Mit viel Tempo, mit einem großen Mix aus unterschiedlichen Genres, wartet der Berlinale Wettbewerbs Film aus der Volksrepublik auf, „Xiang Fei De Nv Hai“, der Drehbuchautorin und Regisseurin Vivian Qu. International bekannt geworden ist die Regisseurin mit ihrem Film „Angles Wear White“ (Venedig 2017). Ihr neuer Film mit dem Verleihtitel „Girls on Wire“ wurde groß erwartet.

Qu folgt auch hier dem Lebensweg zweier jungen Frauen mit unterschiedlichen Lebenswegen. Fang Si und Tian Tian sind Cousinen und beide mit den Verhältnissen ihrer desaströsen Herkunftsfamilien konfrontiert. Die Tante/Mutter hat ein Textilunternehmen an die Wand gefahren, ihr Bruder wiederum in ihrem Auftrag einen Mord begangen. Er ist außerdem schwerst drogenabhängig, fordert permanent Geld und bedroht die ganze Familie. Während Fang Si es schafft sich zu lösen – sie träumt von einer Schauspieler Karriere, kommt dann aber nur als Stuntwomen in den riesigen Filmstudios von Xiangshan unter – bleibt Tian Tian dramatisch in ihrem Millieu stecken. Früh wird sie schwanger und auf Grund der familiären Drogenverwicklungen selbst heroinabhängig gemacht.

Liu Haocun, Wen Qi
Xiang fei de nv hai | Girls on Wire
CHN 2025 | Regie: Vivian Qu
Sektion: Wettbewerb 2025
© L’Avventura Films

Der Film verhandelt das Thema familärer Loyalitäten auf zwei Erzählebenen. Mit vielen, den eigentlichen Plot zunehmend ins Stocken bringenden Rückblenden, werden einzelne Stationen der Kindheit erinnert. Beide Frauen träumen vom fliegen, Sinnbild für Selbstfindung und Freiheit. Während sich Tian Tian nur einen Vogel (eine Krähe) auf den Arm tätowieren lassen kann, schwebt Fang Si als Stuntwomen durch die Lüfte von Martial- Arts -Filmen. Der eigentliche Verleih-Titel sollte denn auch lauten: „The Girls Who Want to Fly“.

Die Regisseurin hat nicht nur zwei beeindruckende Schauspielerinnen (Liu Haocun / Wen Qi), sondern zeigt auch, was sie stilistisch, genremäßig alles kann. Das führt dazu, dass das eigentliche Melodram immer wieder durch viel Action unterbrochen wird. Dann und wann gibt es auch Comedy Einlagen. Film Noir Elemente finden sich ebenso, wie die vorbehaltslos toll gedrehten Martail-Arts-Szenen. Schade, weniger wäre mehr gewesen.

Sheng Xi Zhi Di – Living the Land“ von Huo Meng, ein weiterer Wettbewerbs Beitrag aus der Volksrepublik China, ist vom Tempo und der Machart her das genaue Gegenteil. Der Film folgt der Erzählung eines 10-Jährigen, der von seinen Eltern in eine dörfliche Gemeinschaft abgeschoben wird. Es ist das China der frühen 1990er Jahre. Fast dokumentarisch wirkende Szenen schildern den Alltag in einer von Armut gezeichneten Provinz. Ein mühsames (Über)Leben ist das, in dem technische Neuerungen und Erleichterungen erst langsam Einzug halten. Traditionell kodiert und gleichzeitig von staatlichen Regelungen geprägt, gibt es auch hier keinen Platz für individuelle Entscheidungen oder Freiheiten. So muß eine junge Frau denjenigen heiraten, den die Familie für sie bestimmt hat, einer anderen wird brutal gegen ihren Willen ihr drittes Kind aus dem Leib gerissen. Auch der schulische Alltag wirkt wie ein Massendrill – und überhaupt: der Einzelne geht im Kollektiv, in der Familie auf oder unter …

Großartig fotografiert sind viele der mit Bedeutung aufgeladenen Szenen. Die Kamera besticht immer wieder durch aufwendige Choreographien. Bis ins kleinste Detail verfolgt man hier Bestattungsrituale ebenso wie Hochzeitsvorbereitungen, aber auch den ganz normalen Alltag, der hauptsächlich aus schwerer Feldarbeit besteht.

Living the Land“ wirkt insgesamt eher wie ein quasi ethnografischer Film, der sich viel Zeit dabei läßt alles genau ins Bild zu bringen. Die etwas verwirrende Familiengeschichte bleibt dabei zweitrangig. Der zunächst als langatmig empfundene Film entwickelt dann aber doch, nach längerem Überlegen und im Vergleich zu den vielen anderen inhaltlich eher schmalen Wettbewerbs Beiträgen, einen unerwarteten Nachklang.

Dreams“ ist ein weiterer heiß erwarteter Wettbewerbs Beitrag des mexikanischen Regisseurs Michel Franco. Er besetzt seine weibliche Hauptrolle wieder, wie in „Memory“ (Venedig 2023), prominent mit Jessica Chastain. Hier nun spielt sie die amerikanische Unternehmertochter Jennifer aus San Francisco. Super stylish gewandet, mit allen Accessoires der Reichen und Schönen ausgestattet, stöckelt sie mit ihren High Heels durch die Szenerien. Ihr cooles und perfekt beherrschtes Äußeres steht jedoch im Widerspruch zu ihrer sexuellen Obsession. Diese gilt dem mexikanischen Ballett-Tänzer Fernando, dargestellt von Isaac Hernandez – im echten Leben ist er der erste Solotänzer mexikanischer Abstammung im American Ballett Theatre, New York.

Jessica Chastain
Dreams
MEX 2025 | Regie: Michel Franco
Sektion: Wettbewerb 2025
© Teorema

Der Film beginnt mit dessen dramatischer Grenzüberquerung von Mexiko in die USA in einem mit anderen Flüchtlingen vollgestopften Lkw. Fernando gelingt es jedoch sich bis nach San Franciso durchzuschlagen, wo dann die Geschichte ihren eigentlichen und fatalen Verlauf nimmt. Er, der hofft mit ihrer Hilfe dort eine Karriere als Tänzer beginnen zu können, spürt bald, dass sie ihn ständig versteckt hält. Sie ist es auch, die ihn dann bei der Fremdenpolizei als illegal eingewandert anzeigt, nachdem ihr Vater ihr allerdings gedroht hat, dass das doch kein Umgang für sie sei. Er wird also brutal ausgewiesen. Doch Jennifer fährt ihm nach, und trifft ihn wieder in Mexiko, wo sie ihn gerne als quasi Latin Lover behalten würde. Doch da spielt er nicht mit.

Reichlich unplausibel erscheint mir, dass diese kalten, reiche, immer beherrschte Frau einem Mann so grenzenlos verfallen soll. Oder anders ausgedrückt, was der Regisseur vermutlich als Kritik denkt, schrappt schon arg am Klischees vorbei. Oder soll es eine moderne Sklavenhalter-Story sein? Hinzu kommt die äußerst eindimensionale Message darüber, wie Liebe und Ehrgeiz, bzw. gesellschaftliche und nationale Determinanten eine Liebe unmöglich machen. Sofern es hier überhaupt um Liebe geht, und nicht nur um sexuelle Obsessionen.

Daniela Kloock