In Connie Walthers Film, zu Unrecht in den Schatten von „Baader Meinhof Komplex“ geraten, wird ein fiktives RAF-Mitglied nach Jahren aus der Haft entlassen und von den alten Verstrickungen eingeholt
Es gibt Ereignisse in der Geschichte, die sperren sich nicht nur gegen das, was man landläufig „Verstehen“ nennt, sondern auch gegen die Erzählung. Mittlerweile haben wir eine Geschichte der RAF-Filme, vom filmischen Anti-Bildungsroman bis zum Trash Movie, und alle haben uns eher noch ratloser hinterlassen. Das Triviale steht direkt dem Epochalen gegenüber. Das eine betonen, heißt immer das andere übersehen. Aber in welchem Bild könnte ich ausdrücken, wie etwas trivial und epochal zugleich ist, politisch wie psychologisch? Das Nicht-zu-Ende-Verstehen und Nicht-zu-Ende-Erzählen wird daher Teil der Erzählung, das war der Trick der Moderne. Da sie uns aber zu anstrengend geworden ist, haben wir uns an eine „Komplexreduzierung“ gewöhnt, deren vorläufiger Höhepunkt, was die Geschichte und das Wesen der „Roten Armee Fraktion“ anbelangt, Eichinger-Edels Der Baader Meinhof Komplex ist.
Wie vereinfachen, ohne zu lügen, das ist die Frage. Vielleicht ist es daher ein Glücksfall, dass nun ein Film folgt, der in so ziemlich allen Belangen eine gegenteilige Position einnimmt: Ein kleiner Film, der seine Personen nicht mit Action und Glamour verschüttet, ein Film, der den Fall der RAF nicht schließen, sondern die Erinnerung wieder öffnen will. Die Geschichte, die Connie Walter in ihrem zweiten Spielfilm erzählt, hat dabei einen großen Vorteil. Sie spielt hier und jetzt und kann damit vielleicht schon eine ganze Dimension der falschen Bilder vermeiden.
Nach 22 Jahren Haft wird Widmer (Ulrich Noethen) entlassen, er ist Mitglied der „zweiten Generation“ der RAF und war beteiligt an einem schiefgegangenen Unternehmen, bei dem der Bankpräsident, der eigentlich entführt werden sollte, ums Leben kam und mit ihm einer seiner Angestellten. Die genauen Umstände wurden nie geklärt; alle anderen Beteiligten sind mittlerweile tot, außer Marita (Eva Mattes), Widmers damaliger Lebensgefährtin. Sie verdankt ihre Freiheit dem Umstand, dass sie sich als Kronzeugin zur Verfügung gestellt hat und Widmer belastete. Mit Hilfe seiner Anwältin Ellen (Tatja Seibt) bekommt Widmer eine Wohnung in einem trostlosen Mietshaus, und wie jeder Langzeithäftling hat auch er Schwierigkeiten, sich wieder in den Alltag einzufinden. Die Wohnung daneben bewohnt Valerie (Franziska Petri), die ebenfalls von der Anwältin vertreten wird. Man hat ihr das Sorgerecht für ihren achtjährigen Sohn entzogen. Valerie ist die Tochter des Gärtners, der damals bei dem Überfall erschossen wurde. Der Plot führt nun die beiden auf eine verzweifelte Bewegung zwischen den Fronten, Zeiten und Erklärungen, miteinander, gegeneinander und wieder miteinander. Am Ende wissen wir sogar die Wahrheit über die Geschehnisse von damals. Nutzen tut sie nicht viel.
Nichts soll vom Kern dieser Tragödie ablenken. Die Fotografie in ausgebleichten, fast schon verschwindenden Farben, reduzierte Dialoge, in denen weder Pathos noch Alltagsredundanz Platz haben, und eine Regie, die auf alle Schnörkel und Doppeldeutigkeiten verzichtet, aber den Figuren Zeit und Atem lässt. Das Kapital des Films sind Schauspieler, die mit großer Präzision in einem bewusst beschränkten Gesten-Repertoire arbeiten. Alles ist ernst, kompromisslos und einfach. Und man ahnt es schon bald: Die Stärken dieses Films sind auch seine Schwächen. Denn mit alledem liefert er sich gewissermaßen seinen Figuren aus. Er glaubt ihnen bedingungslos. Und weil er die Zuschauer dazu bringt, Zusammenhänge erst zu erkennen, nachdem man längst Sympathie, Mitleid und Zärtlichkeit verteilt hat, macht er uns zu Komplizen. Wir retten die Menschen vor ihrer Geschichte, das heißt, wir würden es gern.
Das Drehbuch stammt von Peter-Jürgen Boock. Das ist nicht nur ein ehemaliges RAF-Mitglied, sondern vielmehr Prototyp des „unzuverlässigen Erzählers“; einen „Karl May der RAF“ hat man ihn sogar genannt. Dass ein ehemaliges Mitglied der RAF am Drehbuch eines RAF-Filmes mitarbeitet, ist prinzipiell keineswegs skandalös, sondern im Gegenteil notwendiger Teil der Arbeit an Trauer und Versöhnung. Dass da auch so etwas wie eine magische Autobiografie entsteht, ist so logisch wie, dass es dabei Grenzen der analytischen Distanz gibt.
Ganz zweifellos ist Schattenwelt im Vergleich zu Eichingers und Edels zwanzig Mal so teurem Baader-Meinhof-Komplex der interessantere Film. Aber vielleicht tut ihm nicht einmal ein solcher Vergleich gut. Die beiden Filme haben einfach so gut wie nichts miteinander zu tun.
Autor: Georg Seeßlen
Text: veröffentlicht in epd Film 6/2009
Bild/Trailer: Salzgeber
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