Das Mädchen und der Outlaw
Es ist eine alte Geschichte, die »Lawn Dogs« erzählt. Die Geschichte vom Mädchen und dem Outlaw. Die Hexe Babi Yaga kommt darin vor, ein böser Vater, zwei Halunken mit einem Hund, rote Bänder in den Bäumen, Baden im Fluß, Wolfsgeheul über den Dächern, Schußwunden, die amerikanische Fahne, und natürlich sehr viel grüner Rasen, der beständig gemäht werden muß. Wir sind in Kentucky.
Das Mädchen ist mit seinem Handwägelchen unterwegs, um Cookies zu verkaufen und sieht mit seinem Barret auf dem Kopf wirklich nach einem modernen Kentucky-Rotkäppchen aus. Es hat ein krankes Herz und wäre beinahe gestorben. Aber nun hat es einen Herzschritt- macher. Ein neues Leben. Aber das Mädchen hat keine Freunde (»I don’t like kids, they smell like TV«). Der Outlaw verdient sein Geld, indem er den guten Bürgern der Gegend den Rasen mäht. Die schauen nur böse und kaputt aus ihren Fenstern oder feiern Barbecue Parties. Sie leben in einer Siedlung, die Camelot Gardens heißt. Die Frauen sind frustriert und lassen sich bei der Gartenarbeit von jungen Männern betatschen. Oder beim Salatmachen.
Die Männer sehen Fernsehen und haben furchtbare Shorts an. Nur von ihrem Rasen scheinen sie alle besessen. Der Outlaw trinkt Bier, lebt in einem Wohnwagen und badet nackt im Fluss. Er hat eine Wunde, die das Mädchen sehen will. Der Sheriff, der Vater des Mädchens, die beiden Schurken mit dem Hund – sie alle mögen den Outlaw nicht. Der will eigentlich nur seine Ruhe: »There are people who own the lawns and people who mown them.« Nur das Mädchen mag ihn. Sie fahren in seinem klapprigen Pritschenwagen herum, sie erzählen sich Geschichten, sie rülpsen und klauen Hühner. Es ist der Hund, der den letzten Akt des Dramas einleitet. Der Outlaw erschlägt ihn. Mit gutem Grund. Aber das Mädchen versteht das nicht. Die Geschichte endet ziemlich blutig. Und märchenhaft.
Aber die Geschichte ist nur eine Geschichte. Weil man in dieser zähen und grünen und brutalen und langweiligen Welt nur mit Geschichten überleben kann. Weil man hier nur stolz sein kann auf seinen gepflegten Rasen, oder daran kaputtgehen. Deshalb beginnt der Film mit ein paar besonders schönen Bildern, in der diese fiese Idylle zerstört wird. Der Mensch als verbissener Rasenmäher; tote Fliegen als Cookie-Verzierung, von Rotoren zerfetztes Spielzeug, ein Junge, der unentwegt Krieg spielt. Camelot Gardens ist ein Gefängnis der Reichen, und der Oulaw, »piss poor«, weiß nicht, ob er sie beneiden soll, hassen oder ignorieren. Und welche Art von Bedrohung er für dieses absurde Ghetto ist, weiß er selber auch nicht so genau. Huckleberry Finn in Peyton Place; Sirk-Town revisited. Ein Märchen aus der amerikanischen Klassengesellschaft. Ein bißchen in sich selbst verliebt. In seine Methode, schöne Bilder zu erzeugen, um darin dann die kleinen und großen Grausamkeiten zu entdecken. Wie das Mädchen mit seiner Puppe Mühle spielt, und wenn sie gewinnt, ihr den Arm ausreist. In diese Art der fiesen, schönen Bilder von einer fiesen, schönen Welt, die dringend eines Erlösers bedürfte. Den bekommt sie nicht. Höchstens einen Zauberwald, der das Gefängnis vielleicht endgültig schließt.
Autor: Georg Seeßlen
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