Die Filme von Oliver Stone beschreiben Möglichkeiten und Begrenzungen des Hollywoodfilmes; beinahe alle gehen zentrale Widersprüche der amerikanischen Kultur an, reiben sich an Mythen und Medien, beschreiben das Gewaltopfer für amerikanische Sünden. Er spricht vom Kapitalismus (WALL STREET), von der Macht der Medien und dem Verschütten der Verantwortung (TALK RADIO, SALVADOR), von der Pop-Passion (THE DOORS) und immer wieder von Vietnam. Jedesmal, so scheint es, nimmt er einen neuen Anlauf zu fundamentaler Kritik, und jedesmal verfällt er genau den Mythen, die er anzugreifen angetreten ist. Er ist ein konservativer Rebell, ein ausgestoßener Patriot, einer, der aus seinen inneren Widersprüchen immer wieder einen neuen Mythos erschaffen muß, der Amerika kritisieren und es zugleich heiligen will, der von Verschwörungen phantasiert wie in JFK und doch immer wieder zu Versöhnungsbildern finden muss, gleichgültig, wie falsch sie sind. Und vor allem ist er ein begabter Filmemacher, dessen cineastische Intelligenz indes immer wieder von den Aufgaben überfordert scheint, die er sich selbst stellt.
In Stones neuem Film, NATURAL BORN KILLERS, kommen alle seine Themen zusammen, die Gewalt als Grundschuld des Menschen, die allgegenwärtige Macht der Medien, die schamanischen Kräfte des Pop, die Suchbewegung nach der Wahrheit, die nur in einem „unberührten“ Amerika, in der Präsenz des Indianers in der Wüste liegen kann (dort, wo Jim Morrison in THE DOORS seinen Augenblick der Wahrheit erfuhr, liegt auch der Schicksalspunkt für die Helden dieses Films). Aber er versucht nicht, noch einmal in einer Bewegung von Mythos und Aufklärung der traumatischen Erfahrung Herr zu werden, sondern in einer wüsten, satirischen, stil- und geschmacklosen Bilderflut, die mit allen Konventionen des Erzählfilms und allen Verlässlichkeiten des psychologischen Realismus bricht. Ein Befreiungsschlag, der, gleichgültig, ob für sich gelungen, Hollywood verändern wird: Stone hat in NATURAL BORN KILLERS nicht nur das Genre der romantischen Outlaw- und Road Movies in die Luft gesprengt, sondern auch die mythische Einbindung der Gewalt ins Erzählkino in Frage gestellt. Von einem Film wie MANN BEISST HUND unterscheidet sich NATURAL BORN KILLERS nicht nur dadurch, dass er im Zentrum der größten Kinomaschine und für ein Millionenbudget produziert ist, sondern auch, dass er hinter die Wahrnehmung der Gewalt in den Medien und hinter die Produktion der Gewalt durch die Medien zu gelangen sucht; er schickt seine Figuren auf eine Reise durch die Bilderwelt der popular culture, durch die amerikanischen Mythen, durch die zweite Wirklichkeit der Medien, und versucht, manchmal recht tiefgreifend, oft aber auch mit jener Plattheit, an die wir uns bei ihm gewöhnt haben, die Gewalt als Protest gegen die Entwirklichung und als deren wirkungsvollstes Medium zu erklären. Es ist müßig zu sagen, daß der Film selbst der Faszination von Gewalt, Geschwindigkeit der Bildfolgen, Distanzlosigkeit erliegen muß: Das gehört zu seiner Methode, und die Frage wird an die Zuschauer zurückverwiesen: Wie weit wollt ihr gehen? Immer noch seht ihr zu, immer noch seid ihr gebannt. Nachher geben wir dem Film die Schuld für unsere kranke Neugier auf die Gewalt: Warum hat er uns nicht bewahrt, warum hat er uns nicht mit dem wärmenden Mantel aufklärerischer Distanz gegen die hoffnungslose Kälte der Bilder bewahrt, die von zwei Menschen produziert werden, die ihre Liebe nur leben können, indem sie den Rest der Welt quälen und zu Tode bringen?
Zu Beginn sehen wir ein Stück eines überstilisierten Road Movies. Mallory tanzt zur Musik der Juke Box in einer öden Highway-Kneipe. Ein Typ, der hier herumlungert, macht sich an sie heran, sie tritt ihn, aber nicht so, wie man jemanden tritt, gegen den man sich verteidigen müsste. Und dann kommt Mickey mit der Pistole, und es beginnt ein furchtbares Blutbad. Endlos, geil und cool geht das Töten, nur ein Mann bleibt am Leben. Das machen Mickey und Mallory immer so: Einer muß berichten können, was geschehen ist.
Warum sind zwei junge Menschen zu Serienmördern geworden, die weder ein materielles Interesse noch ein erkennbares Motiv haben, durch Amerika zu fahren, Menschen umzubringen und dabei zu Idolen werden? Der Film bietet eine Erklärung an und nimmt sie zugleich zurück: Wir kommen in Mallorys Familie, aggressiv, blöde und heruntergekommen, wo der schmuddelige Vater ihr sexuell Gewalt antut, aber was wir sehen, ist eine typische Family Sitcom, Gelächter wird vom Band zugespielt, statt einer Lösung wird die Szene mit dem schnellen Ablauf der Abspanndaten beendet. In diese Szene ist auch Mickey als Metzger gekommen, mit blutbespritzter Schürze hat er ein gewaltiges Paket Fleisch gebracht. Mallory ist hin und weg, gleich haben sie sich verstanden, bald müssen die Eltern sterben. Hat Mickey Mallory aus bedrückenden Familienverhältnissen gerettet, oder hat er sie aus einem Fernsehprogramm gerissen?
Es ist die große Liebe, sie will ihre Rituale, die der Film ausführlich in Werbebildern voll erlesenem Kitsch und technischer Raffinesse zelebriert; auf einer Brücke, über deren Geländer sich die Kamera immer in atemberaubenden Kranbewegungen erhebt, werden Blut und Küsse getauscht, der weiße Schleier schwebt in die Tiefe. Und dann morden sich Mickey und Mallory zugleich ihr Idyll zurecht und rächen sich dafür, dass es nicht funktioniert. Um das Bett, in dem sie sich lieben, spuken furchtbare Gewaltbilder, und ihre Zärtlichkeiten gehen gleich über in sadistische Quälereien. Noch eine Erklärung? Aber nein! Mickey und Mallory „existieren“ nicht wirklich, und der Film erzählt auch nicht ihre Geschichte. Er entfacht einen blutigen Bildersturm aus den gewohnten Alltagsprodukten: TV-Soap-Operas, Tom & Jerry-Cartoons, Mangas, Western, Reality TV, Science Fiction, Splatterpunk und Ferienfilme auf Super 8, Filme von Kubrick, Scorsese, Craven, Demme, Comics von Frank Miller, Computerspiele, News-Shows, und immer wieder Musik, die das Geschehen strukturiert, als wäre die Geschichte der Mörder eine Abfolge von MTV-Clips, als könne aber auch die Musik wenigstens als letzte Erklärung helfen. NATURAL BORN KILLERS ist unter anderem auch so etwas wie die letzte Rock-Oper.
In der Wüste kommen Mickey und Mallory zu einem alten Indianer und seinem Enkel. Der erkennt schnell, welche Dämonen in ihnen stecken. In der Nacht erschießt ihn Mickey, diesmal nicht aus Spaß, sondern aus Angst, es war ein Versehen, es war die endgültige Verdammnis der beiden an dem Ort, an dem sie gerettet hätten werden können. Vielleicht. Blut verwandelt sich in Schlangen, und Mallory wird gebissen. Auf der Suche nach einem Mittel gegen das Schlangengift werden sie beim Überfall auf eine Drogerie von der Polizei gestellt und verhaftet.
Ein Fernsehmacher schafft es, eine Talk-Show mit Mickey im Gefängnis zu organisieren; Mickey rasiert sich das blonde Haar ab, verwandelt sich von einem mörderischen Hippie in einen Skinhead und bringt auf diese Weise den Film von den siebziger in die neunziger Jahre. Seine Worte führen zu einer Gefängnisrevolte, und in dem mörderischen Durcheinander gelingt es ihm, Mallory zu befreien und mit dem Fernsehmann als Geisel zu entkommen. Auch der wird dann noch von den beiden getötet. Aber ließen Mickey und Mallory nicht immer einen Menschen am Leben, als Zeugen für ihre Taten? Nicht mehr, jetzt haben sie die Kamera. „Waiting for the miracle“ singt Leonard Cohen dazu.
Diese Geschichte ist eine Farce, und während der Film sie aus seinen Collagen und Zitaten zusammenzukleben versucht, demontiert er vor allem die Vorstellung vom Sinnstiftenden in der Erzählung. Aber einmal mehr scheitert Stone an seinem so deutlich formulierten Ziel; immer wieder lässt er uns Notausgänge, lässt seine brillanten Schauspieler verlorenes Terrain der Identität zurückgewinnen, erhebt, wo es um die Bedeutung von Vernetzungen, von Identifikationen und Erfindungen ginge, doch wieder den Zeigefinger des Moralisten, sucht, kurz gesagt, doch wieder nach Schuldigen. Am ärgerlichsten ist die gelegentlich spürbare Selbstgerechtigkeit, die der Autor und Regisseur offenbar gerade dort am heftigsten verspürt, wo er die offensten aller Türen einrennt. Das Problem von Mickey und Mallory, daß es sie nämlich gar nicht gibt, solange sie sich nicht in die mediale Öffentlichkeit schießen, daß der Mord für sie das einzig verbliebene Mittel ist, Autobiographie zu schreiben, dieses Problem verschwindet bei Stone immer wieder unter den Denunziationen und Karikaturen.
Und dennoch: gerade wenn man NATURAL BORN KILLERS mit kleineren, sympathischeren und eigentlich treffenderen Filmen zum selben Thema, wie, sagen wir, Adam Rafkins HIGHWAY HEAT, vergleicht, ahnt man das Ausmaß von Stones Zerstörungsarbeit in Hollywood. Es ist vielleicht ein Film, der gar nicht genau weiß, was er da eigentlich kaputtmacht. Und aus welchem Grund und zu welchem Ende er es ruiniert. Aber kaputt ist kaputt.
Autor: Georg Seeßlen
Text veröffentlicht in epd film
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