Dieser Film ist ein seltener Glücksfall – ein gelungener Spagat zwischen Heimatfilm und Politkrimi. Er erzählt präzise und geduldig über Macht und Ohnmacht, ohne dabei effekthascherisch oder langatmig zu wirken. In jeder Szene des Films ist spürbar, wie genau Regisseur und Drehbuchautor Oliver Haffner den kulturellen Hintergrund seiner Geschichte kennt. Außerdem versteht er es, soziale Differenzierungen und Interaktionen so zu inszenieren, dass es ein Genuss ist. Dazu tragen auch die wunderbaren Schauspieler bei – endlich auch mal ein paar neue Kinogesichter – allen voran Johannes Zeiler.
Zeiler spielt die Hauptfigur, den Landrat Hans Schuierer, den es wirklich gibt. Der heute 87-Jährige wird noch immer gefeiert. Er war die Symbolfigur für politische Aufrichtigkeit und für bürgerlichen Widerstand gegen dieses Wahnsinns-Projekt der 1980er Jahre. Der Film geht weitestgehend an der Chronologie seiner Biografie entlang. Zunächst ist Hans Schuierer von dem Plan in seiner Gemeinde Schwandorf eine Wiederaufbereitungsanlage für Nuklearbrennstäbe (WAA) zu erreichten angetan. Verlockend scheint die Aussicht auf 3000 Arbeitsplätze in einem von Abwanderung und Verarmung betroffenen Zonenrandgebiet. Im Film schickt die Landesregierung in München als erstes ihren Umweltminister (Sigi Zimmerschied), um die Sache in trockene Tücher zu bringen. Denn man braucht die Mitarbeit und Zustimmung des Landrats für den Baubeginn. Der Minister macht dem „Hinterwäldler aus der Oberpfalz“ nicht nur die WAA schmackhaft, eine „blitzsaubere Sache“ sei sie, sondern demonstriert auch noch beiläufig die kulturelle Überlegenheit. Denn nur in München kennt man die richtige Zusammensetzung einer bayrischen Weißwurst, die er mitgebracht hat, und weiß diese auch standesgemäß zu essen. Keinesfalls behandelt man sie so wie Schuierer es tut, indem er die mitgebrachte Kostbarkeit halbiert und mit dem Messer kleinschneidet. Eine soziologische Miniatur wird uns hier vorgeführt, die kulturelles Dominanzverhalten spiegelt, authentisch und mit Ironie gespielt. Viel subtiler arbeitet sich der aalglatte Energie-Industrie Vertreter (Fabian Hinrichs) vor, um an sein Ziel zu kommen und den unsicher gewordenen Schuierer „auf Linie“ zu bringen. Großartig sind die Szenen, die zeigen, wie männerbündlerisch Koalitionen und Abmachungen zustande kommen. Aber auch all die Missverständnisse und Konflikte innerhalb von Familien und Freundschaften zeigt der Film auf. Für oder gegen die WAA zu sein war damals eine existentielle Frage für alle Menschen der Region.
Schuierer beginnt also zu zögern und zu zweifeln, macht eigene Nachforschungen, liest Fachliteratur und glaubt irgendwann nicht mehr an die Gefahrlosigkeit der Anlage. Damit haben sie in München nicht gerechnet. Als er sich weigert den Bauantrag zu unterschreiben, wird die Gesetzeslage kurzerhand geändert. Auch dies ist wirklich so passiert. 1985 wurde ein Gesetz durchgeboxt, welches die Landräte entmachtet, und welches bis heute als „Lex Schuierer“ in Kraft ist. Mit dieser undemokratischen Finte ist für Schuierer, sowohl im Film als auch in der Realität, eine Grenze überschritten worden. Sein Vertrauen in die Politik, in die Demokratie, ist dahin. Er wechselt endgültig auf die Seite der WAA-Gegner und legt sich mit der mächtigen Strauß-Regierung an.
Der Film endet mit dem Reaktor Unglück in Tschernobyl im April 1986. Dieser schwerste aller Unfälle, dieser Super-Gau, bestätigte damals alle Vorbehalte, alle Ängste und alle Gefahren um die Kernenergie. Doch das Ende der WAA in Wackersdorf beschließt nicht die Politik, sondern die Industrie, die einige Jahre später in La Hague und England bessere Bedingungen für ihre Interessen findet. Der jahrelange Widerstand von bis zu 100 000 Menschen vor Ort, unzählige Bürgerinitiativen, Demonstrationen nie da gewesenen Ausmaßes, juristische Einsprüche, all das hätte die Staatsregierung nicht umgestimmt. Stattdessen wurde mit aller Härte durchgegriffen. Den Widerstand der WAA Gegner am Bauzaun, das brutale Vorgehen der Polizei mit Wasserwerfern, Tränengas und Helikoptereinsätzen zeigt der Film an Hand von Originalaufnahmen. Diese Bilder von damals sind nah an denen, die im Moment durch die Medien gehen. Wieder wird mit massiven Polizeieinsätzen, mit schwerem Gerät und mit dubiosem juristischen Beistand Widerstand gebrochen, und wieder versucht ein Industriekonzern mit allen Mitteln seine Interessen durchzusetzen. Das Wackersdorf von damals heißt heute Hambacher Forst.
Daniela Kloock
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