CIMETIÈRE DE LA PELLICULE, INSIDE und MUL-AN-E-SEO |

Einer der wenigen Filme, die auf dem Afrikanischen Kontinent spielen, ist CIMETIÈRE DE LA PELLICULE (Der Friedhof des Kinos), leider weitgehend unbeachtet und unbesprochen.

Dabei hat der Regisseur Thierno Souleymane Diallo eine veritable Mission. Er will MOURAMANI (1953) wiederfinden. Der verschollene Film von Mamadou Touré gilt als erster afrikanischer Spielfilm überhaupt und als erster Film, der je in Guinea gedreht wurde. Doch Diallo geht es nicht nur um ein verloren gegangenes Kulturgut, sondern auch um eine Reise zu seinen eigenen Wurzeln, Hoffnungen und Wünschen. Und so begleitet man ihn als Zuschauer bei seinen Recherchen in seiner Heimat. Die Kamera zeigt ihn meistens mit einem riesigen wattierten Mikrofon (endlich mal ein Film mit einer sorgfältigen Tonspur!), mal auf dem Rücken eines Esels, mal barfuß unterwegs, immer auf der Suche nach Menschen, die ihm über den Film oder über Touré Auskunft geben können. Irgendwann fragt man sich dann, ob es MOURAMANI überhaupt je gegeben hat, so unterschiedlich sind die Aussagen und Erinnerungen der Interviewten. Letztendlich ist das jedoch nicht entscheidend, denn wir erfahren so viel anderes über das Leben und den Alltag dort, aber auch über die Situation der Kinos und die Bedeutung von Archiven allgemein bzw. deren Nichtvorhandensein. Denn wenn Archive fehlen bleibt Kulturgeschichte vage.

Doch Thierno Souleymane Diallo scheint dies nicht zu entmutigen. Beharrlich bleibt er und erweist sich als enthusiastischer und eigenwilliger Filmemacher. Denn neben den Interviews und den observierenden Alltagsbeobachtungen wechselt er auch zu spielerisch-leichten Szenen. So etwa bringt er Kindern mit selbst gebastelten Holzkameras bei, was es heißt genau zu beobachten und dabei zu verstehen, daß jeder Augen-Blick wertvoll ist.

Eine Mission ganz anderer Art hat Nemo (lateinisch: niemand, keiner – also bitte nicht der Fisch, oder doch?) in INSIDE zu erfüllen. Der so benannte Kunstdieb, von keinem geringerem als Willem Defoe verkörpert, hat den Auftrag in ein weitläufiges Penthouse eines New-Yorker Milliardärs einzusteigen. Dort soll er ein Gemälde, ein Selbstportrait von Egon Schiele stehlen. Zunächst läuft alles nach Plan. Nemo schafft es in das Appartement voller hochwertiger Kunst einzudringen. Doch dann schlägt das Sicherheitssystem Alarm, und die Falle schnappt zu. Alle Ausgänge sind verriegelt, ein Kontakt zu den Komplizen außerhalb unmöglich. Der Dieb sitzt fest. Aus Stunden werden Tage, Wochen, Monate.

INSIDE ist eine besonders originelle Variante eines Survival-Dramas und eines „ein-Mann Psychothrillers“. Ein sehr geschickter Film darüber, wie Kunst zu einem Kommunikationssystem wird. Denn Nemo hat, bis auf die Monitore der Überwachungskameras, nichts anderes als die Bilder an den Wänden, die ihn provozieren. An diesen arbeitet er sich sprichwörtlich ab. Nemos körperliches „Dilemma“ (Verdursten / Erfrieren / Verhungern) wird von Willem Defoe ebenso überzeugend dargestellt wie seine psychischen Ängste und Halluzinationen.

Willem Dafoe in Inside | GRC, DEU, BEL 2023 | Regie: Vasilis Katsoupis | Panorama 2023 | © Heretic

Regisseur Katsoupis Film ist ein doppeltes Highlight. Er ist clever und vieldeutig und es ist ein Genuss, Willem Defoe bei seinem großartigen Spiel zuzuschauen. Handelt es sich um eine Parabel auf die Kraft des Überlebenswillens, oder ist es eine Hinterfragung über die Bedeutung und den Wert von Kunst? Ist es ein Corona „Lock-Down“ Horror-Trip oder eine Kritik an den Kunst zerstörenden Klima-Aktivisten? Könnte man den Film auch als eine Einführung in die Theorien von Karl Marx verstehen, über seine zentralen Begriffe von Waren-, Tausch- und Gebrauchswerten? Oder aber ist es schlichtweg „nur“ eine pfiffige Komödie, die nichts anderes zum Thema hat als einen Alp-Traum eines Superreichen zu verfilmen, der nichts mehr fürchtet, als dass seine Kunstsammlung zerstört werden könnte?

Der südkoreanische Regisseur Hong Sangsoo liebt auch die Vieldeutigkeit. Jedoch setzt er hierfür wesentlich sparsamere Mittel ein. Alles ist klein, leicht und scheinbar ungekünstelt. Schon lange arbeitet er bei seinen Filmen ohne Drehbuch. In MUL-AN-E-SEO (IN WATER) der auf der Berlinale im Rahmend es Programms Encounters vorgestellt wurde, führt er auch selbst die Kamera. Und das Spontane ist Thema des Films. Es geht um einen jungen Mann, der seinen ersten Kurzfilm drehen will, dafür aber noch keine Idee hat. Mit zwei Freunden, die die Hauptrollen spielen sollen, teilt er seine Ratlosigkeit und das Warten auf eine zündende Idee.

Ha Seoungguk, Shin Seokho, Kim Seungyun in mul-an-e-seo | KOR 2023 | Regie: Hong Sangsoo | Encounters 2023 | © Jeonwonsa Film Co.

Zu dritt verbringen sie Zeit bei Spaziergängen am Meer und bei gemeinsamen Mahlzeiten. Keiner weiß, wann und wie die Dreharbeiten beginnen sollen. Der Clou ist, dass Hong Sanssoo von Anfang den Film unscharf dreht. Die knapp 60 Minuten wirken wie aneinandergereihte Gemälde von Gerhard Richters unscharf wirkenden Bildern. Der Effekt ist enorm. Das Auge gewöhnt sich daran, und alles bekommt eine geheimnisvolle Schönheit. Die Gesichter, die Farben verschwimmen und der Film wirkt ein bißchen wie unter stillem Wasser gedreht. Einmal mehr wird deutlich, wie grauenvoll die zunehmenden Schärfen der digitalen Bilderwelten sind. Bei Hongs Sangsoo kommt man ins Träumen. Und die Dinge materialisieren sich dadurch, dass sie verschwimmen oder am Ende, so wie die Hauptfigur, ganz verschwinden. Und ist das nicht eigentlich der Kern von Kino? Bilder, die im Erscheinen verschwinden.

Daniela Kloock

Bild ganz oben: Au cimetière de la pellicule | FRA, SEN, GIN, SAU 2023 | Regie: Thierno Souleymane Diallo | Panorama 2023 | © L’image d’après