Dorthin, wo man nichts mehr sieht ….
(ab 10.8. im Kino)
Harmlose Geschichten, angesiedelt auf mediterranen Terrassen, darüber ein wolkenloser Himmel, inklusive störungsfreiem Abend(B)rot. So oder so ähnlich wünschen sich vielleicht manche der wohl oder übel zu Hause Gebliebenen das Kinoprogramm im August.
Und jetzt: „Helle Nächte“. Der neue Film von Thomas Arslan klingt zwar vom Titel her harmlos und passend zur Jahreszeit, ist aber alles andere als konventionelle Sommer-Kost. „Lieber ein Arbeitsurlaub in Kasachstan als Sommercamping in Norwegen!“, so lautete ein bissiger Kritiker-Kommentar nach der Premiere bei der diesjährigen Berlinale, wo der Film als deutscher Beitrag im Wettbewerb lief. Ja, hier geht es in der Tat um ein nicht nur klimatisch mutiges Antidot zu all den feel-good-movies, mit denen wir pausenlos berieselt werden. Denn „Helle Nächte“ ist nicht nur ein nachdenklicher und schöner, sondern auch ein kluger und humorvoller Film. Ein Film, der die Zuschauer nicht für so blöd hält, wie manche in der Branche es gerne hätten. Dazu fantastische Schauspieler, allen voran Georg Friedrich (Silberner Bär als bester Darsteller) und die einzigartige Kamera von Reinhold Vorschneidet (deutscher Filmpreis 2017 für „Wild“).
Der Inhalt ist schnell erzählt. Michael, ein in Berlin lebender Bauingenieur, Marke kauzig- kantig, erfährt zu Beginn gleich dreierlei familiäres Unbill: seine Lebensgefährtin verläßt ihn, sein Vater ist verstorben, und seine Schwester will weder etwas von ihm noch von der Beerdigung wissen. Also fliegt er zusammen mit seinem 14-jährigen Sohn Luis (Tristan Göbel/Tschick), zu dem er viele Jahre ohne Verbindung war, ins nördliche Norwegen. Dort hat der Verstorbene lange gelebt. Luis kommt mit, nicht weil er seinen Vater kennen lernen will, sondern weil ihn interessiert „wie Opa gelebt hat“. Die beiden Männer – der Vater, der nun plötzlich kein Sohn mehr ist und der Sohn, der nun plötzlich einen Vater hat – sind damit für die Zeit der Reise aneinander gebunden. Sie mieten einen großen Wagen, suchen das Haus des Toten auf, erledigen einige Formalitäten und stehen am Ende trostlos vor dem frischen Grab.
Doch dann geht es weiter. Widerwillig läßt Luis sich darauf ein. Es folgen Übernachtungen im Zelt – immer wieder gibt es diese Einstellung von den beiden schlafenden Männern – eine Panne, ein Streit, eine längere Wanderung, vor allem aber viel Schweigen bei langen Autofahrten durch die menschenleere Landschaft. Schroff, unwirtlich und steinig ist der nördlichste Teil Europas, wo man selbst in den Sommermonaten nicht auf die Wollmütze verzichtet (Luis), und die ausbleibende Dunkelheit zur Qual wird (Michael). Die auf ihre Ur-Form reduzierte Landschaft „die Berge sehen aus wie im Herr der Ringe“ (Luis) ist keine Aufmunterung, weder für unsere Blicke noch für unsere Gefühle. Nirgends eine zivilisatorische Ablenkung, dazu das ständig wechselnde Wetter. Dies ist für Michael, der vielleicht stellvertretend steht für die Verhärtungen des männlichen Erwachsenen-Subjekts, die weitaus größere Herausforderung. Seine Annäherungsversuche sind eine unbeholfene Mellange aus schlechtem Gewissen, Neugier und Überforderung. Luis bleibt altersgerecht cool, gelangweilt und ist dann und wann auch zornig. Obwohl er sich vorzugsweise mit dicken Kopfhörern panzert spricht ihn auf einem Camp ein Mädchen an. Sie ist Fan einer norwegischen Black Metal Band, und es ist eine der völlig unerwarteten und auch humorvollen Szenen des Films, wenn in einem kurzen Clip die schräge Musik und die dazugehörigen wüsten Protagonisten eingeblendet werden.
So jedenfalls wie Michael seinen Sohn in Begleitung dieses Mädchens beobachtet, beobachten auch wir die langsamen Veränderungen im Verhältnis der Protagonisten – und wenn wir wachsam sind auch in unserer eigenen Wahrnehmung. Diese Veränderungen sind fein gestrickt, kaum merklich. Bis es zu einer fast 4-minütigen Fahrt in immer dichter werdenden Nebel kommt.
So als säßen wir selbst am Steuer geht es eine kurvenreiche Schotterstraße entlang, immer weiter leicht bergauf durch steiniges Gelände, rechts und links die Schneeleitstäbe. Diese entziehen sich ebenso wie alle anderen Konturen der Landschaft zunehmend der Sichtbarkeit, bis nur noch ein milchiges Kino-Leinwand-Bild bleibt.
Der Film geht dann aber doch noch weiter …
Daniela Kloock
Bild: © Piffl Medien
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