Palavern wir!
Ein deutscher Dokumentarfilm, der in drei praktischen Fällen der Frage nachgeht, was nach einem Mordprozess, nach Verurteilung, nach oder während der Verbüßung zwischen Mörder und den Angehörigen der Opfer passieren könnte oder sollte. Redet man miteinander? Nie? Oder doch? – Also ein psychosoziales Experiment. Patrick, der Sohn des Gero von Braunmühl, möchte gern von Birgit Hogefeld wissen, warum die RAF 1986 seinen Vater, hoher Beamter im Außenministerium, getötet hat. Sie redet nicht. Er redet mit einem anderen RAF-Mitglied namens Manfred. Klar, der Mord ist juristisch ungeklärt, und „Mord verjährt nicht“.
Keins der drei Experimente führt in diesem Film zum Ergebnis des Miteinanderredens, wohl aber dazu, den Weg intensiv mitzugehen. Der Film selbst kommentiert nicht. Er scheint das jeweilige Ergebnis selbst nicht zu kennen. Das ist spannend. Man geht mit, genauer: ich ging mit. Nach Wisconsin, nach Norwegen. Dort verschließt sich der Vater der Sechzehnjährigen einem Gespräch mit dem Jugendlichen, der seine Tochter getötet hat (aus Eifersucht). Und damit sind wir beim Paradefall (für meine Wahrnehmung des Films). Denn das Reden hätte doch was gebracht. So kommt es während dieses Experiments heraus, dass der Täter vom Opfer bis zur Weißglut gereizt worden war? Per Telefon unterrichtete sie den Eifersüchtigen laufend über den Sex, den sie grade mit dem anderen hatte. Der Fall rückt näher. Juristisch ist alles klar. Mord bleibt Mord. Aber für die Angehörigen des Opfers und für den Täter ist damit nicht alles geklärt (der Jugendliche kommt schon nach wenigen Jahren Jugendstrafe in den Ort der Tat zurück).
Mir fällt die afrikanische Tanzgruppe aus Ghana und der Elfenbeinküste ein. Sie führte im Projekt „Der internationale Gerichtshof in Strafsachen“ (Gintersdorfer / Klaßen) vor, wie in ihrer Heimat solch ein Fall gelöst wird: durch das Palaver. „Palaver“ bittschön ein positives Kriterium. Die Gemeinschaft, Täter/Opfer inklusive, redet so lange, bis eine von allen akzeptierte Lösung gefunden ist. – Sorry, ich bin vom „Beyond Justice“– Film weg, aber bin angeregt, in die Welt zu kucken. Wie war das noch mit der in Asien verbreiteten Auffassung, dass jeder seine Anteile an Schuld und Unschuld hat? Die Welt lässt sich eben nicht spalten in ja oder nein, Gott oder Teufel, Gläubige oder Ungläubige. – Ich hör auf. Palavern wir!
Dietrich Kuhlbrodt
Bilder: © piff medien
Dieser Text erschien zuerst in: Konkret 6/15
- Beyond Punishment (Hubertus Siegert) - 21. Juli 2015
- Das radikal Böse (Stefan Ruzowitzky) - 1. Mai 2015
- Studio H&S: Walter Heynowski und Gerhard Scheumann. Filme 1964–1989 - 30. April 2015
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