Leopold Grüns Film über den einsamen Sänger-Cowboy Dean Reed
Das Leben des Dean Cyril Reed, geboren am 22. September 1938 auf einer Hühnerfarm in Colorado und gestorben am 17. Juni 1986 im Zeuthener See am Rand von Ost-Berlin, lässt für Spekulationen und Fantasien weiten Raum. Er ist ein Wanderer zwischen den Welten gewesen, auch persönlich voller Widersprüche. Einer, der herausging aus Amerika, dessen politisches System, die soziale Ungerechtigkeit im Inneren und die militärische Aggression nach außen, er nicht mittragen wollte, und einer, der das Amerikanische nie aus sich selber herausbrachte. Ein Kämpfer, der sich nie scheute, auch persönliche Gefahr auf sich zu nehmen, und zugleich ein Mensch voll Sehnsucht nach Harmonie und Geborgenheit, ein „Taugenichts“, wie alle anständigen jungen Menschen, aber einer, der aus dieser Rolle nicht mehr herausfand.
Genau das war die Mischung, die Dean Reeds Aura bestimmte: das aufrichtige Engagement, die jugendliche Naivität, die instinktive Showmanship, die Freude an der Gemeinschaft – und ein bisschen auch narzisstischer Rausch in der Begeisterung, die ihm entgegenschlug. Begeisterung war es, die Dean Reed bei seinen Tourneen durch die UdSSR und die sozialistischen Staaten begleitete. Pop aus dem Westen, Glamour und dieser unschuldige Sexappeal, der den Schauspielern im sozialistischen Realismus nicht zugestanden wurde und zugleich die richtige politische Botschaft, so einfach und sinnlich formuliert, dass kein Mensch an Ideologie oder gar Propaganda dachte.
Der Film von Leopold Grün setzt in Dokumenten, Gesprächen und Filmausschnitten ein Puzzle mit fehlenden Teilen zusammen. Die Gestalt Dean Reed erscheint zugleich symptomatisch und einzigartig, sonderbar und zwangsläufig, ein Leben zwischen den Grenzen und Lebensweisen, das ganz anders erscheint, je nachdem, mit wem man spricht: mit dem Schauspielerkollegen Armin Mueller-Stahl, dem Regisseur Günter Reisch, dem Politiker Egon Krenz, der Schriftstellerin Isabel Allende und anderen.
Es ist eine gleichsam unendliche Annäherung, eine Parabel des fremden Lebens, das nicht entfremdet sein wollte. Dabei ist es freilich ein bis zum Ende hin – einem vielleicht dann doch wieder ein wenig zu eindeutigen Statement zu Dean Reeds Tod – dramaturgisch durchkomponiertes Stück: eine filmische Mythographie, die sich daher entsprechend vom tragischen Ende her entwickelt. Das persönliche Scheitern ist die Metapher einer Zerrissenheit, die in jedem Auftritt und in jedem Dokument aufscheint, die nicht nur im Auftritt des Sängers zwischen Pop und Propaganda, sondern auch in einer Vielzahl seiner Zuhörer wirkt, ohne dass Grün sie überinterpretiert. Der Film funktioniert wie ein guter Song: Er erzählt, er beschreibt die eigene Emotion, er lässt aus, worüber man nicht reden kann, er wertet nicht und bleibt doch nahe an den Entscheidungen eines Menschen und seiner Kontrahenten, und er hallt nach im Zuhörer. Besser lässt sich wohl die Beziehung von story und history im Film kaum montieren. Und dabei wird deutsche Geschichte sichtbarer als in hollywoodkompatiblen Fiktionen und historischen Rekonstruktionen.
Anhand von Dokumenten, Filmausschnitten und Gesprächen mit ehemaligen Kollegen und Bekannten geht Leopold Grün dem Leben des „Roten Elvis“ Dean Reed nach. Ohne zu werten, gelingt ihm die Beschreibung einer so faszinierenden wie verfehlten Biografie
Autor: Georg Seeßlen
Text veröffentlicht in epd Film
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