Horror made in Australien – das Spielfilmdebüt von Greg McLean
Brauchen wir eigentlich noch Horrorfilme der blutigen Art? Ist nicht schon alles gesagt und gezeigt worden in diesem Subgenre? Tatsächlich liefert der Australier Greg McLean mit seinem ersten Langfilm einen neuen, wenn auch nicht wirklich erfrischenden Blick auf vertraute Motive.
„Outback“ ist ein poetisch treffendes Wort für etwas, das im kleinen Mitteleuropa deutsch-romantisch Hinterland genannt wird. Das gewaltige Innere des australischen Kontinents ist für die Bewohner der Städte am Meer tatsächlich ein Draußen und ein Zurück. Ein faszinierendes, gefährliches Land mit endlosen Entfernungen zwischen magischen Orten. Es ist ein Leichtes, hier spurlos und schrecklich zu verschwinden. Und die eine Hälfte der australischen Outback-Filme handelt denn auch vom Verschwinden der Menschen, der Einzelnen wie in Picnic at Hanging Rock (Picknick am Valentinstag) oder gleich der ganzen mehr oder weniger zivilisierten Menschheit wie in Mad Max. Die andere Hälfte versucht, einen rauen Naturtraum-Humor zu entwickeln, in dem Crocodile Dundee zeigt, was ein Messer ist, oder Kängurus mit Millionenbeute durchs Land hüpfen. Beide Arten von Outback-Filmen zitiert Wolf Creek von dem jungen Regisseur Greg McLean – und dementiert sie konsequent und auf blutig nüchterne Weise.
Der Film beginnt mit einer beiläufig-präzisen Ferienromanze. Zwei Mädchen aus England und die Liebe zum Kontintent Australien. Oder drei junge Leute mit einem klapprigen Auto unterwegs zu einem Naturpark. Ebenso gut hätte Wolf Creek als Linklaterisches Road Movie weitergehen können. Eine Liebesgeschichte beginnt zaghaft und unspektakulär. Nach zwei Wochen am Strand, Swimming-Pool-Partys, Drinks und verkaterten Sonnenaufgängen machen sich Liz, Kristy und Ben auf die Reise zu dem gewaltigen Krater im Landesinneren. Wolf Creek ist tatsächlich beeindruckend, auch der beste Platz für einen ersten Kuss. Zuvor hat man sich lediglich über die anzüglich-aggressiven Hinterwäldler im heruntergekommenen Rastplatz Emu Creek ärgern müssen. Nur seltsam, dass die Uhren stehen geblieben sind. Und das Auto springt nicht mehr an. Doch in der Nacht kommt Hilfe; ein kauziger Outback-Typ erbietet sich, die jungen Leute abzuschleppen und das Auto zu reparieren.
Klar, wir sind in einem Horror- oder doch eher in einem Terrorfilm. Und deshalb beginnt an diesem Punkt und ganz direkt mit einem Schnitt das Grauen. Der Outback-Veteran erweist sich als psychopathischer Mörder, der in seiner Geisterstadt die Leichen und Trophäen getöteter Touristen hortet. In einer der schrecklichsten Szenen des Films betrachtet Liz die Fotos und Digitalfilme der Touristenfamilien, die dem Menschenjäger von Wolf Creek in die Falle gegangen sind.
Obwohl uns in der zweiten Hälfte des Films an Gewalt, Blut und Angst wenig erspart wird, ist Wolf Creek kein echtes splatter movie. Das bezieht sich sowohl auf die Dramaturgie als auch auf die visuelle Gestaltung: Zum einen werden den Opfern nicht die gewohnten Rollen und Funktionen für den blutigen Bodycount zugewiesen; es sind drei leidlich sympathische junge Menschen, denen die Kamera in der ersten Hälfte immer sehr nah ist, um gleich darauf wieder ihren staunenden Blick auf die Weite und Schönheit des Landes zu teilen. In der zweiten, der Horrorhälfte des Filmes, bleibt die Kamera überraschenderweise distanzierter, der Blick ist eher fassungslos in seiner Ohnmacht als fetischistisch auf die Verletzungen gerichtet. Es ist ein fast dokumentarischer Gestus, angereichert mit etlichen Genrebezügen, von The Texas Chainsaw Massacre bis Blair Witch Project, und immer gelingt es dem Film, sich zugleich mit dem Zitat von der Vorlage zu distanzieren. Und es gibt zwei Enden, das eine führt uns zurück in die Wirklichkeit, zur Gerichtsverhandlung mit dem Überlebenden und zur Rückbindung an den True-Crime-Aspekt der Geschichte, und das andere zeigt uns den Serienmörder als australische Ikone: Crocodile Dundee als das weiße Böse der Outbacks. Unauffindbar und allgegenwärtig.
Wolf Creek bewegt sich konsequent von einem dokumentarisch nüchtern gehaltenen Genrefilm in Richtung auf ein grimmiges Statement über australische Selbstverständnisse. Greg McLeans Studie in Australian angst kann die Hermetik des Genres noch nicht vollständig hinter sich lassen und verdankt seinen relativen Erfolg wohl dem Umstand, dass er in einem Atemzug mit den neuen „harten“ Horrorfilmen wie Hostel genannt wird. Ob McLean anderswo hinwill, wird sich zeigen – sein nächster Film handelt von einem menschenfressenden Krokodil. Eine Talentprobe ist so ein Genrefilm (fast) ohne Genreklischees allemal.
Texas Chainsaw Massacre trifft Crocodile Dundee am „Hanging Rock“: Greg McLean kombiniert Motive des populären Kinos mit einem überraschend empathischen, staunenden Blick und erzeugt so eine treffende Studie der Angst und des Terrors in einem verlorenen Land.
Autor: Georg Seeßlen
Text veröffentlicht in epd Film 7/2006
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