„How the fuck could this happen?“. Dies fragt sich Michael Moore in seinem neuen Film „Fahrenheit 11/9“ und sucht Antworten darauf, wie in einer der avanciertesten westlichen Demokratien ein „Neofaschist mit Twitteraccount“ (so M. M.) Präsident werden konnte. Mittlerweile scheint der US-amerikanische Filmemacher („Bowling for Columbine“, 2002) so etwas wie das ultralinke Gewissen der USA zu sein, und so betreibt er einmal mehr seine Form der politischen Aufklärungsarbeit zur „Lage der Nation“.
International bekannt wurde er spätestens mit „Fahrenheit 9/11“ einem vernichtenden Pamphlet gegen die Bush-Regierung. Der Film gewann 2004 in Cannes die Goldene Palme. Nun hat er den alten Filmtitel einfach umgedreht. Der 9. 11. 2016 war der Tag an dem Donald Trump zum 45. Präsident der USA gewählt wurde.
Wie unvorstellbar dies für die meisten Amerikaner war, vor allem aber für die politische Klasse und die Medien, damit beginnt die filmische Montage von Hollywoods Lieblingsprovokateur. Moore sammelt all die falschen Prognosen und reiht sie aneinander. Wir sehen eine siegessichere Hillary Clinton und jede Menge TV Kommentatoren und Journalisten, die sich über Trump lustig machen. Und dann kam für sie alle der Schock des titelgebenden Datums, der Morgen des 9. November. Diese Eingangssequenz wirkt im Rückblick nachgerade unheimlich, wie ein böses Lehrstück über die ungebrochene Überheblichkeit und Fehleinschätzung derjenigen, die meinen die Macht zu haben.
Im folgenden rechnet Moore dann in einem veritablen Schnittgewitter mit Trump ab. Dabei schreckt er weder vor Unterstellungen noch vor (plumpen) Polemiken zurück. So ist für ihn beispielsweise sonnenklar, Trump hat nicht nur ein inzestuöses Verhältnis zu seiner Tochter, sondern in seiner Art von Propaganda und Rhetorik gleicht er Hitler und Goebbels. Um dies zu veranschaulichen legt Moore über eine Ansprache Hitlers die Stimme von Donald Trump. Doch wen will er mit so einem „Kunstgriff“ schockieren oder überzeugen? Fakt ist, Trumps Medienauftritte kommen in ihrer Attitude in der Art von TV Shows daher – vor allem jedoch arbeiten sie mit einer überbordenden Masse an „Fake News“ und Provokationen, die den nationalen Erregungszustand permanent hoch halten. Und er twittert was das Zeug hält. Obwohl Michael Moore versucht seinem Film einen Hauch von Seriosität zu geben, indem er immer wieder Passagen eines Interviews mit dem Historiker Timothy Snyder einfügt, sind plausiblere Analysen oder Argumentationsketten seine Sache nicht. Stattdessen springt er lieber zum nächsten Haßobjekt. Denn Trump, der erklärte Rassist, Sexist und Faschist, ist für ihn nur der Endpunkt eines Weges, der durch seine politischen Vorgänger bereits geebnet wurde.
Der überzeugendste, weil stringendeste Teil des Films führt den Zuschauer dann nach Flint in Michigan. Die Heimatstadt Michael Moores und der „Geburtsort“ von General Motors war bereits Thema in seinem Film „Roger & Me“ (1989). Ging es damals um die Entlassung von mehr als 30 000 Arbeitern , weil die Firma ihre Produktionsstätten nach Mexiko verlegte, um Löhne zu sparen, thematisiert Moore nun einen anderen politischen Skandal. Eine überwiegend afroamerikanische Einwohnerschaft wird in Flint seit vielen Jahren mit bleiverseuchtem Wasser „versorgt“. Davon profitiert der republikanische Gouverneur Rick Snyder. Moore interviewt Betroffene, aber auch Ärzte und Helfer vor Ort, die die humanitäre Katastrophe beschreiben. Viele Menschen starben bereits oder sind schwer erkrankt. Moore stellt Snyder in seiner Machtgeilheit und Skrupellosigkeit bloß. Aber fast noch schockierender ist das, was der Zuschauer hier über Barack Obama erfährt. Nicht nur, dass dieser während seiner Präsidentschaft nichts tat um den Menschen vor Ort zu helfen – da er die Konfrontation mit einem politischen Gegener vermeiden wollte – sondern bei einem Besuch in Flint tut er in einer öffentlichen Veranstaltung so als würde er das angebotene Wasser trinken. Während er verkündet, dass das Wasser absolut okay sei, benetzt er in Wirklichkeit nicht einmal die Lippen, wie ein Videomitschnitt zeigt. Das Glas landet quasi unberührt unter dem Rednerpult. Dass ein Präsident seine schwarzen Wähler, die so viel Hoffnung in ihn hatten, so hemmungslos täuschte, ist ein wirklich sprachlos machender Höhepunkt des Films.
Und schon geht es weiter mit der Verlogenheit und Käuflichkeit der politischen Klasse. Wieder waren es für Michael Moore gewissenlose Machtmenschen, die sich gegen eine demokratische Basis durchsetzen konnten, um Bernie Sanders politisch kalt zu stellen. Denn er war nicht so chancenlos, wie gern behauptet wird. Aber die heimlichen Chefs der demokratischen Partei wollten eben Hillary Clinton.
So folgt man über 100 Minuten Moores ungebremster Fassungslosigkeit und Empörung über den allerorts stattfindenden politischen Verrat, die Mängel des Systems, und die Verlogenheit der verantwortlichen politischen Klasse. Bits und Pieces all seiner vorheriger Filme, all die Missstände, die er dabei gesammelt hat, werden erneut eingebaut. Zuweilen kann einem der atemlose agitpropartige Stil ganz schön zu viel werden. Er, der selbst so moralisch integer sein will, ist er letztendlich nicht auch ein Propagandafetischist?
Im letzten Teil des über zweistündigen Films bietet er dann noch ein paar Lichtblicke an. Er fragt „wie kommen die Amerikaner aus diesem ganzen Schlamassel wieder heraus?“ und stellt einige der sogenannten Shooting-Stars der demokratischen Partei vor, allen voran die junge hispanische Alexandria Ocasio-Cortez. Für Michael Moore ist sie ein Beispiel für eine Hoffnungsträgerin. Nur Menschen wie sie können das Feuer löschen, welches dabei ist die Demokratie und die Freiheit zu verbrennen.
„Fahrenheit 451“ (das ist die Temperatur bei der Papier anfängt zu brennen), auf den beide Filmtitel Michael Moores anspielen, ist der Titel des berühmten Romans von Ray Bradbury. In dieser nach wie vor aktuellen Dystopie über einen totalitären Staat geht es um die mediale Gleichschaltung von Menschen. Drogen und Videowände machen die Menschen unmündig und wehrlos gegenüber Manipulationen. Lesen ist ein schweres Verbrechen, und Bücher werden verbrannt. Doch es gibt Widerstand. Und so hofft auch Michael Moore auf eine neue Politikergeneration, auf junge Erneuerer, die einen radikalen Kurswechsel vollziehen.
Daniela Kloock
Bild ganz oben: „Tyrann, Lügner und Rassist“ | Fahrenheit 11/9 (Plakat Ausschnitt) | Foto: Weltkino Filmverleih
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