Die Macht und der Sex
Amerikanische Präsidenten im Kino: Ein realistisches Auf und Ab zwischen Verehrung und Demontage.
Dieser Tage im Kino erweckt der Werbetrailer für den Politthriller „Der Manchurian Kandidat“ einen schrecklichen, wenngleich immer wieder gern gehegten Verdacht: Es gibt einen „Schläfer“ im Weißen Haus. Es geht nicht mit rechten Dingen zu in der Machtzentrale der westlichen Welt.
Für die ungebrochenen amerikanischen Heldenbilder im Kino waren zuletzt merkwürdigerweise zwei deutsche Regisseure zuständig: Roland Emmerich zeigte in „Independence Day“ einen Präsidenten (David Pullman), der beim Angriff außerirdischer Invasoren vom zivilen Weichei zum Bomberpiloten und Retter der freien Welt wird. Und Wolfgang Petersen hat in „Air Force One“ seinen präsidialen Helden (Harrison Ford) in den Nahkampf mit post-kommunistischen Terroristen geschickt. Richtig bösartige Präsidenten-Bilder haben dagegen so erz-amerikanische Filmemacher wie Tim Burton und Clint Eastwood dem Publikum zugemutet: in „Mars Attacks“ spielte Jack Nicholson einen eitlen Opportunisten, den kichernde Aliens beiläufig zerstrahlen, in Eastwoods „Absolute Power“ war Gene Hackman ein Mörder im Weißen Haus.
Tatsächlich ist der amerikanische Präsident in der Regel ein vernünftiger, sich seiner Macht bewusster Führer, und er ist ein Mann, der nie vergisst, dass er aus dem Volk kommt. Richtig aufgehen will diese Verbindung von Leadership und Popularity eher selten. Aber wenn alles gutgeht, vergessen beide Seiten diese Verabredung nicht ganz. Meist liebt die eine Hälfte der amerikanischen Bevölkerung den amtierenden Präsidenten, und die andere Hälfte macht böse Witze über ihn. So gespalten wie durch den Präsidenten George W. Bush aber war die amerikanische Gesellschaft schon lange nicht mehr. Und im Kino kann man, jenseits von „Fahrenheit 9/11“, in einem Film wie „Der Manchurian Kandidat“ die schlimmsten Befürchtungen bestätigt sehen: Die Politik wird zur Paranoia. Der Kandidat ist nicht Held und nicht Schurke, sondern ein schwacher, mutterfixierter Durchschnittsmensch. Er wird nicht mehr von Kommunisten oder anderen Außerirdischen gesteuert, sondern von der Macht der globalen Konzerne. Der amerikanische Präsident ist der mächtigste Mann der Welt? Über die wahren Machtverhältnisse klärt Bruno Ganz in der Rolle eines korrupten Wissenschaftlers auf: „Cash is king!“
Hollywood, immer etwas mehr als nur eine Traumfabrik, verhielt sich nie anders als die amerikanische Gesellschaft. Manchmal lieben die Filme den amerikanischen Präsidenten, und manchmal machen sie schlechte Witze über das Amt oder den mehr oder weniger fehlbaren Menschen darin. Ganz, ganz selten nur gelingt es, eine wirkliche Harmonie zwischen dem populistischen Mythos und der politischen Rationalität des Amtes zu erträumen. In „Young Mr. Lincoln“ (1939) mit Henry Fonda erzählt der Regisseur John Ford die Geschichte eines jungen Anwalts, der auf einem Esel in die Stadt geritten kam und der mit einem Geschick, das niemand ihm zutraute, Unschuldige vor dem Strang bewahrte. Aber gleich unter der dramatischen und komödiantischen Oberfläche entwarf er das Ideal des amerikanischen Menschen: lakonisch, aufrecht, volkstümlich und – hören Sie, Mr. Bush? – auf eine selbstverständliche Art religiös, die sich niemals in die Politik mischte.
Danach, also in den letzten 65 Jahren, handelten die meisten Präsidentenfilme vom Verlust der Unschuld. Und der Versuch, diese Gestalt wieder in den Stand der historischen Gnade zu bringen, geriet gelegentlich schwer daneben. In „Pearl Harbor“ (2002) gibt es eine Szene, in der wir den an den Rollstuhl gefesselten Präsidenten Roosevelt sehen, der sich, wie das ganze amerikanische Volk, nach der Nachricht des japanischen Überfalls unter Aufbietung aller Kräfte erhebt. Soviel Pathos schlägt leicht ins Gegenteil um.
Mit John F. Kennedy verlor die populäre Mythologie die letzte Präsidentengestalt, die noch einmal die große Einheit von Macht und Volk verkörpern konnte. Kennedys Bewährung als junger Offizier im Krieg wurde ebenso auf Zelluloid gebannt wie seine Staatsbesuche, Seitensprünge und der Glamour seiner Ehefrau Jacqueline. Nach seinem Tod verfiel das Kino in Verschwörungsphantasien, bis hin zu Oliver Stones „JFK“ (1991), der die Gemüter durch seine These vom geplanten Staatsstreich erhitzte. Der Lichtgestalt Kennedy folgte in der Kinomythologie der amerikanischen Präsidenten der tief gefallene Nixon, der in Filmen wie „All The President’s Men“ (1976) noch als politischer Schurke, bei Oliver Stone in seinem „Nixon“ (1997) aber als eine durchaus komplexe Gestalt erscheint: Anthony Hopkins stellt ihn als einen Mann dar, der seinem Amt nie gewachsen war. Wobei ein Präsident, der noch nicht einmal zum ordentlichen Schurken taugt, eine wirklich tragische Kinofigur ist. Brisant wird es, wenn er die amerikanische Öffentlichkeit für blöd verkaufen will, also den Vertrag zwischen Volk und Machthaber hinterrücks aufkündigt.
In Buck Henrys „First Family“ (1980) lässt sich ein Präsident, der um seine Wiederwahl bangt, auf ein diplomatisches Intrigenspiel mit einem Inselstaat ein. Übrigens will zur gleichen Zeit das Töchterlein des Präsidenten unbedingt die Jungfräulichkeit verlieren, was für die Umgebung des mächtigsten Mannes der Welt mindestens so aufregend ist wie die Möglichkeit eines dritten Weltkriegs. Macht und Sexualität sind ohnehin untrennbar verbunden. Früher waren allerdings auch die Liebesdramen der Präsidenten würdevoller. „The Presidents Lady“ (1953) erzählt die Geschichte der Ehe des siebten Präsidenten Andrew Jackson (Charlton Heston), der einst seine Geliebte heiratete, ohne zu wissen, dass deren Ehe noch nicht rechtskräftig geschieden war. Schon handfester ist, was den amerikanischen Präsidenten in „Dave“ (1993) umhaut. Nachdem ihn beim außerehelichen Vergnügen der Schlag getroffen hat, übernimmt ein naiver Stellvertreter (Kevin Kline) das Weiße Haus samt First Lady.
Der populistische Mythos verlangt nach steter Erneuerung durch den Mann aus dem Volk. Denn das ist das schönste Märchen, was man sich von diesem Amt erzählen kann. Im Kino aber sind die Schurkenrollen die interessanteren, wie Hackmans Präsident Richmond in „Absolute Power“, sozusagen die Quersumme aller Verfehlungen von Sex, Gewalt und Korruption. Insofern ist „Der Manchurian Kandidat“ der richtige Film zur richtigen Zeit. Da gibt es die Lügen in einem Krieg, den vermeintlichen Helden, der zum Kandidaten aufgebaut wird, die Kollaboration zwischen Politik und Konzernen, Angst, die geschürt wird, um antidemokratische Gesetze zu ermöglichen, kurz alles, was uns an politischen Alpträumen zu Präsident Bush jr. (und zu seinem Herausforderer Kerry) plagt, da ist es – in geballter Ladung. Aber eben: Hollywood ist nicht radikal genug, uns mit diesen Alpträumen allein zu lassen. Der Retter heißt Washington. Denzel Washington, um genau zu sein. Die schwarze Hoffnung fürs weiße Haus. Der ersehnte Mann aus dem Volk.
Autor: Georg Seeßlen
Text veröffentlicht in Welt am Sonntag
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