Verschwörung und Gegenverschwörung
Zur Retrospektive der Filme von Fritz Lang in Berlin
Fritz Lang, mag sein, gehört nicht nur zu den bedeutendsten, sondern auch zu den am besten beschriebenen, am vollständigsten dokumentierten und, das ist genau so wichtig, zu den sichtbarsten deutschen Filmregisseuren. Vorbildliche Restaurationsarbeit ist da geleistet worden, und die Kommunalen Kinos haben sich wohl in ihren filmhistorischen Reihen um kaum einen anderen Cineasten so verdient gemacht. Die Fritz-Lang-Retrospektive im Rahmen der diesjährigen Berlinale mag daher ein bisschen gar zu todsicher und, sollte sie für das „neue“ Berlin und seine Kultur irgendwo programmatisch gemeint sein, sogar ziemlich ärgerlich erscheinen. Denn was immer man von Fritz Lang sagen kann – dem Geist von Widerspruch, Revolte und Aufklärung lässt sich dieser Filmemacher nur über ein paar Demaskierungen einschreiben. Vor den ideologischen Lesarten seiner Filme ist Fritz Lang immer mal wieder selbst erschrocken. „Ein Filmregisseur muss etwas Universelles sein, das heißt er muss von jeder Kunst das Stärkste haben: Vom Maler den Blick für das Bildmäßige, vom Bildhauer die Bewusstheit der Linie, vom Musiker den Rhythmus, vom Dichter die Konzentration der Idee. Er braucht daneben aber etwas, das sein eigenstes Können ist: Tempo! Tempo heißt nicht Rasen, nicht sinnlos überstürzte Hast. Tempo heißt Raffen, Straffen, Steigern, Hochreißen und Zum Gipfel führen.“.
So hat der deutsche Regisseur seine Kunst beschrieben, kurz bevor er Hitler-Deutschland verließ – wir kennen die Anekdote um die nächtliche Flucht nach Frankreich, nachdem Goebbels Fritz Lang das höchste Amt der deutschen Filmproduktion angeboten hatte -, um schließlich in Hollywood seine Arbeit erfolgreicher als die meisten anderen Emigranten fortzusetzen. Tatsächlich dürfte kein anderer Regisseur ein solches Modell für die Akkumulation der künstlerischen Techniken im Zeichen der ästhetisch-technischen Moderne gegeben haben. Fritz Lang war ein Bürgerkind. Und zur Bürgerkarriere gehörte auch der dramatische Bruch mit dem Elternhaus, gehören Jahre der Bohème und abenteuerliche Reisen. 1913 übersiedelte er nach Paris, wo er sein nicht allzu üppiges Leben als Maler und, nach eigenen Erzählungen, als Conferencier und Kunstschütze in einem Zirkus verdiente. Im ersten Weltkrieg verwundet, setzte er noch im Hospital seine Kunststudien fort und begann Filmmanuskripte zu schreiben.
Sein erster großer Erfolg wurde 1919 der Thriller Die Spinnen, eine abenteuerliche Mischung aus Melodrama, Krimi und Science Fiction: Eine Bande von Superverbrechern unter Führung einer schönen Frau strebt nach der Weltherrschaft, was ein tatkräftiger amerikanischer Sportler indes zu verhindern weiß. Das wird ein Markenzeichen der Fritz-Lang-Filme bleiben: Eine Welt, die durchzogen ist von Verschwörungen und Gegenverschwörungen, Architekturen, die auf geheimnisvolle Art leben. Mit dem zweiteiligen Dr. Mabuse (1922) gelang ihm dann die cineastische Zeichnung eines neuen Typus von Bösewicht, ein Grund-Bild der Verschwörung, das in seiner Radikalität auch vom an Verschwörern so reichen amerikanischen Genrefilm nicht überboten wurde. „Dieser Dr. Mabuse ist so etwas wie eine Idealgestalt unserer Tage“, schrieb Der Kinematograph im Jahr 1922. „Es ist kein Zufall, dass er Doktor ist, er hat alle Geisteskräfte seiner akademischen Bildung in den Dienst seiner gewaltigen Pläne gestellt. Er will nicht etwa nur große Schätze sammeln, ihm schwebt vielmehr als höchstes Ziel die geistige Herrschaft über die Menschheit vor.“ Mit anderen Worten: Dieser Mabuse ist der Verbrecher, der direkt aus der bürgerlichen „Mitte“ der Gesellschaft kommt, nicht mehr der barbarische Prolet und nicht mehr der dekadente Adelige, auch nicht der „Fremde“. Der Bürger selbst radikalisiert und psychotisiert seine Macht. War das eine populäre Variation des Nietzscheschen Übermenschen, der Ausdruck der Gesetzlosigkeit in der Weimarer Republik, eine Vorahnung des Faschismus, oder doch nur ein Stück Kolportage?
Diesem schönen Durcheinander jedenfalls setzte Lang im Anschluss seine Version des Nationalepos entgegen, Die Nibelungen (1922/24), die nicht nur als Meisterwerk, sondern vor allem als nationales Meisterwerk gefeiert wurden. Aber um zu dem nationalsozialistischen Erbauungsstück zu werden, als das der Film dann durch die Historie geistert, mussten doch gewaltige Eingriffe unternommen werden. 1933, nachdem Fritz Lang das Land schon verlassen hatte, wurde der erste Teil Siegfried, um ein Viertel gekürzt, mit Wagner-Musik und einem schauderhaften Kommentar unterlegt und kam so als Siegfrieds Tod in die Kinos. Der zweite Teil, Kriemhilds Rache, wurde gleich ganz unterschlagen (er kam erst nach dem Krieg in einer um die Hälfte gekürzten, vertonten Fassung heraus). 1986 erstellte Enno Patalas in München eine so gut als möglich werkgetreue Restauration – und tatsächlich bleiben von den ideologischen Codes nur die Klischees vom „blonden Recken“ und vom hunnischen Untermenschen. Nur? Siegfried Kracauer bemerkte, wie viel die Veranstalter des Nürnberger Parteitages der NSDAP von Langs Film gelernt hatten: „Die theatralischen Trompetenbläser und pomphaften Treppenaufgänge aus dem Siegfried-Film wie seine zu dekorativen Versatzstücken herabgewürdigten Menschheit – sie alle tauchten im Nürnberger Maskenzug wieder auf“ heißt es in Von Caligari bis Hitler. Nur darf man von einer solchen Imitation nicht unbedingt auf den Gehalt des Originals schließen. Frieda Grafe hat wohl zu recht darauf hingewiesen: „Nicht der aufkommende, menschenverachtende Faschismus ist der gemeinsame Nenner etwa mit der Lichtarchitektur, die Albert Speer für Hitlers Nürnberger Parteiauftrieb entfaltete. Es ist die allgemeine Krise der Dimensionen, der Wahrnehmung und der Bilder, die der Architekt Lang reflektiert, wenn die alles durchdringenden Lichtlinien die starren, geometrischen Formen auflösen“. Filme wie Die Nibelungen, Metropolis und, ganz anders, Dr. Mabuse oder die Verschwörungs-Variation Spione (1927) stellen sich also die cineastische Frage nach dem öffentlichen Raum, seiner Architektur, dem Arrangement der Menschen darin.
Die Motorisierung, die Verstädterung, schließlich das Kino selbst hatte die bürgerliche Form der „Erhabenheit“ des Raums ad absurdum geführt. Lang trieb diese Absurdität voran. So erzählen seine Filme zugleich von der „Errettung“ und der Zerstörung des bürgerlichen Kunst-Raumes. Nach der Vergangenheit kam die Zukunft, und die durfte bei Fritz Lang nicht weniger grandios ausfallen: Metropolis wurde der teuerste Film der Geschichte des deutschen Stummfilms, man sprach von fünf Millionen Reichsmark. Als politisches Gleichnis hat dieser Film viele Deutungen erfahren, von denen die wenigsten besonders schmeichelhaft für den Regisseur ausgefallen sind. Lang ging es nach eigenem Bekunden um die Möglichkeit, seine formalen Vorstellungen zu realisieren. Er zeigt sich besessen vom Raum, besessen vom Ornament, und so nimmt es nicht wunder, dass er auch aus Menschenmassen ein Ornament herstellt, wie das die Faschisten später zum ästhetischen Programm erhoben. „Eine Mischung aus Wagner und Krupp“ nannte Siegfried Kracauer das und bezeugte wohl nicht zu Unrecht „filmisch eine unvergleichliche Leistung, menschlich ein schockierendes Versagen.“ In Das Testament des Dr. Mabuse sah Lang 1932 dann tatsächlich so etwas wie eine indirekte Kritik an den Nazis und ihrem „Führer“ Adolf Hitler. Der Film wurde denn auch, kurz nachdem Fritz Lang das Land verlassen hatte, von Goebbels verboten.
Auf den ersten Blick scheint es, dass Fritz Lang, wie sonst nur noch Alfred Hitchcock lernte, Hollywood für sich arbeiten zu lassen, ohne dem System zum Opfer zu fallen. Aber glücklich ist Lang dabei nicht geworden. Seine Filme wurden grimmig, gelegentlich bis zur Bösartigkeit. Er zeige Menschen, hat der Regisseur in Hollywood lapidar erklärt, im Kampf mit dem Schicksal. Dieses Schicksal ist eine soziale Maschine, die unentwegt Beziehungsfallen, und hier eine besondere Ausprägung davon: Loyalitätskonflikte, produziert. Wo es Gesellschaft gibt, kann sich der Mensch nicht richtig entscheiden. Fritz Lang kritisiert nicht diese oder jene Gesellschaft, er kritisiert Gesellschaft schlechthin als die absurdeste Form des Menschseins. So werden seine amerikanischen Filme auf andere Weise missverständlich als seine deutschen. Wenn man diese als prekären Diskurs zum Faschismus gesehen hat, so müssen jene als post-expressionistische Revolten gegen Vergangenheit und Gegenwart des weißen angelsächsischen puritanischen Kapitalismus erscheinen. Der radikale Bruch des einzelnen Menschen mit seiner Gesellschaft ist nicht aufzuhalten, zum Schuldigen wird er so oder so. Das ist das Langsche Schicksal. Fritz Lang hat wohl nie ein positives Gesellschafts- und Menschenbild besessen.
Kaum hatte er in Hollywood begonnen, Filme zu drehen, da zeigte er auch schon seine neue Gesellschaft als Zusammenhang von Korruption und Hysterie. Provinzspießer, die sofort bereit sind, einen Menschen zu lynchen wie in Fury, steigerten sich zu endlosen Ketten von Korruption und Gewalt wie in The Big Heat, wo der Leiter der Stadtverwaltung zugleich der Boss einer Gangster-Organisation ist und die Frau des Polizisten, den er ermorden lässt, zuerst einmal einen Erpressungsversuch startet. Kein Wunder, dass auch der Polizist auf jede Legalität und jedes Maß pfeift und am Ende fast so schlimm ist wie der Verbrecher, den er jagt. Das expressionistische, mythische und wohl auch ideologische Motiv vom Doppelgänger, das den frühen deutschen Film so beherrschte, wurde bei Fritz Lang von einem gotisch-romantischen in einen modernen Zusammenhang verschoben. Ein Oben und Unten gibt es in seinen Filmen nur als Ausdruck ökonomischer Macht, wobei die „Unterwelt“ nichts anderes ist als ein grotesker Spiegel der Oberwelt und umgekehrt. Hitchcock hat ganz ähnliche Probleme in einem ganz anderen Ton behandelt. Der Unterschied zwischen Langs You Only Live Once und dem ähnlich düsteren The Wrong Man liegt in der Perspektive. Hitchcock sieht hinein in das, was die willkürlichen Konstruktionen von Schuld oder Unschuld in den Seelen anrichtet, dagegen interessiert sich Lang für die Strukturen. Das erscheint auf den ersten Blick „kälter“, der Hitchcock-Held ist mehr Subjekt und Gefühl. Was möglicherweise das Thema von Fritz Langs Filmen ist – die Wege des Menschen in einem Universum der Unsicherheit, ohne göttlichen Beistand, ohne den Trost von Heimat und Familie, ohne gesellschaftliches Projekt für Tugend oder Freiheit – das wird uns auch als Methode oft zum Verhängnis. Fritz Lang, so Henry Agel, „bewegt seine Schauspieler wie Figuren auf einem riesigen Schachbrett“. Und „unerbittlich“ nennt ihn Truffaut, „jede Einstellung, jede Kamerabewegung, jeder Ausschnitt, jede Bewegung eines Schauspielers, jede Geste ist entschieden und unnachahmlich.“ Die „höchste und anspruchsvollste Konzeption einer mise en scène“, erkennt Eric Rohmer. Das sind immer Komplimente, die neben der Bewunderung auch ein wenig Grauen erkennen lassen.
Aus der amerikanischen Traumfabrik verabschiedete sich Lang mit dem denkbar bösesten Film: Beyond a Reasonable Doubt (Jenseits allen Zweifels – 1956), in grauer Tristesse, ist ein „beängstigend hinterhältiges Meisterwerk“ (Jacques Rivette), das eigentlich von nichts anderem erzählt als davon, dass es das Gute in der Welt nicht gibt, schon gar nicht dort, wo wir es im Kino zu vermuten gelernt haben. Dieser scheinbare Fatalismus schlägt zunächst einmal gegen jeden, der „an etwas glauben“ möchte, und so flüchten sich in der Regel die Bewunderer von Fritz Lang vom „Inhalt“ in die „Form“. Das führt zu nichts. Wenn man sehen will, wie schön die Filme von Fritz Lang sind, muss man akzeptieren, wie böse sie sind.
In den letzten Jahren seines Lebens war Fritz Lang beinahe blind. Und trotzdem träumte er in seinem Haus in Beverly Hills immer vom nächsten Film. Er sollte Tod einer Karrierefrau heißen und von einer französischen Résistance-Kämpferin handeln, die sich aus ehrenwerten Motiven mit einem Nazi-Offizier einlässt, aber dafür bitter bestraft wird und als Prostituierte in Rom endet. Was für ein Fritz Lang-Stoff! Am 2. August 1976, hoffentlich über der Endfassung seines Buches, ist Fritz Lang gestorben.
Autor: Georg Seesslen
Text geschrieben 2001
Text veröffentlicht in Freitag 06/2001, 02.02.2001
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