Falsche Harmonien
Joseph Vilsmaiers Film geht den Untiefen seines Gegenstands aus dem Weg
Joseph Vilsmaier gehört zu denjenigen unter meinen bayerischen Landsleuten, an denen das Barock offenkundig spurlos vorbeigegangen ist. Ich meine damit natürlich nicht die orale Maßlosigkeit stiernackiger Politiker, die man sich „barock“ zu nennen angewöhnt hat (statt verfressen und brutal), sondern eines der schönsten Kapitel in der Geschichte der Wahrnehmung. Was das Kino ist, kann man lernen, wenn man in einer bayerischen Barockkirche sitzt, berauscht von Weihrauch und Orgelklängen, und den Blick in alle Himmels- und Höllenrichtungen auf Erkundungen schickt.
Nichts davon bei Vilsmaier. Sein Kamerablick ist so starr auf die Erde, die horizontale und zentralperspektivische Organisation der Welt gerichtet, als wäre jeder Blick auf etwas anderes als das Naheliegende eine unverzeihliche Sünde. In seinen sorgfältig, aber ohne einen Funken von Neugier und Vision komponierten Bildern, seinen planen Erzählungen, in denen nie etwas anderes geschehen kann, als daß auf den ersten der zweite und auf diesen der dritte Schritt folgt, ist er zum Vertreter eines Kinos der Offensichtlichkeit geworden, das in jedem einzelnen Bild seine Verweigerung gegenüber der filmischen Moderne ausdrückt.
Man kann das gehobenen Kitsch nennen und ihm einen durchaus respektablen Platz in unserer Filmkultur einräumen. Nur hat fatalerweise Joseph Vilsmaier ein Lieblingsthema, genauer gesagt: eine Lieblingszeit, bei der die Anwendung seiner Ästhetik notgedrungen in politische Fahrlässigkeit umschlägt.
Vilsmaier träumt am liebsten von den dreißiger und vierziger Jahren in den Objekten, den Gesichtern, den Tempi dieser Jahre haben seine Filme Heimat genommen. Aber es ist die Zeit, in der der deutsche Faschismus sich formte, zur Geschichte und Zeit selber wurde. Kein Bild, schon gar kein Heimat-Bild konnte das überleben.
Joseph Vilsmaier dagegen will sich die Sehnsucht für diese Zeit nicht nehmen lassen. So macht er sich die Nazis zu den Bösen, die in seine schönen Bilder hereinbrechen, als wären es von irgendwoher gekommene Invasoren. Sie unterbrechen Liebesgeschichten, Karrieren, traute Kompositionen von ländlichem Idyll und maßvoller Modernisierung. Die Menschen waren gut, nur die Leute haben es halt mit den Nazis gehalten.
Um an jenen Punkt zu gelangen, wo aus der Zeit die Nicht-Zeit, aus der Widersprüchlichkeit einer bürgerlichen die inszenierte Eindeutigkeit der faschistischen Gesellschaft wurde, wäre die Geschichte der Comedian Harmonists weiß Gott ein ideales Sujet. Der Aufstieg der Gesangsgruppe, die amerikanischen Swing mit deutschen Volksliedern, frivole Albereien mit einer durchaus revolutionären Technik des Arrangements verband, führte ganz unterschiedliche Charaktere und Biographien zueinander, den Widerborstigen und den Angepassten, und endete schließlich mit dem Zerbrechen der Gruppe in einen „arischen“ Teil, der in Nazideutschland weitermachte, und einen „nichtarischen“, der ins Exil ging. Eberhard Fechner hat über die Comedian Harmonists einen langen, sehr genauen Dokumentarfilm gedreht, der die Widersprüche nicht zu lösen, die Risse in der Erinnerung und der Mythologie nicht zu glätten versuchte. Es tat auch weh, diesen Film zu sehen, weil er zugleich von einem musikalischen Wunder erzählen musste und von Lüge, Verrat und Verzweiflung.
Was hätte nun ein Spielfilm alles zu erzählen! Er könnte die Stimmung der Stadt Berlin in jenen Jahren zu rekonstruieren versuchen, aufspüren, wo sich im Kleinen und im Großen, ja vielleicht im Erfolg der Comedian Harmonists selber die Krise, die Hoffnung, die Modernität und die Barbarei berührten.
Doch Vilsmaiers Berlin sieht eher aus wie eine bayerische Kleinstadt, mehr verschlafen als aufgeregt, und der Musikalienladen, in dem sich die Handlung immer wieder konzentriert, hat die Funktion des „Kramerladens“ im Heimatfilm.
Seine Figuren bewegen sich in den von Rolf Zehetbauer durchaus liebevoll arrangierten Dekorationen wie in einem Museum, als müssten sie sich bei jedem Hantieren mit Requisiten dazu überwinden, das „Bitte nicht berühren“-Schild zu ignorieren.
Man könnte auch den Lebensgeschichten der einzelnen Mitglieder nachspüren, um daraus die kreative, aber auch die destruktive Spannung in der Gruppe zu entwickeln. Aber Vilsmaier reduziert das Drama auf die Auseinandersetzung zwischen Harry Frommermann (Ulrich Noethen) und Robert Biberti (Ben Becker) – mit der fatalen Konsequenz, dass nicht nur die anderen vier Mitglieder zu bloßen Stichwortgebern verkommen, sondern auch das enorme schauspielerische Potential, das in der Besetzungsliste steckt, auf das Maß von Gastauftritten gedrückt wird. Das ist wohl weniger Ausdruck handwerklichen Unvermögens als der Strategie, sich sofort aus dem Staub zu machen, wenn ein genauerer Blick auf Menschen und Situationen gefordert wäre. Wenn aber, zum Beispiel, die Spannung in der Gruppe auf eine persönliche Rivalität zurückgeführt wird – Frommermann und Biberti wetteifern um eine Frau und um den Rang des Stars -, verliert die Gruppe genau das, was sie für den Film interessant macht, nämlich Spiegelung und Vision ihrer Umwelt zu sein. Frommermanns Zorn auf Erwin Bootz (Kai Wiesinger), der sich von seiner jüdischen Frau trennte, erscheint dann nur noch als melodramatisches Aperçu, das eine schreckliche Erkenntnis überdeckt: daß nämlich die Comedian Harmonists nicht bloß Opfer des Nazirassismus waren, sondern der Rassismus auch in der Gruppe selbst wirkte.
Aber auf solche psychohistorische Tiefenschärfe lässt sich der Film ebensowenig ein, wie die von Vilsmaier selbst geführte Kamera je hinter ein Arrangement, einen „Aufbau“, eine Szene zu dringen sucht. Es ist die „eine Idee – ein Dialogteil – eine Einstellung“-Krankheit des deutschen Films: Nie geschieht in diesen Bildern und Worten etwas Zweites oder gar Drittes, was über den Hauptteil der Inszenierung hinaus oder unter ihn hinunter führen, ihm widersprechen, neue Fragen stellen könnte. Diese Eindimensionalität der Inszenierung lenkt unsere Aufmerksamkeit nur allzu sehr auf die Oberfläche, auf der sich gefälligst alles abzuspielen hat. Auf der sehen wir zum Beispiel, welch große Mühen es den Schauspielern bereitet, Münder und Körper zur originalen Musik der Comedian Harmonists zu bewegen. Es ist einfach nicht ihre Musik.
Und es ist nicht die Musik des Films. Denn „Comedian Harmonists“ ist nicht nur kein Film über eine Zeit und einige Orte in ihr geworden, nicht nur kein Film über Menschen und einige seltsame Ereignisse in ihrem Leben, es ist auch kein Film über einen Sound, einen Rhythmus (eine Kunst des Rhythmuswechsels), ein musikalisches Spiel von Höhen und Tiefen, von akustischen Rollen und Räumen. Nirgendwo versucht sich der Film auf diese Musik einzulassen, ihr Wesen aufzugreifen, ihr in Schnitt und Einstellung Widerhall zu geben.
Nirgendwo auch sehen wir, was diese Musik mit den Menschen macht, außer dass sie applaudieren, wie es ein Publikum eben tut.
Nichts also von der verrückten Euphorie und dem unauflösbaren Schmerz, den die Comedian Harmonists und ihre Geschichte auslösen müßten. Man schaut den Stars und der Ausstattung und dem Licht zu und blickt ansonsten nicht rechts, nicht links, nicht vorwärts und nicht zurück. Aber was bis dahin als auch im kunsthandwerklichen Bereich zweitrangiger Service für Mainstream-Harmoniesucht durchgehen konnte, bekommt seinen wahren Sinn erst in den pompösen Schlusssequenzen. Ein Nazifunktionär verkündet, dass die Comedian Harmonists nur mit einer Sondergenehmigung noch einmal auftreten dürften, da drei Mitglieder der Gruppe Juden seien. Natürlich könne, wer wolle, den Saal verlassen, was ein Braununiformierter auch prompt tut. Das Publikum aber bleibt sitzen und lauscht, unter Tränen oben auf der Bühne und im Saal, dem Lied vom kleinen Glück, das es „irgendwo auf der Welt“ gebe.
Noch eine kurze Ergriffenheitspause, dann erheben sich die Münchner Zuschauer zu stehender Ovation. Ja, so mutig, ja, so solidarisch waren wir damals! Und dann der Abschied am Bahnhof. Frommermann bekommt im letzten Augenblick die Frau, Biberti umarmt ihn trotzdem endlich wieder. Alle heulen und sind versöhnt, höchstens Bootz steht ein wenig abseits. Ein bisschen Bösewicht soll schon sein.
Und dann, nach diesen beiden so ausgiebigen wie falschen Versöhnungsbildern, fährt die Dampflokomotive in den Abspann hinein, in dem wir erfahren, das die einen es dort, die anderen dort noch einmal versucht haben. Ein paar Millionen Menschen aber fanden nirgendwo auf der Welt ein kleines bisschen Glück, sondern den Tod irgendwo im großdeutschen Reich.
Autor: Georg Seeßlen
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