Chirurgisch sauber abgetrennte Arme gehören zu drei grausam getöteten Frauen. Spektakulär inszeniert werden die jeweiligen Fundorte, die über Osteuropa verstreut sind. Rätselhaft bleibt das Ganze. Handelt es sich um einen psychopathischen Serienkiller, steckt die Mafia dahinter, oder sind es verborgene Warnungen, und wenn ja, an wen?
Die jüngst auf Arte angelaufene 10-teilige Serie wurde in Odessa, Warschau und Prag gedreht. Kunstvoll und düster werden die Städte vom polnischen Regisseur Dariusz Jablonski in Szene gesetzt. Dabei liegt sein Fokus weniger auf Thrill- und Schockmomenten, als vielmehr darauf, wie die drei sehr heterogen zusammengesetzten Ermittlerteams der jeweiligen Länder zueinander kommen. Denn die unterschiedlichsten Lebens- und Arbeitseinstellungen treffen aufeinander, verschränken sich oder kollidieren. Ein komplexes Soziogramm entsteht, ein bizarrer Reigen, der nur funktioniert, weil die Serie kunstvoll fotografiert wurde und bis in die kleinsten Rollen hervorragend besetzt ist.
Serhij (Sergey Strelnikov) ermittelt in Odessa. Er ist der gut aussehende „Lonesome Cowboy“. Ihm hängt eine tragische Familiengeschichte nach, die er zuweilen mit einem selbstgebrannten Wodka aus Rettich zu vergessen sucht. Nur wenn er gar nicht mehr weiter weiß, sucht er seinen Vater, den „kalten, egoistischen Dreckskerl“ auf. In Prag ist es der kurz vor der Rente stehende Victor (Karel Roden), der nicht nur Keuchhusten hat, sondern auch keine große Lust auf diesen verzwickten Fall. Er freut sich lieber auf die Geburt seines ersten Enkelkindes oder auf die Schäferstündchen mit einer attraktiven Staatsanwältin, die alsbald selbst unter gefährlichen Druck gerät.
Und dann ist da noch Maria (Malgorzata Buczkowska) aus Warschau, das Epizentrum der Serie. Ähnlich wie „Kommissarin Lund“ aus der dänischen Erfolgsserie, lässt auch sie sich nicht von männlichen Kollegen einschüchtern. Sie ist ebenso klug wie intuitiv, schießt nicht nur gut, sondern hat auch sonst Courage und eine lockere Zunge. Dass Frauen zu wenig misstrauisch sind, hält sie für einen ihrer größten Fehler. Auch ihrem Chef traut sie nicht. Dass sie am Ende selbst in diese Falle tappen wird, ist bitter. Ansonsten nimmt sie sich (ganz im Unterschied zu Lund) Männer, die ihr gefallen. Doch der Märchenprinz, der auf einem schönen Schimmel angaloppieren soll, lässt auf sich warten. So ungefähr fallen ihre Antworten aus, wenn sie von aufdringlichen Kollegen nach ihrem Privatleben ausgehorcht wird. Dass Maria ihren drogenabhängigen Kollegen deckt und in einem eigenmächtigen Rachefeldzug einen Dealer erschossen hat, gehört zu ihrem Selbstverständnis, wie offensichtlich die immer gut sitzenden weißen Blusen.
In jedem ihrer Länder stoßen Serhij, Victor und Maria auf dubiose Geschäfte, Waffenhändler, korrupte Politiker und nicht zuletzt auch auf mafiöse Strukturen innerhalb der Polizei. Kaum ein menschlicher/männlicher Abgrund wird dabei ausgelassen. Geld-, Macht- und Sexgier treiben diese Männer an. Auf Kosten schöner junger Frauen und ihrer Träume von einem besseren Leben. Doch auch idealistische Ermittler stellen aus dem Weg zu räumende Hindernisse dar.
Inszeniert und geschnitten ist in einem eigenwilligen Tempo, fast zu langatmige Teile wechseln mit schnell geschnittenen Action-Szenen ab. Die Aufklärung selbst jedoch scheint keinem großen zeitlichen Stress zu unterliegen, obwohl die eingeblendeten Tages- und Uhrzeiten dies immer wieder suggerieren wollen. Vielleicht auch ein kleiner Seitenhieb auf skandinavische Thriller-Serien, die gern mit diesem dramaturgischen Element arbeiten. Überhaupt gibt es eine ganze Reihe an frechen Re-Inszenierungen oder filmästhetischen Reverenzen. Am auffallendsten vielleicht die Treppenszene in Odessa – augenzwinkernde Hommage an die weltberühmte Sequenz aus „Panzerkreuzer Potemkin“ von Sergei Eisenstein.
Die Spannung zwischen altem, traditionellem Leben und Moderne wird nicht nur in einzelnen ausgespielten Szenen veranschaulicht, sondern auch in starken Architektur-Bildern. Verfallenden, alten Gemäuer in Odessa oder Prag wird eine sich überall angleichende Großstadt-Architektur gegenüber gestellt. In kalten Bürohochhäusern oder monotonen Hotel- und Wohnklötzen stehen die Protagonisten zuweilen einsam und ratlos, inszeniert fast wie in Gemälden von Edward Hopper.
Was es mit dem PLEASURE PRINCIPLE, dem Lustprinzip, letztendlich auf sich hat, wer hinter all diesen Morden steckt, wird am Ende arg kurz und verworren konstruiert aufgelöst. Warum der Mörder diese aufwendigen Inszenierungen aufführte und die zerstückelten weiblichen Körper über halb Osteuropa verteilte, bleibt ebenso unklar, wie der enigmatische Titel. In jedem Fall aber macht diese erste TV-Produktion zwischen drei osteuropäischen Ländern Spaß. Nicht zuletzt auch wegen ihrer flotten Dialoge. Maria, die am Ende nur überlebt, weil Victor sie freischießt, bleibt auch da cool. Wie immer um keinen Spruch verlegen, sagt sie zu Victor: „Das war ein wunderbarer Schuss“. Und Schluss.
Daniela Kloock
Foto: THE PLEASURE PRINCIPLE-© Apple Film Production
Sendetermine arte
ab Donnerstag, 5. November 2020, 21.45 Uhr
online vom 29. Oktober 2020 bis 5. November 2021
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