Am Nachmittag „Ein Engel auf Erden“, am Abend „Denver Clan“. Im Kino OVER THE TOP. Es ist immer das gleiche. Menschen mit Gesichtern, die mir nichts sagen, sprechen über Dinge, die mir nichts sagen, in einer Sprache, die mir nichts sagt. Sie haben Blicke und Rituale, die mir nichts sagen, und sie verrennen sich offenbar gewaltig in Konflikte, die mir nichts sagen, um irgendwann eigenartig wundersame Lösungen zu finden, die mir nur so viel sagen, daß ihre Falschheit im Zusammenhang steht mit der Inbrunst, mit der sie sie begründen, und mit der schrecklichen Anstrengung, die dafür vonnöten ist.
Die Einfachheit, Kindischkeit, die Dummheit und das völlige Fehlen von so etwas Altmodischem wie Mehrdeutigkeit, von etwas, das hinausweist aus der hermetischen Welt eines familiären Konflikts, der mit Gewalt gelöst wird, täuscht darüber hinweg, dass es sich dabei um nichts anderes handelt als die blanke Propaganda, die Einübung, was sage ich, das Einhämmern von Verhaltensweisen, die durch das imperative Absehen von Wirklichkeit ebenso gekennzeichnet ist wie von einem so pathologischen Starren auf den „Erfolg“ (wobei dieser Erfolg in nichts anderem besteht als darin, in irgend etwas, egal was, besser zu sein als alle anderen und daraus in irgendeiner Weise Geld zu machen), daß es kein Gefühl, kein Wissen, keine Liebe, kein Interesse gibt, ohne diesen „Erfolg“, der alle sozialen Energien, alle politischen Impulse absorbiert.
So sehr haben wir uns als Medienkolonie eingerichtet, dass der Rest unseres sozialen Bewusstseins schon zufrieden ist, wenn Rambo einmal nicht Schlitzaugen killt, sondern in einem sentimentalen, schlecht gemachten B-Movie armdrückt, Truck fährt und vor allem seinen Sohn liebt (damit sich die beiden gleich ihre Erfolgszwänge um die Ohren schlagen können). Der ewige Underdog mit den braunen Dackelaugen spielt das Ideal des rechten Amerikaners, der eben nicht nur patriotisch, gewalttätig und dumm ist, sondern auch hemmungslos sentimental.
Die Geschichte ist schnell erzählt. Lincoln (ausgerechnet!) Hawk hat irgendwann seine Frau und seinen Sohn verlassen, weil sein superreicher Schwiegervater ihn wohl zu oft einen „Versager“ genannt hat. Als freier Trucker ist er auf Achse und verdient sich nebenbei ein paar Dollar beim Armdrücken. Als seine Frau sterbenskrank wird, nimmt er den Sohn zu sich, ein verwöhntes Bürschchen, das von seinem Großvater beansprucht wird. Nach dem Tod der Frau kehrt der Sohn zum Großvater zurück, und auch nachdem Linc das Tor der Prachtvilla mit seinem Truck umgefahren hat und dafür ins Gefängnis kommt, ist der Sohn noch nicht bereit, zu seinem rauhbeinigen Vater zu halten. Linc macht sich auf den Weg nach Las Vegas, verkauft dort seinen Truck, um bei der Meisterschaft der Armdrücker auf sich selber setzen zu können. Unterdessen findet der Sohn ein paar Briefe von Mom und Dad, erkennt seinen Irrtum, entkommt dem Großvater und flieht nach Vegas, um im Endkampf bei seinem Vater zu sein. Das Ganze wird erzählt in einer der lausigsten Parallelmontagen der Filmgeschichte, und weil das Armdrücken vielleicht nicht ganz so interessant ist wie ein Boxkampf, wird alles zerdehnt. Das Tempo stimmt hinten und vorne nicht; Linc erdrückt sich einen neuen Truck, und danach gibt es einen freien Amerikaner mehr auf den Straßen.
Natürlich hat dieses auf Spielfilmlänge gestreckte TV-Erbauungsstückchen, so simpel es gestrickt ist, auch ein paar unterirdische Diskurse. Abgesehen davon, daß uns fast wörtlich erklärt wird, daß eine gewisse Dummheit für den Erfolg unerlässlich ist, gibt es die für Stallone-Filme typische Gegenüberstellung der „guten“ und der „bösen“ Muskelpakete. Die Muskelkraft des Stallone-Proleten ist ideologisch und sozial kontrolliert, die – noch hypertrophere und stets am Rande des Grotesken liegende – Muskelkraft seiner Gegner ist dagegen formlos, nur für sich. Das lässt sie verlieren. Stallones Sozialmärchen (das heruntergekommenste Genre von allen) ist so etwas wie die Umkehrung von „Little Orphan Annie“: Die lustvolle Reproletarisierung des Kindes findet gar nicht statt, weil erst der Erfolg die Versöhnung besiegelt. „Oben“ ist schlecht. „Unten“ gibt es gar nicht. Es gibt nur den Weg nach oben. Es gibt nur den Erfolg. Da es in Filmen wie diesem nicht den leisesten Anflug von etwas wie solidarischem Handeln gibt, klammern sich die Helden verzweifelt an familiäre und persönliche Bindungen.
OVER THE TOP ist auch ein ökonomisch krankes Produkt. Stallone hat die höchste Gage, 12 Millionen Dollar, erhalten, die je für einen Darsteller gezahlt wurde (natürlich plus Gewinnbeteiligung). 178 Millionen muss ein Film einspielen, um over the top zu kommen. Menahem Golan inszenierte, als wollte er jegliche Aufregung, ja eigentlich jeglichen „Film“ vermeiden. Sogar die Truckfahrten in der Landschaft des Südwestens, die immer schon die halbe Miete sind, bringt jede „West“-Reklame besser ins Bild.
Dem Film wird man eigentlich nur gerecht, wenn man sich vorstellt, Stallone sei ein roter Radler, der mit dem Dackel seiner schnupfenkranken Ex-Frau durch die Kneipen zieht, um Meisterschaften im Flohhüpfen zu gewinnen und den Dackel gleichzeitig von Chappi auf Hamburger-Abfälle umzugewöhnen.
Autor: Georg Seeßlen
Text veröffentlicht in epd Film 6/87
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