Kein Russ Meyer mehr. Schlimmer! Keine Russ Meyer-Filme mehr. Nur gut, dass sein Oeuvre auf DVD zu haben ist.
Wahrscheinlich war Russ Meyer der erste Sexfilmer, der zugleich zum Geheimtipp unter Cineasten wurde. Dieser Mann drehte ferkeligen Stuss, sexistisch, unmoralisch und geschmacklos. Aber wie er das machte, das kam manchmal in die Nähe von Fellini, Kurosawa oder wenigstens Roger Corman. Er phantasierte von Ballerbusen, Macho-Posen und Fäusten, die aufs Auge passen. Das ist nicht jedermanns und schon gar nicht jederfraus Sache. Aber wenn man verstehen will, was Bilder sind und wie man sie in Bewegung setzt, kommt man an Russ Meyer nicht vorbei.
Russ Meyer hatte als Fotograf begonnen. Zuerst fotografierte er den Krieg. Dann fotografierte er mehr oder weniger nackte Frauen mit voluminösen Oberweiten, von denen er einige auch heiratete. Und irgendwie schien beides bei ihm immer aufeinander zu treffen: die Gewalt und die Lust im Krieg der Geschlechter. Eines seiner berühmtesten frühen Fotos zeigt seine damalige Frau (das war, bevor seine Filme sie und ihn zu Stars unter den sexploitation-Filmern machten): In „Eve and the Red Car“ posiert sie, zugleich sexy und aggressiv, im Bikini am Strand, gleich daneben parkt ein knallroter Dodge Royal 1954. Die starke, erotische Frau, die dramatische Natur und das aufgedonnerte Fahrzeug. Traumbilder, in denen immer auch schon ein Alptraum lauert. Viel mehr hat Russ Meyer auch nicht gebraucht, um seine Filme zu machen.
Russ Meyers Markenzeichen war die Vorliebe für Frauen mit gewaltigen Brüsten. Und in den Fotografien und Filmen, die er aus dieser Obsession heraus schuf, bestätigte er immer wieder den Zusammenhang seiner drei wichtigsten Eigenschaften: Der Kerl ist neurotisch. Der Kerl ist geschäftstüchtig. Der Kerl ist genial. Und mit so einer Mischung schafft man es vom Schmuddelfilmer zum Kulturhelden.
Russ Meyer est divisus in partes tres. Er begann mit Filmen, die man damals „nudie cuties“ nannte, von heute aus gesehen eher harmlose Nacktfilme, die seinerzeit, gegen Ende der fünfziger Jahre, nur deswegen von der Zensur nicht beanstandet wurden, weil es in ihnen zwar jede Menge nackter Haut, aber keine sexuelle Aktion gab. Mit seinem THE IMMORAL MR. TEAS (1959) lieferte er das Modell und zugleich das kleine Meisterwerk des Genres. Es ist die Geschichte eines Mannes mit einem magischen Blick: Der arme, glückliche Mr. Teas ist, subjektiv betrachtet, eben genau dies nicht: unmoralisch. Denn einerseits kann er nichts dafür, dass er die Frauen alle nackt sieht, und andrerseits macht er auch nichts anderes aus dieser seltsamen Gabe als eben das wozu der Mensch immerhin bestellt scheint, nämlich schauen.
So unschuldig blieben die Helden und Heldinnen in den Filmen von Russ Meyer nicht. Die Reaktion auf die nudie cuties waren in den sechziger Jahren die „roughies“. In diesen Filmen ging es, um es verkürzt zu sagen, darum, dass Menschen mit schlechtem Sex und noch schlechterer Phantasie dazu tendieren, einander körperliche Schmerzen zuzufügen. Auch die großbrüstigen Frauen in den Filmen eines Russ Meyer versprachen nun anderes, als sie in der Regel hielten. Man wusste nie, ob sie mit einem Mann schlafen wollten oder ihm doch lieber gleich das Kreuz brechen. So oder so, glücklich durfte in diesen Filmen niemand werden, und schon gar nicht mit der Sexualität. Und da erst, in wüsten, ebenso gewalttätigen wie lüsternen Melodramen, war Russ Meyer ganz in seinem Element und ganz auf der Höhe seiner Kunst. LORNA war die Geschichte einer frustrierten Ehefrau, als sexploiatation, na klar, die Kamera kann sich kaum satt sehen an den Brüsten von Lorna Maitland. Aber andererseits war der Film so ehrlich wie es sich zu dieser Zeit kein großer Hollywood-Film zu sein wagte: Sex ist Lust und Gewalt. Und das eine kann man nicht kriegen ohne das andere. Zumal die Frauen immer um so vieles stärker sind als die Männer. Fies können beide sein, und auf einen Friedensschluss im Krieg der Geschlechter ist bei Russ Meyer wenig zu hoffen.
BLACK SNAKE oder FASTER PUSSYCAT. KILL! KILL! Gehören heute zu den Klassikern des amerikanischen B-Movie. Wenn jemand studieren will, wie man Bewegung inszeniert, wie man Schnitte setzt, wie man Stimmung erzeugt: So wurde Russ Meyer zum Ingmar Bergman der Autokinos. Statt sich tot zu quatschen brachten sich Männer und Frauen bei ihm gegenseitig um.
In den siebziger Jahren, als Porno mehr oder weniger legal wurde, als die Gewalt in Filmen sogar in den Mainstream-Kinos härter und zynischer geworden war, als es sich der gute alte Russ je ausmalen konnte, entwickelte er einen parodistisch-unbekümmerten Spätstil. Er kümmerte sich nicht mehr um dramaturgische Konsequenz und machte sich über seinen eigenen Manien lustig. Russ Meyer nahm die Sache nicht mehr grimmig ernst, aber mit der linken Hand gelangen ihm immer noch kleine surrealistische Skizzen aus der amerikanischen Provinz der Geilheit. Und wer lässt schon Hitler in der Badewanne von Piranhas fressen, und wer platziert eine nackte Frau auf die Spitze eines Felsenberges, die mit wüsten Reden das Schicksal unbefriedigter Frauen und gewalttätig-impotenter Männer kommentiert?
UP! war ein vergnüglich verrücktes Abschiedsgeschenk an seine Fans. Sie warteten lange, vergeblich auf ein neues Russ Meyer Movie. Sein Monumentalwerk „The Breast“ blieb ein Gerücht aus seinem kleinen Studio. Aber eigentlich war ja auch alles gesagt über den Zusammenhang von weiblichen Oberweiten, Motoren, Gewalt, Rassismus, Weltuntergang, Amerika und den Spass, mit dem man das alles zu purem Kino machen konnte. Sagen wir’s ehrlich: Russ Meyer-Filme sind nicht klasse, obwohl sie Sexfilme sind. Russ Meyer-Filme sind klasse, weil es Sexfilme sind.
Kein Russ Meyer mehr. Schlimmer! Keine Russ Meyer-Filme mehr. Nur gut, dass sein Oeuvre auf DVD zu haben ist.
Autor: Georg Seeßlen
Text: veröffentlicht in filmspiegel 12/ 2004
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