Django in Sandalen

Lange, wirklich sehr lange ist es her, seit man im Kino römische Heerscharen, den Zirkus Maximus, Gladiatoren und Frauen in wallenden weißen Gewändern gesehen hat, die nur die Wahl zwischen Duldsamkeit und Verschwörung haben. Wie könnte heute ein Film dieses prächtigen, in den sechziger Jahren zu Tode produzierten Genres aussehen?

Ridley Scotts »Gladiator« beginnt beinahe vielversprechend. Es ist eine Schlacht zu sehen, nein, ein Schlachten ist’s, ein Gemetzel, bis zum Sieg der römischen Legionäre über die germanischen Barbaren, die gegen eine überlegende Kriegstechnik und strategische List nur ihre Wildheit und die Düsternis ihrer Wälder aufzubieten haben. In der Grausamkeit dieser Schlacht verborgen könnte die Frage sein: Was machte das römische Reich so überlegen, worin lag die Auseinandersetzung des Zivilisatorischen mit dem Barbarischen? Aber kaum ist die Schlacht zu Ende, stellt sich der Film auch schon eine andere Frage, die Shakespeare-Frage nach dem Inneren der Macht und ihrem Sterben.

Der weise und mächtige Imperator Marcus Aurelius (Richard Harris) sieht den Tod nahen und bestimmt zu seinem Nachfolger nicht den eigenen, missratenen Sohn Commodus (Joaquin Phoenix), der nicht zur Schlacht erschienen ist, sondern den siegreichen General Maximus (Russell Crowe), der nach getaner Arbeit eigentlich nur nach Hause möchte. Doch vor der offiziellen Machtübergabe ermordet der Sohn den Vater und tritt seine Nachfolge an. Den Nebenbuhler will er erschlagen lassen, aber der entkommt seinen Mördern, und eilt nach Hause, Frau und Kind zu retten. Zu spät. So also beginnt die dritte Geschichte, und die ist nun so deutlich eine klassische Western-Rachegeschichte, daß sich weder die Kameraführung noch die Musik dezente Hinweise verkneifen können. Als wäre es uns ansonsten entgangen, dass sich Maximus nun in eine Art Django verwandeln muss. Maximus wird von Sklavenhändlern aufgegriffen und irgendwo in der südlichen Provinz als Gladiator verkauft.

Die Gladiatorenkämpfe – da hat sich der Film wirklich allerlei einfallen lassen – funktionieren wie antike Videospiele, das heißt, man weiß als Kämpfer nicht genau, welche Gefahren und welche Gegner es zu bezwingen gilt. Maximus wird zum großen, nein, natürlich zum größten Gladiator, aus drei Gründen: erstens weil er motiviert ist, irgendwann doch noch zu seiner Rache zu kommen, zweitens weil er das strategisch-militärische Denken in den Gladiatorenkampf überträgt und drittens weil er die Lehre seines Besitzers Proximus (Oliver Reed als Ex-Gladiator) beherzigt. Es genügt nicht zu siegen, lautet sie, man muß auch noch das Herz der Menge erringen. Es könnte also ein Exkurs über das Wesen des aggressiven Entertainments und seine Rolle in der Politik folgen. Tut es aber nicht…

Das Ganze hätte durchaus etwas werden können, wenn das Drehbuch nicht beständig vor den eigenen Konsequenzen ausgewichen wäre und, statt sich der historischen Allegorie zu stellen, nur ein paar ideologische Fragmente zwischen eine B-Film-Story gepappt hätte. Rom ist ein bisschen Antike, ein bisschen US-Amerika, ein bisschen Fantasy. Die Römer tragen nun nicht mehr diese Locken, über die sich Roland Barthes einst lustig gemacht hat, sondern angedeutete Caesaren-Schnitte, sie agieren nicht mehr wie Marmorstatuen und Kriegsmaschinen, sie können schmutzig, blutig, unordentlich sein. Aber auch zu einem »Spät-Sandalenfilm« reicht es bei »Gladiator« nicht, weil ihm mit der Tragödie auch die Fähigkeit zur Ironie abhanden gekommen ist, und am Ende nur das Melodrama bleibt. Was Scott in »Alien« glorreich gelungen ist, nämlich einen an sich höchst trivialen Stoff visuell und psycho-mythologisch so aufzuladen, daß der Film zu einem unbehaglich treffenden Bild der Zeit wird, das bleibt hier in Ansätzen und Versprechungen stecken. Dabei hätte es durchaus etwas für sich, diesem glamourösen und immer schon, selbst in seinen wundersam infantilen Beispielen, mit einem Hang zur Melancholie begabten Genre zu einer Renaissance zu verhelfen.

Zu Sehen gibt es in diesem Film, beim Jupiter, genug. Manchmal hat das sogar seinen eigenen meta-dramatischen Reiz, etwa in dem Bild, in dem wir einen Taubenschwarm durchs Kolosseum fliegen sehen, so als müßte man uns darauf hinweisen, daß wir uns nun keineswegs in einer eindimensionalen Kulissenwelt befinden. Und die Choreographie der Gladiatoren-Kämpfe kann sich, am Rande des Leinwand-Sadismus, sehen lassen. Aber der Film verspricht zu viel und zu wenig zugleich, er ist zu klug für ein naives Spektakel und zu dumm für eine historische oder wenigstens filmische Reflexion. Seine Figuren entstammen diversen Genre-Repertoires, keine von ihnen ist zur in diesem Genre stets lauernden unfreiwilligen Komik »übertrieben«, manche sogar, wie der obligatorische schwarze Freund des Gladiatoren, lakonisch zurückgenommen, aber keine macht auch neugierig auf ein inneres Geheimnis. Und nie führt Scott etwas vor, was nur das Kino kann, nämlich eine Annäherung an Menschen, die nirgendwo mehr existieren als in unserer Vorstellung und – vielleicht – in den verschütteten Labyrinthen des Mythos und den Konstruktionen der Wissenschaft von der Vergangenheit.

Viel mehr bleibt also nicht von »Gladiator« als ein paar grandiose Bilder und die Empfindung, man würde vielleicht Russell Crowe ganz gerne mal in einem »richtigen« Western sehen. Und nebenbei erzählt »Gladiator« von der Krise des amerikanischen Actionfilms. Aber das ist eine andere Geschichte.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht bei strandgut.de

Bilder: UIP