„Meteorstraße“ – kein Ort nirgends
Die Regisseurin Aline Fischer eröffnet die Perspektive deutschen Kino
Die „Perspektive Deutsches Kino“ wurde als Sektion innerhalb der Berlinale vor 15 Jahren von Dieter Kosslick etabliert, um jungen FilmemacherInnen eine Plattform für ihre Erstlingsfilme zu geben. Jedes Jahr kann man vor allem hier Überraschendes entdecken, so wie beispielsweise den diesjährigen Eröffnungsfilm „Meteorstraße“. Das Spielfilm-Debüt der französischen Regisseurin Alice Fischer ist eine rbb-Koproduktion und Abschlussarbeit der Filmuniversität Babelsberg „Konrad Wolf“.
Die Meteorstraße liegt in Berlin Reinickendorf, ganz in der Nähe des Flughafens Tegel. Hier leben in einer Art Abbruchsiedlung die beiden Brüder Mohammed und Lakhdar. Sie sind allein, die Eltern wurden in den Libanon abgeschoben. Schnell wird deutlich wie viel Spannung zwischen den beiden besteht. Lakhdar, der Ältere (umwerfend in seiner Energie: Oktay Inanc Özdemir) ist wild und unberechenbar, zuweilen auf Droge, aggressiv und zärtlich zugleich – Mohammed (Hussein Eliraqui) dagegen ist schüchtern, sensibel und von Heimweh geplagt. Er versucht sich einerseits von seinem Bruder abzugrenzen, verfällt dann aber doch immer wieder dessen dämonischen Charme und seinen destruktiven Energien. Und der Krieg und die Gewalt sind überall, nicht nur in den Körpern und Köpfen der beiden Brüder, oder in den Kampfszenen der Videospiele, sondern auch in dem Milieu, in dem Mohammed Fuß zu fassen versucht. Eine Motorradwerkstatt mit angebundener Rennstrecke bietet ihm einen schlecht bezahlten Job und Kontakte zu anderen deutschen Männern, die bei Bier und Zigaretten ihre Söldnererfahrungen ausplaudern und ihre Kriegsverletzungen zur Schau stellen. So behandelt der Film im Grunde eine übergeordnete Frage, nämlich wie und woran orientieren sich Männer? Was ist für sie Identitätsstiftend? „Du bist kein Pyramidenbewohner mehr“, so Lakhdar zu seinem Bruder, doch auch die „Kartoffel-Kultur“ bietet weder dem einen noch dem anderen einen Halt oder irgendwelche Chancen.
Die Regisseurin schafft es, dass wir sehr dicht zusehen wie nicht nur Mohamed und Lakhdar in ihrem Leben „schwimmen“, sondern auch die anderen. Großen Anteil an der Intensität des Films haben die tollen Schauspieler, die bei der Entwicklung der Szenen zum Teil mitgearbeitet haben, so dass der Film als semi-dokumentarisch angekündigt wird. Etwas überladen und zerdehnt sind zuweilen die Metaphern, die immer wieder über die Szene donnernden Flugzeuge, die pausenlos kläffenden Schäferhunde, die verwahrloste Wohnung. Insgesamt aber ein kraftvolles und soziologisch kluges Debut.
Daniela Kloock
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