In Love and War

Philip Noyce hat Graham Greenes „The Quiet American“ neu verfilmt

Wer Geschichten erzählt, so oder so, hat es mit drei Lebensprojekten zu tun: Sie oder er muß dafür sorgen, dabei weder zu verhungern, noch seine Seele zu verkaufen, muss im Fortgang des Textes in Würde älter werden und schließlich einen eigenen Weg finden, das Persönliche (sagen wir eine Liebesgeschichte) und das Historische (sagen wir eine Kriegsgeschichte) miteinander zu verbinden. Was die beiden ersten Punkte betrifft, überlasse ich es der kritischen Phantasie der Leser zu bestimmen, was sie möglicherweise mit dem Roman The Quiet American von Graham Greene und seiner Verfilmung durch den australischen Regisseur Philip Noyce zu tun haben könnten. Der dritte Punkt aber interessiert durchaus modellhaft. Es geht um die Frage, die uns zu Büchern und ins Kino treibt: Wie verhält sich eine Story zur History, und wie stellen gutes oder, zumeist, schlechtes Handwerk und, manchmal, Kunst diese Verbindung her?

Im Mainstream-Kino sind wir es gewohnt, dass sich eine Liebesgeschichte und die Zeitgeschichte zueinander verhalten wie ein Wiener Schnitzel zum Kartoffelsalat. Beilagenmäßig. Das ist eine Frage der Rezepte, und wenn jemand von diesen Rezepten ein wenig abweicht, tendieren wir dazu, ihn für einen außergewöhnlichen Künstler zu halten. Zum Beispiel einen Regisseur wie Anthony Minghella, der es in seinen Bildern immerhin versteht, zwischen Eros und Geschichte etwas Geheimnisvolles, Ungeklärtes entstehen zu lassen. Dass Minghella nun in der stattlichen Produzentenliste von „The Quiet American“ auftaucht, erklärt vielleicht einen Touch, der im Film von Noyce zuerst ein wenig überrascht, denn diesen Regisseur kennt man vor allem als mehr oder weniger kompetenten Hersteller von Gebrauchsware. Von den ersten Einstellungen an verfällt diese Bildererzählung einer schläfrigen Lüsternheit. Wir sind in Vietnam, Mitte der fünfziger Jahre. Wir sind in den Köpfen von Männern, die nach Bildern für ihre erotischen und moralischen Probleme suchen. It’s not all in the book.

Graham Greene erzählt in The Quiet American (1955) eine ziemlich spannende und abgründige Geschichte. Seine Figuren sind einmal mehr Symptome; ihr Leiden ist das Leiden ihrer Zeit und ihres Ortes, ihre Bosheit ist die Bosheit von Macht und Intrige in Zeiten gesellschaftlicher Auflösung und Neubestimmung. Obwohl sie nur sehen wollen, müssen sie handeln; obwohl sie nur handeln wollen, müssen sie sehen. Sie treiben vom Nicht-mehr zum Noch-nicht, und irgendeiner von ihnen muss dabei eine für den anderen tödliche moralische Entscheidung treffen. Hier ist es der britische Korrespondent Thomas Fowler, der im Vietnam der französischen Kolonialzeit glaubt, er könne der unbeteiligte Beobachter bleiben: „Mit den Menschen, wie sie nun mal waren, mochten sie kämpfen, mochten sie lieben, mochten sie morden: Ich wollte nichts damit zu tun haben. Meine Kollegen von der Presse nannten sich Korrespondenten; ich zog die Bezeichnung Berichterstatter vor. Ich schrieb nieder, was ich sah. Ich unternahm nichts – selbst eine Meinung zu haben, ist schon eine Art von Tat.“

Als Person sitzt Fowler ziemlich fest. Zu Hause in England hat er eine Frau, die nicht in die Scheidung einwilligen will, und hier in Saigon hat er eine jüngere Geliebte, Phuong, die er ohne die Ehe nicht auf ewig wird halten können. Fowler lernt den jungen Amerikaner Pyle kennen, der voller idealistischer Energie in einem sozialen Hilfsprojekt arbeitet. Der Junge bewundert den Alten, er will von ihm lernen, und Fowler ist geschmeichelt und irritiert. Nachdem sich auch Pyle in Phuong verliebt hat und das gar nicht verbirgt, entwickelt sich die klassische Dreiecksgeschichte, und doch etwas ganz anderes. Denn Pyle ist nicht so ganz, was er zu sein vorgibt. Er treibt als CIA-Agent ein schmutziges Spiel mit den Warlords wie General Thé. Er stärkt durch Waffenlieferungen die neuen Kräfte, die gegen die Kolonialmacht und gegen die erstarkenden Kommunisten kämpfen. Er ist dabei, eines von den Monstern zu erschaffen, die man in der amerikanischen Außenpolitik zu lieben pflegt, solange es „unsere“ Monster sind. Pyle schreckt weder vor Morden noch vor blutigen Attentaten zurück. Fowler wird gebeten, seinen Rivalen einem Mordanschlag auszuliefern. Nichts damit zu tun haben ist unmöglich.

Die erste Verfilmung des Romans stammt aus dem Jahr 1957 und war, was das Politische anbelangt, eine Katastrophe. Die Verfälschungen hat man, durchaus zu Recht, dem Regisseur Joseph L. Mankiewicz seinerzeit persönlich übel genommen. Von der törichten historischen Verdrehung ganz abgesehen: So geht man nicht mit einem Stoff von Graham Greene um. Von der Brisanz des Stoffes blieb nicht viel übrig – an der Oberfläche. Der Western-Star und Kriegsheld Audie Murphy (geniale Besetzung!) wird, als amerikanischer Staatsterrorist in Vietnam, am Ende rehabilitiert: Er war, klar doch, Opfer einer kommunistischen Verschwörung. Aber im Inneren des Films war schon viel zu viel passiert, als daß jemand ernsthaft noch glauben konnte, was wie eine zusätzliche Bestätigung erscheinen mußte. Die stillen Amerikaner von Hollywood zeigen sich, wie Pyle sich zeigen musste.

Wenn man nun Noyces Film in dieser Hinsicht als für eine Mainstream-Produktion ziemlich mutig empfinden kann (wir können ja gar nicht anders, als den Film als direkte Kritik der vergangenen und der gegenwärtigen amerikanischen Außenpolitik zu sehen), so schleicht sich doch im Exotismus seiner Bilder ein ganz anderes, auch nicht gerade erhellendes Modell ein. Es ist schon wieder mal das schöne, geheimnisvolle Asien, das als unschuldiges Paradies herhalten muss, ein Sehnsuchtsort, der durch die verschiedenen Formen von Kolonialismus und Ausbeutung zerstört wird. Der morbide Glanz der in Auflösung befindlichen Kolonialkultur, das erotische Flair der Nächte, die Suspense-Konstruktion – Noyce konnte schließlich nicht wirklich einen politischen Film drehen. Deswegen bleiben die Bezüge des Stoffes zur gegenwärtigen amerikanischen Politik so überdeutlich und vage zugleich. So unverbindlich wie eine „Pace“-Fahne.

Aber vielleicht geht es ja auch, neben der aktuellen Beziehung und einem halbwegs funktionierenden Großfilm, noch um etwas anderes, nämlich darum, daß die Liebesgeschichte und die Kriegsgeschichte einander nicht nur kommentieren, ergänzen und widersprechen, sondern dass sie aneinander auch absurd werden können. Wie eine „Lösung“ nur zu einer höheren Form der Verzweiflung führt. So nämlich endet Greenes Text: „Seit seinem Tod war mir alles geglückt. Doch wie sehr wünschte ich, daß jemand existierte, dem ich hätte sagen können, wie leid es mir tat.“ Im Zentrum des Dramas steht nicht ein Problem, sondern ein Dilemma. Noyce kommt der Sache immerhin näher, als wir es aus den vielen Feelgood-Melodramen mit zeitgeschichtlichem Hintergrund gewohnt sind, wo sich Politik und Melodram gegenseitig wie Illustration und Maskierung verhalten. Die schlechtesten und international erfolgreichsten deutschen Filme machen das: Die Widersprüche in einer Liebesgeschichte und die Widersprüche in der Geschichte von Macht und Krieg schauen einander tief in die Augen und vergeben sich das Grauen, das sie produziert haben. In „The Quiet American“ bleibt wenigstens eine Ahnung des Grauens zurück.

Michael Caine spielt einen Mann, der verstehen muß, daß das eine nicht als Ausrede für das andere benutzt werden kann. „All’s fair in love and war“, natürlich glaubt er das nicht wirklich. Vielleicht ist die Besetzung mit Brendan Fraser als Aldon Pyle einer der kleinen, gelungenen Coups am Rande, die nur innerhalb der Konstruktion der populären Kultur funktionieren: Fraser ist das Chamäleon des American dream, der Typ, der sich in über einem Dutzend Filme als Trottel vom Dienst verkaufen musste, der naive und unsophisticated Held der Mumien-Filme oder der junge Versager, der nicht einmal mit Hilfe einer schönen Teufelin seine beiden Wünsche erfüllen kann in Harold Ramis‘ „Bedazzled“ („Teuflisch“): Erfolg haben und die Frau seines Lebens kriegen.

In „The Quiet American“ ist das nur ins Historisch-Monströse verlängert. Amerika ist das Land, wo das Wünschen nie geholfen hat, wenn es nicht in ein konsequentes Wollen verwandelt wurde. Vom Wünschen zum Wollen aber verwandelt sich nicht nur die Tat, sondern auch das Sehen. Der stille Amerikaner ist einer, der so ganz in seiner Tat aufgeht, wie der nicht so stille Engländer sich ihrer enthalten will. So wird das Ganze doch ein Versuch über das „alte Europa“ und sein Verhältnis zu den USA. Zwischen Caine und Fraser steht etwas sehr Verrücktes, eine Vertrautheit, die zugleich eine große Fremdheit umfasst. Eine bösartig ehrliche Direktheit und eine melancholische Mattigkeit. Je näher man hinsieht, desto mehr verschwimmen die sexuellen und die politischen Metaphern.

Wo steckt die politische und sexuelle Wahrheit einer Erzählung oder eines Films? Jedenfalls nicht immer da, wo man sie zuerst vermutet.

 

Autor: Georg Seeßlen

Text geschrieben 2003

Text veröffentlicht in konkret, Heft 6-2003