„Ich war zuhause, aber…“ spielt in einem Spätsommer in Berlin. Astrid (Maren Eggert) hat einen 13-jährigen Sohn Phillip, der verschwunden war und jetzt wieder aufgetaucht ist. Astrid kommt angerannt, um den Jungen vom Jugendamt abzuholen. Schwer atmend fällt sie vor ihm auf die Knie, umarmt ihn lange. Bereits diese Pose erinnert mehr an ein Gemälde, als an einen Film. Statisch, wie eingefroren, wie aus der Zeit genommen, wirkt die Szene. Warum der Junge weg war, dafür gibt es keine Erklärung, an keiner Stelle des Films. Erklären will Angela Schanelec in ihren Filmen grundsätzlich nichts.
Später erfährt man, Astrid hat auch noch eine kleine Tochter. Ihr Mann, der Vater der Kinder, war Theaterregisseur, er ist verstorben. Sie ist also alleinerziehend, nervlich angespannt. In einer Szene schmeißt sie die Kinder aus der Wohnung, was diese schon zu kennen scheinen, denn sie ertragen es mit Gleichmut. In einer anderen verhandelt sie langatmig mit einem Mann über den Kauf eines gebrauchten Fahrrads oder bringt die verschmutzte Jacke von Phillip zur Reinigung. Alltag also. Die Kamera rückt den Figuren nie zu nahe, es geht um Stimmungen und um die Vermeidung jeglicher Psychologisierung. Das macht es manchmal schwer. Soll es wohl auch.
Eine durchgehende Handlung gibt es nicht, aber verschiedene Ebenen oder Themenkomplexe. Zum Beispiel wird darüber nachgedacht, was Kunst ist. Astrid arbeitet an einer Filmhochschule und in einer der vielleicht gelungensten Szenen des Films hat sie einen langen Monolog, in dem sie einen Kollegen bzw. dessen Film bewertet. „Die Wahrheit erscheint erst dann, wenn man die Beherrschung verliert“, erklärt sie ihm, und welche Wahrheit ein Körper ausdrücken kann. Was überhaupt ist das Falsche? Und was das Wahre? Irgendwann läßt sie den Mann einfach auf der Straße stehen, verabschiedet sich mit den Worten: „jetzt habe ich Sie wohl vollgequatscht.“
Das ist eine der seltenen Stellen, an denen Sprache nicht artifiziell wirkt. In einer Nebenhandlung studieren Schulkinder „Hamlet“. Mit wenigen Requisiten. In langen Einstellungen sprechen sie die Shakespeare Verse, ohne daß man wüßte, was sie davon eigentlich verstehen. Aber was ist daran schlimm, wenn man etwas nicht versteht? Die Kinder jedenfalls scheinen mit heiligem Ernst bei der Sache. Und dann gibt es noch am Anfang und am Ende des Films einen Esel. Eine Hommage an Robert Bressons „Balthazar“. Der Esel wendet den Kopf und schaut uns direkt an. Ja, wir bleiben allein, mit unseren Fragen und unserer Trauer. Mit unserer Leiblichkeit, Vergänglichkeit.
Für ihren hoch artifiziellen, philosophisch wirkenden Film erhielt Angela Schanelec bei der diesjährigen Berlinale den Silbernen Bären für die beste Regie. Jetzt ist ihr Wunderwerk im Kino zu sehen.
Daniela Kloock
Bild ganz oben: Ich war zuhause, aber… | © Nachmittagsfilm
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