Hölle auf Erden
Alle Filme von David Fincher könnte man auch als listige, zynische und nihilistische Trash Movies erzählen. Der Unterschied ist, dass Fincher sie mit einem heiligen Ernst, mit tiefempfundenem Zorn, mit hohem ästhetischen Reflexionsgrad behandelt. Hier gibt es kein ironisches Augenzwinkern (»ist ja nur ein Film«) und keine postmoderne Ironie (»wird die Sache zu anstrengend, wechsle die Erzählebene«). Fincher ist ein Regisseur, der das Moral- und Terror-Spiel bis zur letzten Konsequenz durchführt und dabei ein paar nicht ganz unwichtige Fragen stellt.
Nach Entscheidung und Vorbestimmung, Idee und Tat, Person und Gesellschaft und all dem fundamentalen Zeug, das seit den besseren Tagen der Aufklärung liegengeblieben ist. Monsieur Voltaire hat damals, als ihn die Leibnitz-Optimisten mit ihrer »besten der Welten« genug geärgert hatten, einen Roman namens »Candide« geschrieben. David Fincher macht »Candide«-Filme gegen die Alles-so-toll-hier-Optimisten unserer Zeit. Fincher beschreibt in seinen Filmen die Hölle auf Erden, die die Menschen sich selber bereiten. So werden eben aus Monsterfilmen (»Alien 3«), Serienmördergeschichten (»Seven«) oder sogar männerbündischen Klopperphantasien (»The Fight Club«) philosophisch-moralische Gleichnisse, deren Bildwucht einen hier und da aus dem Kinosessel zu hauen droht.
Auch der Plot zu seinem jüngsten Film hätte in anderen Händen zu einem gut funktionierenden, aber nicht weiter belangvollen Thriller werden können: »The Panic Room« spielt im Haus eines verrückten Millionärs, der sich in seiner Stadtvilla in New York einen geheimen Raum hat einbauen lassen, in dem er sich in Fällen von Einbruch oder Überfall zurückziehen konnte: Die stahlummantelte Bunker-Konstruktion verfügt über Monitore, mit denen man das Haus überwachen kann, eine extra Telefonleitung nach draußen, Notrationen und Feuerschutz, kurz alles, was man braucht, um auch eine längere Belagerung durch Schurken und Feinde auszuhalten. In das Haus mit diesem Panic Room zieht die gerade geschiedene Meg (Jodie Foster) mit ihrer zehnjährigen Tochter Sarah. Schon in der ersten Nacht im neuen Haus werden sie von drei Einbrechern überrascht. Sie verbergen sich im Panic Room, wo sich fatalerweise aber genau das befindet, was die drei gerade suchen. So also beginnt ein Spiel auf Leben und Tod mit immer neuen überraschenden, aber nie unlogischen oder unfairen Wendungen des Plots.
Dabei steht der radikalen Reduzierung von Raum, Zeit und Personen eine wahrhaft entfesselte Kamera gegenüber, und Jodie Foster (die den Part der zuerst so unscheinbar hilflosen Frau von Nicole Kidman übernahm) macht aus ihrer Rolle eine Studie, die so vielfältig und offen ist wie die in »Das Schweigen der Lämmer«. Aus der Bedrohungssituation wird auch die Darstellung einer Mutter/Tochter-Beziehung, und daraus entsteht, ganz lakonisch, auch so etwas wie eine Emanzipationsgeschichte an einem Ort, der so ziemlich das Gegenteil von der »besten der Welten« ist. Und wer die Fincher-Stimmungen mag, die Fincher-Farben und das Fincher-Licht (mehr noch die Fincher-Fast-Dunkelheit), den Fincher-Regen und den Fincher-Rhythmus, der wird neben der durchgehaltenen Spannung auch seinen ästhetischen Genuß haben. Und das ist ja nun wirklich ein guter Grund zum Ins-Kino-Gehen.
Georg Seeßlen
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