MAC ist ein kleiner, melancholischer Film über die Arbeit, den Kampf, die Liebe und die Familie, eine Ballade in herbstlichen Braun-Tönen für den Alltag und nachtdunklem Blau in den Träumen. Es ist die Geschichte des Vaters von John Turturro, der in seinem ersten Spielfilm ein erstaunliches Gespür für Stimmungen und Bilder zeigt. Der Vater Nicholas, genannt Mac, Sohn eines italienischen Einwanderers, will in den fünfziger Jahren den amerikanischen Traum verwirklichen und scheitert.
Eine Ballade also. „Ich erinnere mich“, sagt Turturro, „an die rauhen und kräftigen Hände von Papa und den Geruch von Zement. Alles war sehr körperlich in unserer Familie, und das umso mehr, als wir arm waren“. Und der Film erzählt um solche tiefen körperlichen Erinnerungen herum, sucht in seiner Erinnerungsarbeit stets zunächst das Detail und teilt auch dem Zuschauer dabei immer mit, was es heißt, sich zu erinnern, zum Beispiel an die Gespräche der drei Brüder im kleinen Badezimmer, an die Stimme der Mutter im Nebenzimmer, die nie zu sehen ist, sich nie zu den andern an den Tisch setzt, daran, wie Zement sich anfühlt, wie ein Stein auf den anderen gesetzt wird, wie Holz splitttert. Und während der Film erzählt, schafft er eine Art Denkmal des verlorenen Proletariats, der verlorenen Arbeit. Der Blick auf die arbeitenden Hände ist ein mythisches, wiederkehrendes Bild. Der Blick des Helden darauf ist voller Zärtlichkeit, der Blick des Films noch viel mehr. Sein Thema ist die Würde der Arbeit, die sich gegen Ausbeutung und Unterdrückung, gegen die Korruption und gegen den Verlust stellt. Und von Anfang an ist diese Würde bedroht: Mac weiß, wie man ein Haus baut, es ist ein in seiner Familie gespeichertes Wissen. Aber seinem Boss, der ihn sein Leben lang als immer neue Nemesis begleiten wird, kommt es auf etwas ganz anderes an, auf Macht. Man muß, sagt er, mit Geld umgehen und Geschäfte machen können, sonst bleibt einem nur eines, das verächtlichste: die Arbeit.
Mac glaubt daran, sein Schicksal in die eigenen Hand nehmen zu können, seine Fähigkeit zur Arbeit mitten in diesem amerikanischen System von Geld und Geschäft auf eigene Faust durchsetzen zu können. Er wird „Unternehmer“; mit all seinem Geld, mit dem Geld seiner Frau, seiner Brüder kauft er Land und baut Häuser darauf. Aber bei allem, was er tut, lässt er sich weniger von Geschäftssinn, als von seiner Besessenheit, von seinem Jähzorn, von Starrköpfigkeit leiten. Er versucht, seine ererbte ethische Vorstellung von Arbeit, Familie und Ehre auf den amerikanischen Traum zu projizieren und erleidet Schiffbruch. Alle seine unternehmerischen Entscheidungen waren falsch, aber zur Einsicht konnte er nicht gebracht werden: „There is only two ways, to do something, my way and the right way. And they are both the same“, hat der Vater ihm am Sterbebett gesagt, und mit denselben Worten, gerade einmal grammatisch korrigiert, wird Jahre später Mac auf die Vorhaltungen seiner Brüder reagieren. Aber am Ende werden sie ihn verlassen, sein Unternehmen bricht zusammen, auch die Familie hat ihre Kraft verloren.
MAC ist, ungewöhnlich genug für dieses Hollywood, zugleich eine proletarische Hymne und die Analyse eines tiefgreifenden Widerspruchs zwischen Arbeit und Kapital, und sehr stark und genau ist der Film, wo er Arbeit zeigt. Fast überdeutlich werden wir immer wieder auf diese Mythologie der Arbeit gestoßen; selbst Macs Liebeserklärung an seine spätere Frau handelt von der Arbeit. Für ihn, sagt er, sei jede Arbeit so etwas wie die erste Liebe. Aber auf der anderen Seite ist der Film auch eine Art shakespearsches Drama, ein „King Lear“ der amerikanischen Fifties, die Studie eines Menschen, der an seinen eigenen und den Widersprüchen seiner Zeit zugrunde geht und, mehr noch, auch andere zugrunde richtet. Das Drama indes beherrscht der Regisseur Turturro noch bei weitem nicht so gut wie die Beobachtung. Nachdem er uns alles Beobachtbare mitgeteilt hat und nur noch das Drama fortentwickelt, bekommt sein Film Längen.
Er habe, so sagt der Regisseur und Hauptdarsteller, den Produzenten einen Film vorgeschlagen, der „auf halbem Weg zwischen MEAN STREETS und FAHRRADDIEBE läge“, und daraufhin habe man ihn angesehen wie einen Außerirdischen. Der Film kam dennoch zustande, verrät nun aber vielleicht noch mehr den Einfluß von Turturros Freund Spike Lee, mit dem er bei DO THE RIGHT THING und JUNGLE FEVER zusammengearbeitet hat.
MAC ist ein Film der engen Räume; innen scheint es stets überfüllt, vom Sterbezimmer des Vaters, über den Bus, das Auto im Autokino bis zur Party – immer scheinen zuviele Menschen dort, die sich gegenseitig an der Entfaltung hindern. Der Weg des Films ist der von innen nach außen. Selbst bei dem kleinen LKW, den Mac und seine Frau Alice am Beginn ihres Geschäftslebens erwerben, sieht man zuerst nur in den Innenraum und die Scheibenwischer im Kampf gegen den Regen, der, abwechselnd mit der Hitze, die die Arbeit beschwerlich macht und an den Ursprung der Familie erinnert, das Klima der Ballade bestimmt. Erst am Ende häufen sich die Außenaufnahmen, Mac ist ins Freie gelangt, und weiß nicht, ob es eine Befreiung oder ein Ausgestoßensein ist. Ganz zum Schluss zeigt er seinem Sohn das Haus, das er gebaut hat, und spricht noch einmal von den Zeiten, als die Arbeit noch Wert und Würde gehabt hat.
Turturros eigenwilliger Realismus bringt wunderschöne cineastische Augenblicke hervor. So liebevoll hat lange keine Hollywood-Kamera mehr auf ihre Sujets gesehen. Aber es gibt auch ein paradoxes Problem darin, das ist die außerordentliche Disziplin, das Bewusstsein, die Konzentration des Regisseurs. Es fehlt das Geheimnis von MEAN STREETS und die Radikalität von FAHRRADDIEBE. Es ist der Film eines Menschen, der an seine Wurzeln erinnern und zugleich unter Beweis stellen will, wie kultiviert er ist. Es ist der Film eines Sohnes, der so wenig aufhören kann, akademisch zu sein, wie sein Vater aufhören konnte, Arbeiter zu sein.
Georg Seeßlen
Text veröffentlicht in epd film 2/93
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