Ulrich Seidls Roadmovie geht in Richtung Ost-West
Weggehen, so viel ist klar, hat in den seltensten Fällen mit Luxus zu tun. Und mit Glück schon gar nichts. In Import Export beschreibt Ulrich Seidl zwei Geschichten vom Weggehen. Sie müssen einander nicht berühren, denn sie bedingen einander. Und kalt ist es überall.
Da ist die junge Krankenschwester in der Ukraine. Mit ihrem Kind und mit der Mutter wohnt sie in einem Plattenbau, für den man das Wasser in Kanistern holen muss. Den Lohn bleibt das Krankenhaus größtenteils schuldig. Olga will nicht glauben, dass dies alles sein soll. Sie macht sich auf nach Österreich. Dort findet sie eine Stellung als Kindermädchen bei ein paar reichen Leuten, aber dann entlässt die Frau sie, in einer Mischung aus Eifersucht, Misstrauen und Arroganz. Man kann die Leute einstellen und wieder entlassen, nach Belieben, so ist das hier, sagt die Frau. Olga findet eine neue Arbeit, wieder in einem Krankenhaus, in einer geriatrischen Pflegeabteilung, aber diesmal nur als Putzfrau. Wenn sie sich um einen der Patienten zu sehr kümmert, dann hat sie schon ihre Kompetenz überschritten.
Und da ist der junge Pauli in Wien. Er hat sich seinen Traum erfüllt und ist ein security man geworden, hart genug dazu fühlt er sich, und den Rest hat ein Ausbilder besorgt, der vielleicht ein paar amerikanische Militärfilme zu viel gesehen hat. Den Job ist Pauli schnell wieder los, vielleicht ist er doch nicht so hart, clever genug jedenfalls nicht. Pauli stellt sich beim Arbeitsamt vor, macht sinnlose Kurse für Vorstellungsgespräche und Schulden. Dann nimmt er mit seinem Schwiegervater einen Auftrag an, Automaten aufstellen in den Ländern des Ostens. Bis hinunter in die Ukraine geht es. Am Ende hält er es bei dem Schwiegervater und seinen öden Sex- und Saufspielen nicht mehr aus. Er ist allein in einem verdammt kalten und großen Land, aber das ist entschieden besser als einfach so weitermachen.
Man könnte sagen, in diesen Wegen zeichne sich das Elend ab, und man könne sehen, wie solches Elend zugleich von den Verhältnissen und von den Menschen selbst erzeugt werde. Bald werde Österreich wie die Ukraine aussehen, wenige Gewinner und viele Verlierer, und dazwischen Bosheit und Verzweiflung. Aber genauso könnte man sagen, Seidl beschreibe dieses Mal zwei Menschen, die sich nicht vollständig von den Verhältnissen bestimmen lassen und um ihre Würde kämpfen. Wieder einmal erspart uns Seidl wenig. Ganz direkt und unausweichlich sehen wir Menschen beim Sterben zu, beim sexuell und ökonomisch Ausgebeutetwerden, beim Hoffnungverlieren. Und das alles mit dem insistierenden Seidl-Blick, der immer verletzt und peinigt, der sich verstärkt, wo er das größte Elend in berückend „schönen“ Einstellungen zeigt, der aber nie zynisch wird, nicht einmal da, wo sich das Elend als Groteske zeigt und das verfehlte kleine Glück zu absurden Übersprunghandlungen führt wie etwa im Eifersuchtskampf zwischen Olga und der Krankenschwester nach einem furchtbaren Maskenball auf der Station. Aber zur gleichen Zeit insistiert Seidl auch auf der Kraft seiner beiden Hauptfiguren; ihre Reise in das fremde Land war nicht nur ein Abstieg in die Abgründe, sondern hat auch den Keim der Befreiung in sich. Beide Geschichten, die Import-Geschichte von Olga und die Export-Geschichte von Pauli, enden offen nach einem Akt der Befreiung. Das ist schon fast mehr, als man zu erhoffen wagte.
Import Export ist eine Art Wendepunkt in Seidls Arbeit. Zum einen gibt es all das, was man liebt (oder hasst) in seinen Filmen: Die langen Einstellungen auf Situationen, die sich nicht narrativ auflösen, die Kadrierungen im Bild (wie eine wundervolle Einstellung durch die Tür auf die tanzende Mutter Paulis), der plötzliche Umschlag vom Komischen ins Tragische und umgekehrt, das unfrivole Überschreiten sexueller Abbildungsgebote, das ungewöhnliche Gespür für die Dauer von Einstellungen und deren Verhältnis zueinander, der Wechsel der Darstellung zur Selbstdarstellung und vieles mehr. Aber zur gleichen Zeit scheint Seidl hier immer häufiger die selbst gewählte Distanz zu überwinden; es gibt Szenen, in denen man den Figuren wenn nicht bis zur „Identifikation“ so doch mindestens zur Parteilichkeit nahekommt.
Vom Leiden an der Unmenschlichkeit der Welt, die der Film an Einzelnen zeigt, die in aller Regel umso tiefer ins Elend geraten, je offener sie ihre Sehnsucht nach Glück und Liebe zeigen, geht der Weg zu einem konkreten Mit-Leiden. Seidl hat seine Figuren noch nie kalt angesehen, aber er hat sich, mit guten Gründen, wenn man sich unsere Filmkonventionen vor Augen führt, vor gewissen Mechanismen der Berührung und der Einfühlung gehütet; er hat nie die Genauigkeit dem Sentiment geopfert, was seine Filme auf der einen und der anderen Seite der Leinwand manchmal zu einem ziemlich harten Stück Wahrnehmungsarbeit macht. In Import Export ist Seidls Verhältnis zu den beiden Hauptfiguren so zärtlich, dass er sie unmöglich in ihrem Elend alleinlassen kann. Ein gewonnener Kampf, eine offene Straße. Unterwegs zu jenem Ort, der uns in die Kindheit schien, und an dem noch niemand war. In der Welt, in der man kaum noch Grenzen der Länder, Sprachen und Codes braucht, weil die sozialen Grenzen gewaltsam genug sind. Und da werden auch Seidls Bilder sanfter, fließender, offener und wärmer. Doch, man kann sich Import Export als optimistischen Film vorstellen.
Autor: Georg Seeßlen
Text veröffentlicht in epd Film
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