In der Fülle leer werden …

Die Berlinale startete mit dem neuen Werk von Tom Tykwer „Das Licht“. Der fast dreistündige Film ist eine gewagte Mischung aus Musical, Science-Fiction, Animation, Drama und Action. Er handelt von Tim Engels, seiner Frau Milena, den Zwillingen Frieda und Jon sowie Milenas Sohn Dio, Ergebnis einer Affäre in Afrika. Die Familie lebt in Berlin. Sie stehen, so ist zu vermuten, beispielhaft für ein großstädtisches Milieu. Die Eltern arbeiten in moralisch einwandfreien Bereichen. Der dauer- radelnde Vater (Lars Eidinger) entwirft in einer Consulting-Firma Kampagnen für „Gute Produkte“, die dauertelefonierende Mutter (Nicolette Krebitz) ist Projektleiterin für ein Jugendtheater in Nairobi. Die Kinder, jugendliche Erwachsene, leben in ihren Welten – super-woke und Drogen-affin die Tochter Frieda, verbarrikadiert in seinen Computerspielen der Sohn Jon. Alle leben so vor sich hin, abgekoppelt und gehetzt. Keiner sieht den anderen, keiner spricht mit keinem. „Wir sind eine komplett dysfunktionale Familie“, entfährt es Frieda an einer Stelle. Bis, ja bis die aus Syrien geflüchtete Haushälterin Farrah (Tala Al-Deen) Licht und Heilung bringt. Mit ihr beginnt allerdings auch die schicksalhafte Verknüpfung der unterschiedlichen Lebenswege.

Die Vorliebe Tom Tykwers für das Spirituelle, Magisch-Mystische zieht sich wie ein roter Faden durch sein gesamtes filmisches Schaffen. Doch noch nie wurde dies so explizit fokussiert wie hier. Farrah nämlich bedient sich einer ganz besonderen Lampe. Mit deren Licht kontaktiert sie ihre bei der Flucht tragisch ums Leben gekommenen Familienmitglieder – deren Seelen noch nicht zur Ruhe gekommen sind. Die Engels sollen nun Erlösung bringen. Wie das gelingt, sei hier nicht verraten.

Nicolette Krebitz, Elyas Eldridge, Julius Gause, Elke Biesendorfer, Lars Eidinger
Das Licht | The Light | DEU 2025
Regie: Tom Tykwer
Sektion: Berlinale | Special 2025 |
© Frederic Batier / X Verleih

Der Film, der kaum ein aktuell brisantes Thema ausläßt (Flucht / Migration / Klimakatastrophe / Wohlstandverwahrlosung / soziale Ungleichheit) verliert sich jedoch inhaltlich und stilistisch in einem völlig entgleisten Kuddelmuddel. Die Figuren bleiben allesamt flach und statisch. Da nutzt es auch nichts, dass sie unermüdlich tanzen, radeln oder sogar fliegen. Tom Tykwer wollte, so in einem Interview, das ganze Spektrum erzählerischer Möglichkeiten ausschöpfen. Dafür hatte er auch ein zweistelliges Millionenbudget zur Verfügung. Doch der Film läßt einem seltsam leer und ratlos zurück.

Stilistisch und erzählerisch wesentlich eindimensionaler ist der erste Film aus dem Wettbewerb. Er kommt aus der Volksrepublik China. „Sheng Xi Zhi DiLiving the Land“ von Huo Meng (“Crossing The Border“) folgt der Erzählung eines zehnjährigen Jungen, der von seinen Eltern in eine dörfliche Gemeinschaft abgeschoben wird. Es ist das China der frühen 1990er Jahre. Schwere Feldarbeit, Dorf-Zwistigkeiten, Armut, medizinische Kontrolle, Zwangsheirat, Tod und Geburt bestimmen den Alltag. Ein Mehrgenerationen-Portrait, welches quasi ethnografische Einblicke gewährt in ein Land, in dem die Moderne noch nicht angekommen ist. Mit dem Mondkalender wird hier noch gerechnet, der Strom fällt regelmäßig aus, das Korn wird noch mit der Hand gedroschen, und das Schwein mit dem Messer kastriert. Schön komponierte Bilder zeigen eine fremde (vergangene?) Welt, doch auch hier bleiben die Protagonisten seltsam oberflächlich, und der Film schleppt sich arg über die 132 Minuten.

Ob hier Gefühle in der Wüstenhitze zu flirren beginnen, wie der Tagesspiegel behauptet, oder ob einem „Hot Milk“ kalt läßt – das ist hier die Frage. Mich jedenfalls hat auch der zweite Film innerhalb des Berlinale Wettbewerbs nicht überzeugt. Es ist die erste Regiearbeit von Rebecca Lenkiewicz, ihres Zeichens erfolgreiche britische Dramatikerin und Drehbuchautorin („Ida“ / „She Said“). Drei Frauen stehen im Vordergrund in der Verfilmung des gleichnamigen Buches der britischen Autorin Deborah Levy (Shortlist Man Booker Prize 2028). Und Emma Mackey, Vicky Krieps, und allen voran die wunderbare Fiona Shaw tun ihr bestes, um die Geschichte einer problematischen Mutter-Tochter Beziehung schauspielerisch in Fahrt zu bringen.

Die Mutter, Rose, durch eine rätselhafte Erkrankung dauerhaft an den Rollstuhl gefesselt, reist mit ihrer an einer Promotion über Margaret Mead arbeitenden Tochter (Sofia) nach Südspanien, um in einer Klinik Heilung zu finden. Bisher blieben alle Diagnosen erfolglos, und so ist es eine letzte Hoffnung. Der Aufenthalt in der drückenden Sommerhitze führt jedoch auch zu einer Art Abnabelung der Tochter, nicht zuletzt dadurch, dass Sofia die mysteriöse Ingrid kennenlernt, die ebenso wie die Mutter ein Trauma durchs Leben schleppt. Es geht also um Abhängigkeiten, Selbstfindung, Schuld und Sühne und Familien-Geheimnisse – und nicht zuletzt um Schmerzen.

Vicky Krieps, Emma Mackey | Hot Milk | GBR 2025
Regie: Rebecca Lenkiewicz
Sektion: Wettbewerb 2025
© Nikos Nikolopoulos / MUBI

Vieles, vor allem die amourösen Zwischenakte der beiden jungen Frauen, schrappen hart am Kitsch und Klischee vorbei, vor allem auch auf Grund der Bilder. Und die Dialoge sind mehrheitlich unglaublich platt. Trotz des Titels also ein bestenfalls lauwarmer Film.

Daniela Kloock