The Book of Eli (Unversal Pictures)

Are we still the good guys?

Elias war der Prophet der Besitzlosen. Er erschien an einer ökonomischen Zeitenwende, da das Land des Volkes Israels aufgeteilt wurde unter den Starken und Mächtigen, und die Besitzlosen ins Elend zu fallen drohten. Was konnte er anderes verkündigen, als dass den Mächtigen der Landbesitz nichts nutzen würde? Im Buch der Könige steht geschrieben, dass Elija eine Dürre für das ganze Land vorhersah. Es war zugleich eine Schmähung des Gottes Baal, und seinem Kult der Fruchtbarkeit, der den Nordteil Israels beherrschte. Religion der Fruchtbarkeit diente. Elija oder Elias wanderte, während die vorhergesehene Dürre eintrat, in ein Seitental des Jordan, nach Süden, er wurde von Raben ernährt, er teilt das letzte Mal mit einer Witwe, und als deren Sohn stirbt, erweckt er ihn wieder zum Leben. König Ahab will ihn eigentlich umbringen lassen, aber er lässt sich zu einer Probe mit den Priestern Baals überreden. Nachdem Gott sein Opfer angenommen hat und es wieder regnet, lässt Elias alle 450 Baalspriester töten, doch weil ihm die Königin nach wie vor nach dem Leben trachtet, muss er weiter nach Süden fliehen. Ein feuriger Wagen führt ihn, nachdem sich die Feinde unterworfen haben, in den Himmel. Und Elias wird wiedergekommen, als der letzte Prophet, wenn die Zeit gekommen ist, und die Menschen ihre letzte Chance zur Umkehr erhalten. Oder auch nicht.

Apokalypse-Filme, und vor allem Post-Apokalypse-Filme sind religiöse Filme, oder Filme über etwas, was sogar noch tiefer liegt als Religionen; Elias ist immer in ihnen präsent, wenn auch nicht auf eine so direkte Weise wie in den beiden jüngsten Exemplaren des Genres, „The Book of Eli“ von Allan und Albert Hughes und „The Road“ von John Hillcoat (der Nick Caves düsteren Familien-Western „The Proposition“ inszenierte und hier wieder beim musikalischen Konzept mit ihm zusammen arbeitete) nach dem gleichnamigen Roman von Cormac McCarthy. Dort durchqueren ein Mann und sein Sohn die postapokalyptische Welt und treffen auf einen halbblinden alten Mann, der sich Eli nennt. „Sie machten ein Feuer, damit sich der Alte aufwärmen konnte, und auch das passte ihm nicht. Beim Essen saß der Alte, in seine einzige Decke gehüllt, auf der Erde und hielt den Löffel wie ein Kind. Sie hatten nur zwei Becher, und er trank Kaffee aus der Schale, aus der er gegessen hatte, die Daumen über den Rand gehakt. Saß da wie ein ausgehungerter, zerlumpter Buddha und starrte in die Glut.

„Sie können nicht mit uns gehen, das wissen Sie“, sagte der Mann.

Der Alte nickte.

„Wie lange sind sie schon unterwegs?“

„Ich war immer unterwegs. Man kann nicht an einem Ort bleiben.“

„Wovon leben Sie?“

„Ich mache einfach immer weiter. Ich habe gewusst, dass das passieren würde.“

„Sie haben gewusst, dass das passieren würde?“

„Ja, das oder so was Ähnliches. Davon war ich immer überzeugt.“

„Haben Sie versucht, sich darauf vorzubereiten?“

„Nein. Wie würden Sie das denn anstellen?“

„Ich weiß nicht.

Die Leute haben sich ständig auf das Morgen vorbereitet. Das hat mir nie eingeleuchtet. Das Morgen hat sich doch auch nicht auf sie vorbereitet. Es hat ja gar nichts von ihnen gewusst.“

Die Apokalypse, ob man sie nun mit einem Sinn, einer Moral oder einer Geschichte unterlegt oder nicht, ist der radikalste Wandel, den man sich vorstellen kann. Alles wird danach anders, sogar die Naturgesetze, die Zeit, das Subjekt. Wahrscheinlich drehen sich dann auch die Propheten um. Sie werden Nicht-Seher. „Es gibt keinen Gott und wir sind seine Propheten“.

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Das Thema der Post-Apokalypse-Filme ist die Einsamkeit. Das Sprechen hat ja nun keinen gesellschaftlichen Resonanzboden mehr, daher wird es zugleich besonders scharf und vage. Man verletzt sich an Worten, deren Bedeutung gerade verloren geht, und man zerbricht an der Rede zu einem falschen Gegenüber. Die Szenen von „I am Legend“, wo Will Smith mit einer Schaufensterpuppe redet, und, um ein Versprechen seinem toten Hund gegenüber, ein Date auszumachen versucht, nimmt in einer milderen Version den Verlust vorweg, den die Idee eines „letzten Menschen auf der Erde“ mit sich bringt. Das beschäftigt uns derzeit.

Moon (Koch Media)

Von so einer radikalen Einsamkeit handelt ja auch Duncon Jones’ „Moon“, von einem Astronauten (Sam Rockwell), der seit drei Jahren mit der Gegenwart eines nicht einmal besonders androiden Roboters Gerty auskommen muss. Jetzt endlich soll er zur Erde zurück kehren, zu Frau und Tochter, aber da verursacht er einen Unfall, als er einen der riesigen Bagger repariert, mit denen hier „Helium 3“ abgebaut wird. Und als er von der vollautomatischen Krankenstation zurückkehrt, steht plötzlich ein Mann vor ihm, der genau so wie er selbst aussieht und behauptet, er habe hier einen Dreijahresvertrag zu erfüllen.

Es ist das Verschwinden der Zeit selber, um die es hier geht. Man berührt die Ewigkeit, den Augenblick, man überlebt immer jetzt, und vielen Menschen, wie der Frau des Mannes in „The Road“, kann das Überleben das Leben nicht ersetzen. Es war, wie es am Ende von Cormac McCarthys Roman heißt, „alles älter als der Mensch“. Und man wird erinnert an Forellen, deren wurmlinige Musterungen die „Karten von der Welt in ihrer Entstehung waren“. Die Welt nämlich, auf dem Mond, im ausgerotteten, nur von nächtlichen Ungeheuern wimmelnden Manhattan, im postapokalyptischen Amerika mit Holzhäusern und Tankstellen ohne Menschen und Menschlichkeit, gerät wieder in einen organischen Urzustand. Nur Holzköpfe glauben, die Apokalypse habe dem Menschen etwas zu sagen, und ideologische Holzköpfe machen sogar noch die Chance für einen Neuanfang daraus, so wie in Roland Emmerichs  Filmen: „The Day After Tomorrow“ warnt der übliche Klimaforscher seit Jahren, und dann kommen sie auch, die Tornados und Flutwellen, der Hagel und die arktischen Temperaturen. Erst einmal muss er seinen Sohn retten; Wölfe kommen auch vor, und ein unterirdischer Weg ins vereiste New York. Auch in „2012“ rummst und rumort’s nach Herzenslust, Menschen sterben, die meisten haben es nicht anders verdient. Einige Wochen später ist die Erde zur Ruhe gekommen, die Luft ist wieder klar, die Kontinente haben sich radikal verändert. Adrian und Laura sind ein Paar, Jackson hat sich mit seiner Ex-Frau und den Kindern versöhnt. Der Ozean glättet seine Wogen, die drei „Archen“ öffnen ihre Luken, der Kontinent, der als einziger heil geblieben ist, wird zur neuen Heimat: Afrika.

Die Apokalypse ist zu ernst, und übrigens zu schön, um sie den Roland Emmerichs dieser Welt zu überlassen.

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Old School-Weltuntergangsfilme sind in aller Regel Restaurationsfilme, komplett mit Bußpredigt und Vergebung der Sünden. Restauriert wird die alte Gesellschaft in kleiner Form, die Familie, die Kirche, das Militär, die Technologie; das ganze ist eine Mischung aus „Heilsamer Schock“ und Melodrama: Die Guten werden noch besser, und die Schlechten noch schlechter. Jedem geschieht das Seine. Es ist eigentlich kein Weltuntergang sondern eine besonders groß angelegte Katastrophe. Ein Ereignis, das man, wie 9/11, nicht verstehen, aber integrieren kann.

Aus einer Gesellschaft im Verfall soll wieder eine Gesellschaft im Werden werden. Davon handeln die „Mad Max“-Filme, deren Neustart uns ins Haus steht, George Miller ist selber wieder dabei, jener Regisseur, der als Arzt die Folgen der Autobesessenheit seiner australischen Mitmenschen kennen lernte und daher gar nicht weit in die Zukunft dachte um seine Rechnung von Blut und Treibstoff aufzumachen. Damals entstand ein feines Trashfilm-Genre, das Kino to the bones war, Bewegung und aus dem Müll gezogene Kulissen; man braucht nicht viel, um Geschichten aus einer Welt zu geben, in der es nicht mehr viel gibt. Endzeitfilme schlossen direkt an das verglimmende Genre des Italowestern an, und auf den Kopf gestellte Western waren auch viele der amerikanischen Filme, insbesondere die beiden echten „Schinken“ des Postapokalypse-Films, die Kevin Costner verantwortete: „Waterworld“ und „The Postman“. Sie ruinierten das Genre, und sie ruinierten beinahe ihren Produzenten, Regisseur und Star. Der nämlich tat einfach so, als könnte man in der Zeit nach dem Weltuntergang die guten alten amerikanischen Helden brauchen. Als müsste man nur den verlorenen Traum vom Westen aufrechterhalten, als wäre Hoffnung, was Helden gefälligst erzeugen sollten. Kid Stuff!

Spätestens bei „Die Straße“ kann man (wie vordem schon bei Paul Austers „Stadt der letzten Dinge“) nicht anders als das soziale Stranden mitdenken, das schon eine Zeit zur Realität geworden ist, und das nur noch eine Frage der Sichtbarkeit aufwirft: Die Stadt New York zahlt obdachlosen Familien eine Einweg-Reise, egal wohin. Die kranken, kaputten, verdorbenen Menschen sehen die Welt nicht viel anders als die Kinozuschauer in „Das Buch von Eli“ und „Die Straße“. Die tägliche Arbeit des körperlichen Überlebens, der gleichgültige, sadistische Kannibalismus, die armselige Habe, die in einem alten Einkaufswagen Platz hat. Als hätte der Untergang nicht schon längst stattgefunden.

„The Road“: Vor zehn Jahren, gerade als der Junge geboren wurde, hat die Katastrophe begonnen. Die Mutter ertrug das Leben nicht und verschwand in die Dunkelheit, ohne sich von ihrem Kind zu verabschieden. Aber es waren ihre letzten Worte, dass Vater und Sohn nach Süden gehen sollten. Durch ein Land des Todes und der Dürre, in dem essbare Tiere und Pflanzen nicht mehr existieren. Kannibalistische Horden durchstreifen das Land, der Sohn nennt sie die bad guys. Und worum es geht, außer um das pure Überleben, die Suche nach Essbarem in den Trümmern, ist es, auf der Seite der Guten zu bleiben, vielleicht als einzige (sieht man von Eli ab, dem Anti-Propheten: „Wenn alle weg sind, wird alles besser“).

The Road (Senator Film)

Die größte Gefahr für die Guten ist der Selbstmord. Am Beginn hatte die Familie nur zwei Kugeln im Revolver, bald darauf hat der Vater von den beiden eine gebraucht, um den Sohn zu retten. Nun ist der Sohn für den Vater zugleich Gott, den er tragen muss. Am Ende stirbt er, in der Welt des ewigen Winters; eine vage Hoffnung bleibt für den Sohn, dass er eine Gruppe der Guten gefunden hat.

„Das Buch von Eli“: Im Jahr 2044 ist der einsame Eli (Denzel Washington) in den völlig verwüsteten USA unterwegs, diesmal nicht nach Süden, sondern wieder nach Westen, um ein geheimnisvolles Buch zu überbringen. Auch hier gibt es keine Tiere und kaum noch essbare Pflanzen. Es ist, logisch, die Bibel, die im „Großen Krieg“ vor dreißig Jahren beinahe ausgerottet wurde, da man sie offensichtlich als „gefährliches Buch“ einstufte. Hinter dem raren Exemplar ist auch Carnegie her (ein trashig chargierender Gary Oldman, nebenbei), der Führer einer Motorradbande in einer Wüstenstadt. Er will den heiligen Text in seine Hände bekommen, um damit die restliche Menschen noch besser unterdrücken zu können. Eli aber ist eine klassische Kino-Einmann-Kampfmaschine mit Machete, Schrotflinte und Pistole, so stellt man sich eben im Mittelwesten einen Propheten vor. Der, wie sich schließlich herausstellt, blinde Eli kann seinen Auftrag vor seinem Tod erfüllen, weil er den Text in sich hat. Und wie wir wissen: im Anfang war das Wort. Wenn in „The Road“ ein Prophet des Untergangs verschwindet, dann wird er in „The Book of Eli“ auf brachialste Weise rekonstruiert. Und wenn in „The Road“ der Wert eines Menschenlebens verhandelt wird, dann gibt der debilchristliche Schmock von „The Book of Eli“ die Bösen wieder mal zum Abschuss frei. Leise pfeift sich eine Ennio-Morricone-Melodie daher; vielleicht ist doch alles zwar blutig aber nicht ganz und gar ernst gemeint?

Adorno hat gemahnt, wer sich die Katastrophe so angelegentlich ausmalt, der will sie auch. Da war er wieder einmal besonders streng, der Adorno. Denn erst einmal geht es darum, sich überhaupt vorstellbar zu machen, was eher von Symptomen als von Menschen prophezeit wird. Nach 9/11, nach Katrina, nach dem Irak und Afghanistan, nach Guantanamo und Wikileaks, nach der Immobilienkrise und so weiter: Die Frage ist, ob man noch Werte durch diese unentwegten Katastrophen retten kann, und wie diese aussehen. Militante Fundamentalchristen allüberall, auch im B-Sektor von Filmen wie „Mutant Chronicles“ (2008), Elias als wiedererweckter Messias, eine vorauseilende Besetzung der „Zeitenwende“, das ist einigermaßen zum Kotzen.

Umgekehrte Frage: Muss eigentlich jede Art von Religion (und Popkultur ist auch nichts viel anderes) auf eine Endzeit hinaus (um die „Auserwählten“ zu produzierten, wie auch in den Apokalypse Computer-Games, etwa „The Fall: Last Days of Gaia“ oder „Metro 2033“)? Weil, zum Beispiel, das Unendliche nichts wäre ohne die Endlichkeit. Das Ende ist gewiss, als Einzelner wie als Kollektiv, im Raum wie in der Zeit. Aber genau dort begegnen sich das Endliche des Menschen und das Unendliche, in der Apokalypse. Das meint keinen läppischen Weltuntergang à la Roland Emmerich, wo die tüchtigen Jungs nach der Katastrophe eben wieder von vorne anfangen. Es ist eine radikale Verwandlung; Anfang und Ende haben da weniger Bedeutung. Menschen, die paradoxerweise eben gerade ihrer Metaphysik (ihren zornigen oder gleichgültigen Göttern) begegnet sind, sind mit einem Schlag nichts anderes mehr als sie sind, erkennen, sehr existentialistisch, ihre Freiheit, und wie wenig sie damit anfangen können.

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Die Farben der Apokalypse haben sich gewandelt; es sind nun die Braun- und Grautöne, das Pastell der Verwesung. Nicht die Explosionen, die grellen Farben und die Einstürze, es ist das Verschwinden, die Auflösung, das Verschwimmen. Diese Verdreckung und Vererdung haben wir schon längere Zeit beobachten können: Mindestens die Poster und Cover der härteren Horrorfilme der letzten Jahre sehen aus wie mit Blut und Scheiße gemalt. Nicht mehr der scharfe Schnitt, die radikale Zertrennung des Körpers, nicht die Fontäne des Bluts ist es, was uns grauen macht, sondern das Verschmieren und Verschlieren, der abgeschürfte und enthäutete Körper, der sich dem untoten Außen öffnet, als könnte da noch etwas kommen. Verhungern und verdursten; nicht die Welt geht zugrunde, der menschliche Körper tut es. Nur ein lähmendes Gelb legt sich darüber. Als würde man in den Schlamm zurückkehren, Biomasse werden wollen. Erinnern wir uns an die Zeiten, als Gewalt trocken war? Sie ist nun feucht, unscharf, dämmrig, verstaubt.

Nicht einmal die aktuellen Vampire beißen scharf, sondern machen sich verschmelzend an die Menschen heran; die Zombies ohnehin, sind aufgelöste Körper, verflüssigte Massen. Die Zombies waren die wahren Propheten der Apokalypse, sie nahmen die Trennung des Menschen von Gott und seiner Geschichte vorweg. „The Road“ ist unter anderem ein Zombie-Apokalypse-Film, der keine Zombies mehr benötigt. Die Menschen sind sich selber ungeheuer und untot genug. Und doch findet auch hier eine Art Versöhnung statt. Der Junge, kaum ist er nach dem Tod des Vaters von einer „Guten“ adoptiert, wird auch schon wieder mit der Religion traktiert: „Manchmal sprach sie mit ihm über Gott. Er versuchte, mit Gott zu reden, aber am besten war es, mit seinem Vater zu reden, und er redete tatsächlich mit ihm und vergaß nichts. Die Frau sagte, das sei schon in Ordnung. Der Atem Gottes, sagte sie, sei sein Atem und werde durch alle Zeiten von Mensch zu Mensch weitergegeben“.

Es ist der Atem, der zählt. Guten Filmen kann man beim Atmen zuschauen. Und dabei, wie das immer schwerer wird. Schlechte Filme hyperventilieren bloß.

Text: Georg Seeßlen