Ed McBain brachte es in einer seiner allerletzten Arbeiten auf den Punkt, in dem 2005 erschienenen Kurzroman „Einfach nur Hass“ (Merely Hate), wo eine Mordserie an arabischen Taxifahrern eine Stadt zum Pulverfass werden lässt und die Ermittlungsarbeit der Cops vom 87. Polizeirevier eine Reise durch ethnische Vorurteile und Hass wird. McBain lässt einen Protagonisten sagen:
„Im Weißen Haus haben wir einen wiedergeborenen Christen sitzen, der nicht mal kapiert, dass er einen heiligen Krieg führt. Ein wütender Ex-Säufer, wie man so schön sagt, voller Hass. Und da draußen im Sand haben wir eine Trillion Moslemfanatiker voller Hass. Alle bringen sich im Namen des einen wahren Gottes gegenseitig um.“
Das war der Stand von 2004/05. Bush-Time. Jetzt sind wir zehn Jahre weiter und der Republikaner Clint Eastwood, dessen letzter politischer Auftritt 2012 bei der Republican National Convention eine bizarre Hassrede an einen leeren Stuhl war, ein zum Fremdschämen peinliches Ausflippen gegen Obama, dieser große Filmregisseur bringt uns jetzt einen Film, dem Joseph Goebbels zugejubelt hätte. Ja, Eastwood-Anbeter, das steht hier wirklich so: Dies ist ein Hardcore-Propagandafilm der übelsten Nazi-Sorte. Mit Untermenschen ausrotten und allem. Heroischer, dem Vaterland Kinder schenkender weißer Kriegsheld im aufopfernden Kampf gegen Untermenschen. AMERICAN SNIPER ist ein widerliches, zutiefst dummes, erbärmlich niveauloses, menschenverachtendes Machwerk. Eastwood zeigt uns einen selbstgerechten amerikanischen Gotteskrieger, der seine minderwertigen Feinde aus aufrecht tiefstem Herzen hasst, guten Gewissens hassen darf – und nur bedauert, nicht mehr von ihnen aus Scharfschützen-Distanz erledigt zu haben.
Einmal Buch, einmal Film – Eastwood lügt
Eastwood, dessen reflektive Fähigkeiten hier allesamt auf Heimaturlaub sind oder der bei diesem Thema eben ganz auf Propagandalinine von George W. Bush liegt, gelingt sogar – das will wirklich etwas heissen – eine Steigerung des Fascho- und Infamiepotentials der autobiografischen Romanvorlage von Chris Kyle. Dafür setzt schon die Eröffnungssequenz einen Paukenschlag. Hier ein Vergleich von Buch und Film.
Er war noch gar kein Scharfschütze, befand sich Ende März 2003 gerade zwei Wochen „in country“, ein Navy SEAL, seine Ausbildung hatte fast drei Jahre gedauert. Jetzt war er kampfhungrig, endlich im Einsatz, lag auf dem Dach eines Hauses im irakischen Nasiriya, hinter dem Präzisionsgewehr seines Kompanieführers, der die Straße schon eine ganze Weile gesichert und jetzt eine Pause notwendig hatte. Ein Vertrauensvorschuss. Er war noch kein SEAL-Sniper, wollte es unbedingt werden, war noch in keinem Training gewesen. Ihm das Gewehr zu überlassen, das war so etwas wie ein Test, ob er das Zeug dafür hatte.
Marines im Anmarsch, sagt sein Vorgesetzter, als das Gebäude zu beben beginnt. Halt weiter Ausschau. Das einzige, was sich im Zielfernrohr bewegt, eine Frau und möglicherweise ein Kind oder zwei. Die Truppen fahren auf, organsieren sich zu einer Fußpatrouille. Die Frau im Zielfernrohr greift etwas unter ihrer Robe, zieh daran. Sie hat eine Panzerfaust scharf gemacht, realisiert er.
Es ist gelb …, beschreibt er es seinem Chef, der selbst die Augen am Fernglas hat. Sie hat eine Panzerfaust, sagt der. Das ist eine chinesische Panzerfaust. Scheiße. Schieß endlich. Aber ich … Schieß jetzt. Die Panzerfaust. Unsere Marines … Er zögert. Schieß, sagt sein Offizier. Er zieht durch. Die Kugel verlässt den Lauf. Er hat geschossen. Die Panzerfaust fällt zu Boden. Sie explodiert. Es ist das erste Mal, dass er jemanden mit einem Scharfschützengewehr getötet hat. Eine Frau. Es ist und bleibt das erste und einzige Mal im Irak, dass er jemand anderen als einen männlichen Kombattanten getötet hat. Es war seine Pflicht, zu schießen. Er bereut es nicht. Diese Frau war schon tot, er hat nur sichergestellt, dass sie keine Marines mit sich nimmt. Sein Schuss hat mehrere Amerikaner gerettet, deren Leben ist ganz klar mehr wert als die kaputte Seele dieser Frau. Er kann mit einem ruhigen Gewissen vor Gott stehen, er hat einen guten Job gemacht. Aber er hasst aus tiefstem Herzen all dieses Böse, von dem diese Frau beherrscht war. Er hasst es bis heute.
Wildes, abscheuliches Übel. Das ist es, das sie bekämpften im Irak. Deshalb nennen viele, und auch er, die Feinde „Wilde“.
„Sie alle verdienten es, zu sterben“
So beginnt die mit Hilfe zweiter Ghostwriter geschriebene Autobiographie von „Navy SEAL Chris Kyle: American Sniper“. Dass da überall „Ich“ steht in der oben beschriebenen Szene, macht es nicht besser. Gegen Ende der 382 gnädig großzügig gesetzten Seiten heißt es: „Ich vergeude nicht viel Zeit darauf, über das Töten von Leuten zu philosophieren. Ich habe ein klares Bewusstsein von meiner Rolle im Krieg. Ich bin ein guter Christ. Kein perfekter, aber ich glaube mit tiefstem Herzen an Gott, Jesus und die Bibel. Wenn ich sterbe, wird Gott mich für alle meine Taten zur Verantwortung ziehen … Ich glaube die Tatsache, dass ich Jesus als meinen Erlöser angenommen habe, wird meine Erlösung sein. Aber in diesem Hinterzimmer, wo Gott mich mit meinen Sünden konfrontieren wird, da wird von keinem einzigen meiner Abschüsse die Rede sein. Alle, die ich erschossen habe, waren böse. Es war jedes Mal für einen guten Zweck. Sie alle verdienten es, zu sterben.“
„160 tödliche Treffer – Der beste Scharfschütze des US-Militärs packt aus“, schrie die Unterzeile der deutschen Buchausgabe. Ich weiß noch, wie ich es nicht fassen konnte, bei der ersten Lektüre der „Autobiography of the MOST LETHAL SNIPER in U.S. Military History“, dass über andere Sprachbilder hinaus für Feinde/ Gegner/ Kombattanten dieses Buch nicht kam. Dass es darin nicht einen Moment gab von irgendeinem Respekt gegenüber fremdem, nicht-amerikanischem Leben. Nur Selbstgerechtigkeit, dumpfbackenste, zudem christlich verbrämte Selbstgerechtigkeit. Dazu eine Menschenverachtung, die sich bei weitem nicht auf 160 amtlich verbürgte oder 255 behauptete „Kills“ beschränkte. In all meinen Jahren militärischer Lektüre, bei meinen langjährigen Studien zur Kulturgeschichte des Scharfschützen, war mir noch kein schlimmeres, dümmeres, beschränkteres Buch begegnet. Ok, ein aufgeblasener, widerwärtiger Navy SEAL aus Hintertexas, dachte ich, der sich sogar rühmt, in New Orleans Plünderer erschossen zu haben. Dort anscheinend auch Frauen, wenn man sich die Differenzierung für seinen ersten „Kill“ vor Augen führt.
Marketingtechnisch: Spitzenstart – gleich nach „Charlie Hebdo“
Dann hörte ich, dass Steven Spielberg das Buch verfilmen wollte, absprang. Dass Clint Eastwood übernahm. Dass Bradley Cooper die Filmrechte gekauft, sich Muskeln und Gewicht draufgeschafft hatte und die Hauptrolle übernehmen wollte, zusammen mit Clint produzierte. Dann kam der Trailer in Umlauf. Dann war „Charlie Hebdo“. Der Film startete am darauffolgenden Wogende in den USA, schlug alle Rekorde, auch den von AVATAR, war nach zwei Wochen bereits der erfolgreichste Kriegsfilm aller Zeiten. Bradley Cooper zeigt es darin all den muslimischen „Wilden“. Knallt sie ab. Ein Hassfilm, marketingtechnisch optimal plaziert. Über 90 Millionen Dollar Einspiel für den 58,8 Millionen Dollar teuren Film bereits am ersten Wochende. Eastwoods letzte Filme, JERSEY BOYS von 2104 und J. EDGAR von 2011, hatten da gerade 13,3 und 11,2 Millionen eingespielt. Nach sechs Wochen lag AMERICAN SNIPER bei weltweit 471 Millionen Dollar Einspiel, 331 davon in den USA.
Eastwoods Film beginnt mit dem (sonst goldenen) Filmgesellschaftslogo in angefressenem, abbröckelndem Schwarzweiß. Die Leinwand wird schwarz, der Muezzin-Ruf „Allahu akbar“ erschallt. Bildfüllend die Frontseite eines Schützenpanzers. US-Soldaten in Kolonne, als das Bild aufzieht. Einmarsch in eine Stadt, martialisch. Dann alles von oben, von einem Dach. Bradley Cooper am Zielfernrohr. Schaut durch. Gegenschuss. Eine verhüllte Frau mit Kind tritt aus einem Haus, überdeutliche Bewegungen. Eine große Panzerfaust im Gewand, die sie dem Jungen gibt. Finger am Abzug. Distanz 180 Meter, sagt der Mann neben ihm. Wenn du Scheiße baust, sagt der Spotter, landest du in Leavenworth. (Dem Militärgefängnis, AM.) Finger am Abzug. Großaufnahme.
Als sich der Finger krümmt und der oscargekrönte Schuss erschallt – Schnitt hinüber in eine ungelogen 20minütige Rückblende. Ein Rehbock fällt, in den Tonschnitt hinein. „You got a gift“, lobt der Vater. Kindheit, Sport, unschuldiges Jagen. Pfarrerpredigt von Wölfen, Lämmern und Beschützern. Nur manche hätten das Bedürfnis, die Herde zu schützen. A rare breed. Der Vater sagt, er zieht keine Schafe groß in seiner Familie. We protect our own. Du weißt, was deine Pflicht ist. Dann ist er Rodeocowboy. Ein TV-Dummchen als Freundin. Sie fickt herum. Ich bin nicht wie die meisten Männer, sagt er. Im Fernsehen die Al Qaida-Anschläge auf die US-Botschaften U.S. in Nairobi und Daressalam vom 7. August 1998.
Musterung. I’m looking for warriors. Ausbildung. Ein Sergeant wie aus Kubricks FULL METAL JACKET, man hat das schon besser gesehen, sogar in G.I. JANE. Navy SEALS-Härte. Kneipe. Tanya, eine Hollywoodschönheit, an der Theke (Siena Miller). Flirt, tolle Frau. I’m not a redneck, I’m from Texas. Ausflüge. I’ll lay down my life for this country, because this is the greatest country in the world. Schießstand. I’m better when it’s breathing. Die Zielscheibe verfehlt er, nicht aber die Klapperschlange daneben. Schwangerschaft. Hand auf dem Bauch. Die Türme von 9/11. Du beschützt uns alle, sagt sie. Gott, Familie, Vaterland. Zack, im Irak. Kriegsmontur. Da ist ein Schütze, der aus weiter Entfernung tötet. Mustafa. War bei den Olympischen Spielen. Die Szene wieder auf dem Dach. Sie schicken dich nach Leavenworth, Mann. Deine Entscheidung. Der Finger immer noch am Abzug. Die Frau, das Kind, die vorrückenden US-Soldaten. Ganz deutlich die Panzerfaust. Die Frau gibt sie dem Kind. Schickt es Richtung der vorrückenden Soldaten. Er schießt. Der Junge geht nieder. Er schießt erneut, als die Frau die Panzerfaust aufnimmt und zu werfen sucht. Fucking Hadjes. Fucking savages. You did your job. Du hast dein Rohr entjungfert, lacht der andere Soldat auf dem Dach. You did it, man. „Popping a cherry“, heißt es in der Originalversion des Films, ein wirklich reizender Ausdruck dafür, einem Kind den Kopf wegzublasen.
„Stolz der Nation“, nicht von Goebbels, vom alten Clint
All dies in einer Propaganda-Montage, wie sie JUD SÜSS – und ich kenne diesen Film, ebenso wie 500 Kriegsfilme – nicht besser im Programm hat. Ja, AMERICAN SNIPER ist ein Fascho-Film. Nicht einmal Tarantino hat sich das bisher getraut, tarnte das in INGLORIOUS BASTERDS als „Film im Film“, als den Nazi-Propagandafilm „Stolz der Nation“, in dem die Abenteuer eines deutschen Scharfschützen und Fernschuss-Henkers für das „Wochenschau“-Publikum glorifiziert werden …
Man braucht nicht diskutieren, zu wie viel Prozent das noch vielleicht ein wenig ein Antikriegsfilm sei – niedlich, wie da allerlei Apologeten abwiegen, und doof, wie blechern solche Argumente dann klingen. AMERICAN SNIPER ist mehr als ein Kriegsfilm. Er ist ein Hetzfilm. Propaganda für den Hass in der Welt. Alleine die Sprache des Films ist unterirdisch. Nicht eine einzige Person, die sich aus diesem Vulgärsumpf erhebt, mit der man hier die Feinde durchgängig zu Untermenschen macht. Auch die Einsatzleiter und Kommandeure, die militärische „Elite“, sie alle wissen nur von „Ragheads“, „Fuckin‘ Hadjis“, „Funk these shitheads! / I want this asshole dead or captured!“ und ähnlichem zu reden. Ein Film auf einem Niveau, für das Hinterwald ein Kompliment ist.
Gegenüber Kyles Buch, in dem alle Selbstgerechtigkeit nicht zudecken kann, dass es bei diesem ersten Kill doch Skrupel gab, weil er in einer nicht ganz klaren Situation einer Frau galt, die eine Panzerfaust trug – als ob die sich einer Fußpatrouille auf Wurfnähe nähern könnte –, gegenüber einer immerhin gewissen Mulmigkeit in der Buchvorlage legt Eastwood eine kräftige Schippe nicht nur visueller Eindeutigkeit drauf: Die Panzerfaust ist überdeutlich zu erkennen und die Frau schickt im Film damit ihren Jungen los, macht ihn zu einem Selbstmordattentäter, versucht fanatisch, dann noch selbst den Explosivkörper zu werfen. Böse, böse, böse, diese Feinde. Unmenschliche Monster. Da ist es klar gerechtfertigt, ein Kind zu töten und eine Frau. Solche Rechtfertigungspropaganda setzt sich fort im Film, es gibt eine Folgeszene mit einem Jungen, sie ist rhetorisch dürftig und durchsichtig. Man muss schon sehr bekloppt und kolonialistisch zugehämmert sein, diesen Film selbst in irakischen Kinos zu zeigen – wie geschehen. Er lässt an den Irakern kein gutes Haar.
Wieder in der Wagenburg
Das also ist der Stand der amerikanischen Selbstvergewisserung im Jahre des Herrn 2015? Das ist die Quersumme des filmischen Schaffens einer Größe wie Clint Eastwood? Das hielt man für sechs Oscar-Nominierungen würdig, auch wenn es dann nur für den pornographischen Tonschnitt gereicht hat? Amerika, du bist am Arsch. Sorry to say. 680 Milliarden Dollar Wehretat (Deutschland 48) werden da nicht helfen.
Dieser Film ist eine Schande, ein Armutszeugnis, ein vernichtendes Zeitdokument. Kein Genie kann dauernd auf Niveau bleiben, das ist nicht mein Begehr, solch einen Abgang aber hätte ich mir von Clint Eastwood nicht träumen lassen. Dumpfer aufzutreten, plumper als jede Kalte-Kriegs-Klamotte, wieder und wieder „Gott, Familie, Vaterland“ auf filmischem Hinterwaldniveau zu buchstabieren, das ist unterirdisch. Darum aber geht es ja bei Propaganda, gerade die Dummen müssen sie verstehen können, wenn man einen selbstgerechten Killer zu einem National-Helden verklärt. Einen, der damit prahlte, an einer Tankstelle zwei Autodiebe und im überfluteten New Orleans 30 Plünderer abgeschossen zu haben. (Siehe die CM-Besprechung von James Lee Burkes „Sturm über New Orleans“.)
Sie hocken wieder in ihrer Wagenburg, von Feinden umzingelt, die sie sich selber schufen, weil sie für Kooperation zu dumm, zu gierig und zu selbstgerecht waren. Der Planwagen auch eine prima Metapher dafür, dass beim amerikanischen Modell zwar jeder seine Chance hat, aber eben nicht jeder mitkommt und das Zurückgelassen-werden zum Kleingedruckten des amerikanischen Traums gehört. Die Puritaner lebten, wie Robert Frost das sah, in einer völlig feindseligen Beziehung zu dem sie umgebenden neuen Land., das sie so sahen:
A waste and howling wilderness
Where none inhabited
But hellish fiends, and brutish men
That devils worshiped.
Für Bradly Cooper ist es ein cooler Western
Gründungsmythen, mit solch einem Blick auf die Welt erbaut, mit so viel Gewalt erkauft, sie sind das Forschungsgebiet des Kulturwissenschaftlers Richard Slotkin. Er hat sie in drei Standardwerken aufgeschlüsselt. Der in Germantown / Pennsylvania geborene Owen Wister (1860 -1938), Mitbegründer der Cowboyromane, sah noch den einfachsten weißen Siedler und Cowboy als „verborgenen Aristokraten“, als Gentleman: „The creature we call a gentleman lies deep in the hearts of thousands that are born without chance to master the outward graces of the type.“ Der Mythos der Grenze manifestierte sich für ihn direkt aus der Schöpfungsgeschichte der Bibel; „An American Adam who inhabits a space across which Noah and Adam might come straight from Genesis.“
Kaum ein anderer amerikanischer Regisseur hat diesen Mythos mehr und länger gepflegt als Clint Eastwood. Was wir für Brechungen gehalten haben, etwa in ERBARMUNGSLOS, war wohl eher Revisionismus, muss man von heute aus sagen. Von wem wohl hat Bradley Cooper die Idee, dass sein AMERICAN SNIPER nichts anderes als ein Mittler-Osten-Western sei, etwas unterhaltsam Fiktives („some sort of Middle Eastern Western flick“). Ihm sei unverständlich, wie man sich darüber aufregenden könne, gab dieser 40-jährige zu Protokoll.
Sie wissen nicht was sie tun, das aber tun sie erfolgreich, verdienen sich goldene Nasen und bestärken ein Rüpel- und Killertum, dass man sich der westlichen Zivilisation schämt. „Wir müssen erkennen“, sagt Richard Slowakin in seinem Standardwerk „Regeneration Through Violence“ (Erholung durch Gewalt), „dass ein Volks, das seines Mythos nicht gewahr ist, vermutlich unter diesem Joch weiterleben muss …, dass die Mythen der Vergangenheit sich immer wieder erheben, um auf die Lebenden niederzufahren, sie zu verkrüppeln und verstümmeln.“
Bradley Cooper betont: „I love the idea of framing it as a Western. And that this guy happened to be incredibly charismatic. You have a guy going into a town, and there’s his equivalent on the other side – another sharpshooter. He’s a sharpshooter. You end it in, you know, tumbleweeds. At the dust storm, there’s showdown. This sort of, you know, one man and his sort of pursuit – that idea.“
„Sniper“, das war doch immer etwas Feiges
Ja, der Sandsturm kommt, der Showdown auf weite Distanz mit dem dazuerfundenen Superscharfschützen Mustafa, die Kugel fliegt groß, rotierend, computeranimiert und dumm wie in HÄNSEL UND GRETEL – HEXENJÄGER ihrem Ziel entgegen. Bumm. Nur, Arschbacke, es ist kein Western, es ist die Wirklichkeit, mit der hier gespielt und manipuliert wird. Echter Krieg, kein Videospiel, kein Fun, bei dem man Popcorn isst. Auch wenn der Film die Schutzweste des Helden mit dem Logo der Comicfigur THE PUNISHER verziert, Sonnenbrillen bei Soldaten so unendlich cool aussehen, das alles manchmal wie eine HANGOVER-Sause aussehen lässt: Es geht hier um reale Gewalt, um realen Krieg, der seine Konsequenzen hat und fordert. Von den Irakern wie von unserer Zivilgesellschaft. Dieser global vermarktete Film tritt an als DER „American Sniper“, als der amerikanische Superkrieger, als „the american way“ heutiger westlicher Kriegsführung, als amerikanische Antwort auf die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus. Er tritt an und auf als „unsere“ Antwort auf politische Probleme im arabischen Raum. Er tritt auf, als sei das alles, was wir können, und was es brauche. Steinzeit-Niveau. (Siehe auch die Chris Kyle-Zitate ganz unten)
Michael Moores Twitter-Kommentar, der die Rechten Amerikas auf die Palme brachte, enthielt einen völlig berechtigter Hinweis: „My uncle killed by sniper in WW2. We were taught snipers were cowards. Will shoot u in the back. Snipers aren’t heroes. And invaders r worse.“
Scharfschützen sind Feiglinge. Sie schießen dir in den Rücken. Ohne Warnung, ohne Rücksicht. Peng, und weg. So erwischte es Michael Moores Onkel. Es ist terroristische Kriegsführung. Einschüchterung. In Kairo, Tunis, Kiew wurden so Hunderte Demonstranten ermordet, um eine demokratische Bewgung aufzuhalten. Scharfschützen, das ist Soldatentum, das sich aus gutem Grund wenig in den Vordergrund drängt. In USA gibt es in zahlreichen militärisch geprägten Foren Verwunderung über zweierlei: Über den aktiven Gebrauch des Begriffes „Sniper“ und darüber, dass ein Soldat so vermarktungsgeil auf die große Kacke haut: „American Sniper. The Autobiography of the MOST LETHAL SNIPER in U-S. Military History“. Schaut man sich die US-Kriegsmemoiren der jüngeren Zeit an, die Erledigung Osama Bin Ladens inbegriffen, fällt auf, dass hier weitgehend Navy SEALS ihrem Harn nicht halten können, sich gemessen an militärischen Gepflogenheiten in immer kürzerem, dafür aber vermarktungsnahem Abstand über militärische Fettaugen in der Weltgeschichte äußern. Hier sind Dämme gebrochen. Ich warte auf „American Drone. Wie ich neue Rekorde für Kollateralschäden aufstellte.“
Sniper, getarnte Schützen, auch Heckenschützen genannt, das war bislang kaum Material fürs Angeben und Protzen. Nur wenige Autoren wie der Thrillerautor Stephen Hunter schafften da eine Balance, dies, indem sie eine Ethik dieses Tun herausarbeiteten. (Zum CM-Porträt geht es hier und hier.)
Teil der Pöbelkultur
Chris Kyle pfeift darauf. Er hat geprotzt und angegeben, bestsellerträchtig. Der Name „Legend“, den ihm seine Kameraden verpassten, war keineswegs ein Ehrenname, es war amüsierte Spöttelei: Ja, ja, du Legende. Im Buch gibt es eine sehr unangenehme Stelle, in der sein Abschussrekord in Gefahr gerät. Daraufhin prahlt er, hat er bald „every stinkin‘ bad guy in the city running across my scope“. Hahaha. Diese stinkenden Vögel laufen ihm ja haufenweise ins Visier.
Chris Kyle freilich ist Teil einer nicht nur am Kneipentresen pöbelnden Kultur. Der renommierte NBC-Nachrichtenmoderator Brian Williams – man muss diese Clips googeln, weil man es sonst nicht glaubt – protzte über Jahre mit seiner Nähe zu „Commados, you know, Black Op guys, pretty bad“, erzählte von einem „Throatslasher“, einem höllisch scharfen Aufschlitzmesser, das ihm so ein Kerl als Dank für einen Schokoladenriegel während des Fluges in einem Truppentransporter geschenkt habe, erzählte von der freundlichen Zusendung eines kleinen Wrackteils von jenem Black-Hawk-Hubschrauber, der bei Kommandoaktion zur Erledigung Osama Bin Ladens abstürzte, erzählte davon, wie er während der US-Invasion im Irak 2003 in einem Helikopter abgeschossen worden sei. Bis alles aufflog, als pure Angeberei. Als Fernsehmann seine Einschaltquoten mit Kriegsreliquien zu steigern, das verweist auf einen gesellschaftkichen Zustand, der sich nicht wirklich weit von Skalps und abgeschnittenen Ohren entfernt hat.
Nur heiße Luft
Scharfschützentechnisch übrigens ist AMERICAN SNIPER nur heiße Luft. Vom Präzisionshandwerk, das das treffsichere Schießen auf weite Distanz erfordert und durchaus seine Faszination hat, ist so gut wie nichts zu sehen. Auch der angebliche Rekordschuß, der den Pseudogegner Mustafa erledigt, würde weder so vorbereitet, noch so erfolgen können, während ein Sandsturm heranzieht. Ich sah AMERICAN SNIPER zusammen mit einem echten Scharfschützen, wir holten uns weitere Meinungen ein. Hier aus einer Mail: „1.900 m sind möglich bei extrem guten Wetterbedingungen (Seitenwindstabilität!!!!) und freiem Schussfeld nach oben, die Flugbahn steigt ca. 15 bis 20 Meter über die Visierlinie an …“
Waffentechnische Aufklärung für allerlei Details gibt auch die International Movie Firearms Data Base (IMFD).
Die Welt durch ein Zielfernrohr betrachtet, all die visuellen Möglickeiten von Fadenkreuz, Teleobjektiv, Schärfe, Unschärfe, Zoom und Tiefe des Raums, das Thema des Sehens selbst, blendet Eastwoods Film weitgehend aus, bleibt da filmisch völlig belanglos. Bradley Cooper ist nach seinen ersten beiden Kills schon bald – anders als in der Biografie – unten bei den Bodentruppen, mischt mit beim Häuserkampf, wird inszeniert wie ein geborener Anführer. Wie bitte, der Kerl von oben auf dem Dach, der uns von dort aus Schutz bieten soll – come on, Mr. Eastwood, was für’n Scheiß. Aber es geht noch weiter. Mindestens zweimal telefoniert Bradly Copper mitten in einer Kampfhandlung per Satellitentelefon mit seiner Frau, ruft sie sogar noch schnell vor seinem „Rekordschuss“ auf Mustafa an, wo ein richtiger Sniper schweißtreibend alle Hände voll damit zu tun hätte, die Winddaten aktuell zu halten. Gott, Familie, Vaterland. Scheint normal zu sein, solch eine Quasselstrippenpraxis bei den SEALs. Unsinn natürlich. Einmal ist es auf beiden Seiten des Telefons gleichzeitig Mittag. Für eine Zeitverschiebungstabelle reichte das Budget wohl ebensowenig wie für eine ordentliche Babyattrape. Bradley Cooper wirft das Bündel herum als wäre es sein fucking Rucksack, bevor ihm einfällt, den eingewickelten Kopf zu streicheln. Kleinigkeiten, klar.
Einmal wird vom „Lex talionis“ gefaselt. Da einzige Fremdwort im Film, man muss davon nur „Auge um Auge“ verstehen. Irgendeinen Anflug von politischer Debatte, was Amerika da eigentlich im Irak macht, warum man wen da beschützt oder gefährdet, irgendeinen Anflug von Geist gibt es in diesem Film nicht. Dieser Film sei „unpolitisch“ – darauf haben sich viele amerikanische Kritiker geeinigt. Das ist pures Hollywood, wie nur Hollywood die Welt verbiegen kann. Die Besucherzahlen tun ein Übriges fürs Maulhalten. Kritiken wie die im „Rolling Stone“ („Almost too dumb to be critizied“) bleiben eher Ausnahme.
Demokratie kommt nicht vom Fahnenschwenken, meint Mailer
Der Film endet mit einer Montage von Archivaufnahmen, folgt dem Trauerkonvoi (Kyle wurde auf einem heimischen Schießstand von einem Kriegsveteranen erschossen) auf seiner Fahrt zur Trauerfeier im Stadion von Austin, Texas. Fahnenschwingende Menschen säumen den Highway. Die Nationalflagge, wieder und wieder im Bild, macht AMERICAN SNIPER zu einem Nationalmonument wie schon sehr lang kein Film mehr aufgetreten ist.
Norman Mailer (zur CM-Besprechung eines wichtigen Textes von ihm geht es hier) schrieb 2003, im Alter von 80 Jahren, sein wohl wütendstes Buch. „Why We Are at War“ (Heiliger Krieg: Amerikas Kreuzzug). Es war eine gnadenlose Abrechnung mit Bushs Invasion im Irak, eine Warnung davor, zu glauben, Demokratie lasse sich so einfach exportieren wie Popcorn. Eine Warnung davor, dass genau solche blauäugigen Exportversuche mehr Faschismus, im eigenen und im fremden Land, bewirken könnten. „Die Tatsache, dass wir eine große Demokratie waren, bedeutet nicht automatisch, dass wir eine bleiben, wenn wir nur eifrig die Fahnen schwenken. Die Demokratie ist in Gefahr.“
Sarah Palin sieht die Kritiker von AMERICAN SNIPER als nicht mal würdig an, die Stiefel von Chris Kyle zu putzen. Auf ihrer Facebook-Seite verkündet sie: „God bless our troops, especially our snipers. Hollywood leftists: while caressing shiny plastic trophies you exchange among one another while spitting on the graves of freedom fighters who allow you to do what you do, just realize the rest of America knows you’re not fit to shine Chris Kyle’s combat boots.“
Besser hätte es Joseph Goebbels nicht sagen können.
PS: Chris Kyle im Original, einige Zitate aus seiner Biografie:
„I wondered, how would I feel about killing someone? Now I know. It’s no big deal.”„Savage, despicable evil. That’s what we were fighting in Iraq. That’s why a lot of people, myself included, called the enemy ‘savages’…. I only wish I had killed more.”
„You do it until there’s no one left to kill. That’s what war is. I loved what I did… I’m not lying or exaggerating to say it was fun.”
„People ask me all the time, “How many people have you killed?” My standard response is, „Does the answer make me less, or more, of a man?” The number is not important to me. I only wish I had killed more. Not for bragging rights, but because I believe the world is a better place without savages out there taking American lives. Everyone I shot in Iraq was trying to harm Americans or Iraqis loyal to the new government.”
„I have a strong sense of justice. It’s pretty much black-and-white. I don’t see too much gray.”
„I am a strong Christian. Not a perfect one—not close. But I strongly believe in God, Jesus, and the Bible. When I die, God is going to hold me accountable for everything I’ve done on earth. He may hold me back until last and run everybody else through the line, because it will take so long to go over all my sins. “Mr. Kyle, let’s go into the backroom…” Honestly, I don’t know what will really happen on Judgment Day. But what I lean toward is that you know all of your sins, and God knows them all, and shame comes over you at the reality that He knows. I believe the fact that I’ve accepted Jesus as my savior will be my salvation. But in that backroom or whatever it is when God confronts me with my sins, I do not believe any of the kills I had during the war will be among them. Everyone I shot was evil. I had good cause on every shot. They all deserved to die.”
„You know how Ramad was won? We went in and killed all the bad people we could find. When we started, the decent (or potentially decent) Iraqis didn’t fear the United States; they did fear the terrorists. The U.S. told them, “We’ll make it better for you.” The terrorists said, “We’ll cut your head off.” Who would you fear? Who would you listen to? When we went into Ramadi, we told the terrorists, “We’ll cut your head off. We will do whatever we have to and eliminate you.” Not only did we get the terrorists’ attention—we got everyone’s attention. We showed we were the force to be reckoned with. That’s where the so-called Great Awakening came. It wasn’t from kissing up to the Iraqis. It was from kicking butt. The tribal leaders saw that we were bad-asses, and they’d better get their act together, work together, and stop accommodating the insurgents. Force moved that battle. We killed the bad guys and brought the leaders to the peace table. That is how the world works.”
„The purpose of war, as Patton put it, is to make the other dumb bastard die.”
Alf MayerBild: Warner Bros
Text zuerst erschienen auf Culturmag
Zu Alf Mayers Kulturgeschichte des Scharfschützen geht es hier.
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