Die Geschichte eines unschuldigen Guantanamo Häftlings als Komödie zu inszenieren, dieses Wagnis geht Andreas Dresen ein. Dafür bedient er sich zweier Kunstgriffe. Er entscheidet sich gegen Murat Kurnaz als Hauptfigur, den jungen Mann aus Bremen, der „einfach“ zur falschen Zeit am falschen Ort war. 2001 in Pakistan festgenommen und für 3000 Dollar an die USA ausgeliefert, saß er fünf Jahre lang unschuldig und ohne Anklage im berühmt-berüchtigten Foltergefängnis auf Kuba. Sein Schicksal aus der Sicht der Mutter Rabiye zu erzählen, das hätte auch Stoff für einen Politthriller oder ein Gerichtsdrama sein können. Wie diese „einfache“ Frau mit allen ihren zur Verfügung stehenden Mitteln um ihren Sohn kämpft, welche Hindernisse, politische Machenschaften, juristische Fehlentscheidungen zu Auf- und Verschiebungen seiner Freilassung führten, ist eine menschliche Tragödie vor dem Hintergrund größter Menschenrechtsverletzungen.
Doch Andres Dresen wählt die Komödie. Und die deutsch-türkische Comedienne, Moderatorin und Schauspielerin Melten Kaplan als Rabiye sorgt dafür, dass viel gelacht werden darf. Es ist ihre Spielfreude, ihr Temperament und ihre „Bühnenpräsenz“, welche den Film zu einer Tour de Force an Gags und Munterkeit macht. Immer gleichbleibend folgt ein witziger Dialog auf den anderen, eine absurde Situation der nächsten. Das Drehbuch scheint vollständig auf Kaplan konzentriert. Jedwede Nachdenklichkeit schimmert nur zart und selten auf. Alle Nebenfiguren werden zu bloßen Statisten. Bis ins Klischee ausgespielt werden die Dialoge und Szenen mit dem Rabiye an die Seite gestellten Anwalt Bernhard Docke (Alexander Scheer). Ist sie dick, ungebildet, herzenswarm, und scheinbar naiv, ist der Anwalt dünn, wortkarg, nüchtern, und durch und durch akademisch. Liebt Rabiye farbige Klamotten und schnelle Autos, ist Decker immer in fadem Schwarz-Grau gewandet und mit dem Fahrrad unterwegs. Selbst wenn das alles nah an den Vorlagen angelegt ist, so bleibt es doch auf Dauer filmisch fad. Auch die Beziehung der beiden zueinander, was interessant hätte werden können, kennt keine nachvollziehbare Entwicklung oder Dynamik. So geht die Zeit dahin – die Zeit mit einem für Außenstehende schwer nachvollziehbaren juristischen Prozedere zwischen verschiedensten Instanzen auf deutscher, türkischer und US-amerikanischer Seite. Immerhin genau 1725 Tage Folter für Murat Kurnaz, wie der Zuschauer, damit es nicht ZU lustig wird, anhand von verschriftlichten Einblendungen erfährt.
Gerne denkt man an Andreas Dresens „Halbe Treppe“ (2002) oder „Halt auf freier Strecke“ (2011) zurück. Er ist ein Filmemacher, der immer sehr nahe an seinen Figuren ist und zuweilen als DER Humanist unter den bundesdeutschen Filmemachern bezeichnet wird. Auch in diesem Film ging es ihm sicherlich um ein tief empfundenes Gefühl für Machtlosigkeit und Ungerechtigkeit, nicht zuletzt auch auf Seiten deutscher Instanzen und deren Fehlverhalten. Doch auch dies wird bestenfalls vorsichtig angedeutet. Dass Frank-Walter Steinmeier beispielsweise die Entlassung Murats 2002 verunmöglichte muss man schon selbst recherchieren.
Welche Tonlage diesem schwierigen Stoff, noch dazu als Komödie, angemessen gewesen wäre, ist schwer zu sagen. Nur die Gewählte trifft es nicht. Absolut rätselhaft bleibt der bei der Berlinale verliehene Drehbuchpreis für Laila Stieler, verdient hingegen sicherlich der Silberne Bär für Meltem Kaptan.
Daniela Kloock
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Kinostart: 28.04.2022
Deutschland / Frankreich 2022
FSK 6 · Laufzeit 119 Min
Bild oben: Rabiye Kurnaz gegen G. W. Bush | Bernhard Docke (Alexander Scheer) und Rabiye Kurnaz (Meltem Kaptan) | © Andreas Höfer, Copyright: Pandora Film
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