitskämpfer seinen deutschen Gegner, der zur mechanischen Bestie geworden war, und brachte der Welt Freiheit und Demokratie. Doch dieser Held hatte immer einen zweiten Kampf zu bestehen, oft gegen die eigenen Vorgesetzten: nämlich den Kampf um seine Individualität. Noch Steven Spielbergs „Saving Private Ryan“ und Terrence Malicks „Thin Red Line“ handeln auch von der Suche nach dem verlorenen Subjekt in den Zeiten des Krieges.

Der Italowestern dekonstruierte dann den Mythos des amerikanischen Western: Die Verwandlung von Wildnis in Heimat ist gescheitert, der Kampf der Guten gegen die Bösen ebenso. Nun können nur noch die Hässlichen für einen Rest von Ausgleich sorgen. Ihr erstes Motiv: Sie wollen was von der Beute. Das zweite: Rache. Im Italowestern hat sich das Subjekt von der Geschichte getrennt: Der Held gewinnt seine Kämpfe, weil der Krieg um die Zivilisation schon verloren ist. Wo es kein gesellschaftliches Projekt mehr gibt, hilft nur die Radikalität des Subjekts.

Die Lektionen des Italowestern wurden in diversen Filmgenres angewandt, nicht zuletzt im Kriegsfilm: In den 1960ern wurde dieser „schmutzig“, er erzählte von Männern, denen Freiheit und Demokratie ebenso egal sind wie die Leiden der Nazi-Opfer. Unverblümt vermittelt das Robert Aldrichs „Das dreckige Dutzend“: Der Krieg ist eine Sache für Verbrecher, Psychopathen und egomane Outlaws. Die Erzählung vom großen Krieg in der populären Kultur teilte sich: Die „guten“ Filme suchten innerhalb des historischen Materials nach Episoden der Menschlichkeit, Erklärungen und Hoffnung. Die „schlechten“ Filme wollten nicht mehr moralisch und letztlich auch nicht mehr historisch sein; sie machten aus dem Krieg ein gewaltiges nihilistisches Männervergnügen und glaubten weder an strategische Frontverläufe noch an die Grenzen zwischen Vernunft und Wahnsinn.

Wer weiß, welche Art von Film dem wahren Geschehen, im inneren wie im äußeren, gerechter wurde. Der dritte Trick von Quentin Tarantino, nach seinem Sieg über die Geschichte und dem Sieg seiner „schmutzigen“ Helden über die Nazis, ist jedenfalls höchst überraschend: Es ist der Sieg der subjektiven Moral über den Nihilismus des Krieges. Tarantino nimmt Figuren aus dem Zusammenhang der cineastischen Barbarei und füllt sie wieder mit Emotion, Bewusstsein, Reflexion. Das tut er natürlich weder im Sinne historischer Aufklärung noch in dem des psychologischen Realismus. Tarantino bietet Kino-Abbilder, denen man auf der Leinwand beim Nachdenken darüber zusehen kann, was sie über Faschismus und Krieg zu sagen hätten.

Opfert das Kino

Und da gibt es überraschende Ergebnisse – etwa dass das Kino geopfert werden muss, um die Tyrannen zu vernichten, die die Welt zu ihrem eigenen bösen Film gemacht haben. Oder das: In dem Film in Tarantinos Film sieht man den jungen Scharfschützen, wie er Russen abknallt, und man sieht Hitler, der jeden Todesschuss mit kindisch-sadistischem Lachen begleitet. Ein paar Einstellungen später stehen zwei der Basterds in einer ganz ähnlichen Position auf der Balustrade von Shosannas Kino und schießen Nazis ab. Und jetzt sitzen wir im Kinosaal, und beinahe hätten wir genau so triumphierend gelacht wie dieses Monster mit dem Bürstenbart. Tarantinos Film dreht eben nicht einfach nur alles um und befreit uns damit aus der Falle zwischen Betroffenheit und Zynismus – „Inglourious Basterds“ ist komplizierter. Und besser.

Autor: Georg Seeßlen

Text: veröffentlicht in Berliner Zeitung, 15.08. 2009

Bild: Universal Pictures

 

 

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Quentin Tarantino gegen die Nazis

Alles über „Inglourious Basterds“

Bertz + Fischer Verlag

176 S., 9,90 €