Über die amerikanische Revolution – die im strengen Sinne keine ist – hat es nur wenige Filme gegeben, möglicherweise, weil diese „Birth of a Nation“ ein wirklich gefährliches Thema ist. Denn diese Befreiung war von Anfang an von Widersprüchen und Ungleichzeitigkeiten geprägt. In ihr blieb der Klassenkampf, anders als in der französischen Revolution, verborgen: für alles, was nicht weiß, männlich, besitzend und puritanisch war, fielen die Glücksmöglichkeiten in der befreiten Kolonie hinter das zurück, was im Mutterland erreicht worden war. Die Kolonie hörte nach der Befreiung nicht auf, kolonialistisch zu sein. In den USA halten zu viele Menschen die Kernsätze ihrer Verfassung für Auszüge aus dem Kommunistischen Manifest, als dass sie von „ihrer“ Revolution viel wissen wollten. Die meisten Amerikaner nehmen an, der 4. Juli sei der Tag einer Befreiung gewesen. Doch an jenem 4. Juli 1776, dem da gedacht wird, nahm der sechsjährige Unabhängigkeitskrieg erst seinen Anfang. Und in diesen sechs Jahren änderten sich Bedingungen, Allianzen und Ziele der american revolution entscheidend. Mit anderen Worten: es gibt kein klares und „einfach so“ verständliches Bild dafür (es sei denn, man ließe George Washington, eine durchschossene amerikanische Fahne und den verwundeten Drummerboy gelten).
Man erzählt, der Produzent Irwin Winkler sei von eigenen Wissenslücken bei der Beantwortung von Fragen seines Sohnes zu diesem 24-Millionen-Projekt angeregt worden. Sein grundlegendes Konzept war es, die Geschichte des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges aus der Perspektive der „kleinen Leute“ – ein Stück zeitloses Melodram im Historienbild – zu zeigen. Hugh Hudson hat diese Konzeption aufgegriffen und im Osten von England einen sehr englischen Film über die amerikanische Revolution gedreht.
„Eine Rache des Mutterlandes-, wie es ein New Yorker Kritiker argwöhnte, ist REVOLUTION indes gewiss nicht geworden, sowenig wie ein „Geschichtsfilm“, der das mehr oder minder Faktische in mehr oder minder heroischem oder patriotischem Licht interpretiert. Nur wenige Bezugspunkte helfen dem Zuschauer, sich im histoire zurechtzufinden: Die „Großen“ kommen nicht vor. Statt vom Feldherrnhügel die Schlachtentscheidungen oder das Drama von Diplomatie und Strategie zuvor und danach, sehen wir den Krieg, wie ihn der normale Mensch erlebt: als Leid, als Angst, als Sterben, als Versuch der auch moralischen Selbstbehauptung.
Hudson entwickelt zum dritten Mal, nach DIE STUNDE DES SIEGERS Und GREYSTOKE, sein Thema vom natürlich-individuellen Mann, der von einer starken, zivilisierenden Kraft gepackt wird und verändert von ihr und gegen seinen Willen aus seiner Natur heraustritt. Und wie in GREYSTOKE ist es auch hier ein bei aller männlichen Kraft eher sanfter, in seinen Gefühlsäußerungen nahezu femininer Mann, der mit dem System der Herrschaft, mit dem er konfrontiert, dessen bewusstloser Gehilfe, dessen Objekt er wird, zunächst nichts anzufangen weiß. Was zerstört zu werden droht von einer ebenso bewusstlosen Kraft des historischen Fortschritts, das sind seine natürlichen Beziehungen, in denen das Erotische, das Familiäre und das Romantische noch nicht voneinander getrennt sind. Vor der schrecklichen Herausforderung der Zivilisation ist dieser Mann einfach und ganz – er ist noch nicht Mann im Gegensatz zu Frau wie in der Zivilisation, die ihn umformt, der er standhalten muss, die ihn zum „Helden“ macht.
Der Film erzählt die Geschichte vom Trapper Tom und Ned, dem einzigen noch lebenden seiner vier Söhne. Der Trapper ist kaum der zusammenhängenden Rede, geschweige denn anderer trügerischer Kulturtechniken wie des Schreibens und Lesens mächtig. Dennoch rafft er sich auf, unter offensichtlicher Anstrengung, uns eine Chronik seines Lebens im Krieg zu geben. Weil sein Sohn sich freiwillig gemeldet hat, zieht auch Tom in den Krieg, von dem er weiß, daß es nicht seiner ist. Und da ist Daisy, eine romantisch-ferne Geliebte aus der herrschenden Klasse, die sich, ganz anders als Tom, freiwillig und bewusst auf die Seite der Revolution stellt (entsprechend entsetzt reagiert sie, die den geckenhaften Vertretern des Mutterlandes mit der Hutnadel zusetzt, darauf, daß Tom bei der Schlacht die Flucht ergriffen hat). Toms Kriegsschicksal ist es, das Leben und die Achtung seines Sohnes zu retten und immer wieder Daisy zu finden und zu verlieren, bis zu jenem bittersüßen Happy-End, das REVOLUTION als Melodram ausweist. Und es gibt, auf der anderen Seite, das Gespenst eines durch und durch militärischen, englischen Mannes, einer, der unbeirrt tötet und in den Ritualen des Krieges aufgeht. Auch sein Schicksal ist von einer Vater-Sohn-Beziehung geprägt; nicht aus dem Krieg, wie Tom, will er den kleinen Trommlerjungen führen, sondern mittenhinein, und das heißt irgendwann, in den Tod. Tom und Ned müssen dieses Gespenst des Krieges und seinen Sohn bezwingen, am Meer, wo es kein Weiter mehr gibt, um ihren Frieden zu machen.
REVOLUTION ist ein durch und durch romantischer Film. Dazu gehört auch die Auflösung gewisser klassischer Formen; ein Interesse für die Geschehnisse am Rande, für das Zwiespältige und Irrationale, und der Verlust des „Ganzen“. Hudson montiert Symbole, aber er macht sie, anders als seine „klassischen“ Vorgänger, nicht mehr an einer Idee, an einem Ziel fest. Vielmehr zielt sein Symbolismus tiefer, auf einen vorgedanklichen Zustand; Hudsons mythisches System ist zu durchschauen, aber der Ideologie nicht sogleich verdächtig. Sein Krieg ist eine schreckliche Metapher für die Zivilisation, und seine ideale Natur (Bilder aus GREYSTOKE scheinen sich zu wiederholen, zu verändern: die Landschaft will Körper und dieser Geist werden) ist nirgendwo chaotisch, sondern immer auch eine romantische Seelenlandschaft.
Irritierend ist vielleicht, dass REVOLUTION, obwohl er alle patriotischen und männerbündischen Geschichtsbilder unterläuft, ausgesprochen pathetisch ist, auch jene Übertreibung riskiert, die abwehrenden Spott provoziert. Dass Tom allerdings am Ende, nachdem die Revolution ihn auch um seine materiellen Hoffnungen betrogen hat und ihn auf ein schon jetzt für ihn nicht wirklich funktionierendes demokratisches System verweist, doch so etwas wie einen zivilisatorischen Auftrag annimmt, erlaube ich mir als Akt romantischer Ironie zu interpretieren.
Die Probleme dieses Films, eine scheinbare Unangemessenheit der Mittel, der heftige Symbolismus, die mythische Geometrie der Konstruktion, der Zerfall der Welten, die „Unausgewogenheit“ etc. scheinen mir weniger Ergebnis einer Nicht-Bewältigung als notwendige Konsequenz einer künstlerischen Methode. Zu GREYSTOKE hat man geschrieben, es sei der Tarzan-Film eines Menschen, der nie ein Kind gewesen ist. Das deckt sich zum einen mit der frühen In-die-Pflicht-Nahme spezifisch englischer Mann-und Kolonialerziehung. Es ist aber auch, ganz anders, ein Produkt romantischen Weltleidens: nie ein Kind zu sein und darum nie Erwachsener zu werden: nie die Natur, und darum auch die Zivilisation nicht genießen zu können und darum das eine im anderen so heftig aufbrechen zu sehen, daß nur namenloses Grauen das Ergebnis sein kann.
Zu Hudsons sehr später Romantik, seinen kolonialen Passionen, mag man stehen wie man mag. An seiner Fähigkeit, dafür die grandiosesten Bilder und Erzählfiguren zu finden, ist kaum zu zweifeln.
(P.S. Meine persönliche Wertschätzung für diesen Film hängt vielleicht damit zusammen, dass ich ihn vor allem in der Originalfassung kenne.)
Autor: Georg Seeßlen
Text veröffentlicht in epd Film 12/86
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