Ein vielgestaltiges und feinfühliges, hierzulande weitgehend unbekanntes künstlerisches Lebenswerk gilt es zu entdecken. Das Haus am Waldsee, unter neuer, vielversprechender Leitung, zeigt die erste Retrospektive der international längst gefeierten Künstlerin Margaret Raspé.

Themen, die erst (viel) später in künstlerischen und genderspezifischen Produktionen, sowie gesellschaftskritischen Diskursen ankamen, beschäftigten Margaret Raspé bereits in den frühen 1970er Jahren. Doch im Unterschied zu vielen anderen KünstlerInnen dieser Zeit wirken ihre Installationen, Soundarbeiten, Fotoserien und Filme erstaunlich unpädagogisch, auf den ersten Blick unpolitisch und scheinbar leicht zu dechiffrieren.

Anfänglich ging es der 1943 in Breslau geborenen Künstlerin vielleicht „nur“ um eine Demontage des männlichen Blicks – vor allem seiner Arroganz demgegenüber was Frauen täglich im häuslichen Umfeld tun. Hierfür stehen die in der Ausstellung zahlreich vertretenen, sogenannten Küchen-Filme. Sie zeigen die Hände Margaret Raspés in Großaufnahme. Wir sehen, wie sie Sahne schlagen, Geschirr spülen, Teig kneten oder ein Schnitzel zubereiten – tausendfach wiederholte Automatismen, Rituale, weitgehend unbeachtet und unbeobachtet. Langweilige Tätigkeiten sind es, die hauptsächlich von Frauen geleistet werden – bis heute weder wertgeschätzt noch entlohnt.

Diese Filme, die teilweise eine Länge von bis zu 30 Minuten haben, laden dazu ein bildlich und im Detail etwas zu verfolgen, was normalerweise „die Sache“ nicht wert ist. Dabei erzeugen sie merkwürdige Effekte, nicht zuletzt auch auf Grund der Körnigkeit und Farbigkeit der noch tief im Analogen verwurzelten Filme. Längst haben sich unserer Augen doch an die glatten, an der bloßen Oberfläche klebenden digitalen Bilder gewöhnt, die keinerlei Materialität mehr aufweisen. Auch fragt man sich, wie die Künstlerin es damals technisch schaffte, dergleichen Banales und Vertrautes so überraschend und ungewöhnlich aussehen zu lassen? Wie hat sie das eigentlich gefilmt?

Dahinter steckt ihre legendäre Erfindung des sogenannten Kamerahelms. Eine kleine Agfa-Microflex Super 8 Filmkamera wurde mit Hilfe eines einfachen Märklin- Bausatzes auf einem Helm befestigt. Ausgestattet mit Selbstauslöser und zwei Riemen, die um den Bauch führten, um das Ganze zu stabilisieren, war der Kamera-Sucher auf einer Höhe mit einem Auge der Künstlerin. „Ich zeige euch die Welt, wie nur ich sie sehen kann“, das schrieb 1929 natürlich ein Mann, der russische Filmpionier Dziga Vertov. Der Effekt, den die Filme Margaret Raspés haben, verhelfen diesem Dictum zu einer neuen, feministisch künstlerischen Aktualität. Denn ihre Küchenfilme machen sowohl auf einen konkreten künstlerischen, wie symbolischen Handlungsraum aufmerksam. Sie nehmen mikrosoziale Strukturen in den Blick und setzen die gelebte Realität einer Hausfrau als Ausgangspunkt von Kunst. In diesem Ansatz erinnern die Filme Raspés an „Jeanne Dielman“ (1975) von Chantal Akerman, einem Film der Ende 2022 (Sight & Sound) zum besten aller Zeiten gekürt wurde.

Darüberhinaus führen die Küchenfilme Raspés Kopf- und Handarbeit auf kongeniale Art und Weise zusammen. Denn der Kamerablick ist bei ihr ein im wahrsten Sinne des Wortes an den weiblichen Körper gebundener Blick geworden. Jede Bewegung der Handlungen der Künstlerin geht direkt und unmittelbar in ein Film-Bild über.

 

Margaret Raspé, Nike tanzt, 1985, Fotoperformance, Foto: Dagmar Uhde, Courtesy die Künstlerin

 

Das Bewusstmachen von Sinn- und Leiblichkeit, die Konzentration auf jegliches Tun und dessen Effekte, darum geht es der Künstlerin Zeit ihres Lebens. Egal ob sie mit Töpfen und Messern, mit Pinseln und Farbe, mit Tönen (wie in den in der Ausstellung gezeigten Arbeiten „Ecce Homo“ „Kontinuum I“, oder „Videomiel-Videohonig“) oder gleich mit dem ganzen Körper agiert (wie in „Nike tanzt“), immer schwingt im Hintergrund die Infragestellung der Errungenschaften der sogenannten Moderne. So legt sie beispielsweise weiße Wolle in einen verschmutzten Fluß oder steigt gleich selbst weißgewandet in einen solchen, wie es die Fotoserie „Wasser ist nicht mehr Wasser“ anschaulich dokumentiert. Raspé will jedoch mit dergleichen Aktionen nicht nur auf Umweltverschmutzungen aufmerksam machen, sondern auch darauf, dass eine schön anzusehende Oberfläche, wie zum Beispiel ein Fluß, durchaus im Widerspruch zu seiner wahren Beschaffenheit stehen kann.

Die Suche nach anderen Wahrnehmungsformen zieht sich wie ein roter Faden durch das Gesamt-Werk der Künstlerin. Und so verwundert es nicht, dass sie in ihren Forschungsarbeiten und Reisen bis zu den sogenannten Anasterániden Thrakiens kam. In der Nähe Thessalonikis versuchte sie das Geheimnis der Feuerläufer zu entschlüsseln, deren Rituale als bio-energetisch bezeichnet werden können. Ihr dazu entstandener gleichnamiger Film wurde 1985 im Forum der BERLINALE gezeigt. Ihre Notizen und Gedanken hierzu sind in einer Vitrine der Ausstellung nachzulesen.

Ökologie und Nachhaltigkeit, aber auch Spiritualität bzw. ein Wissen jenseits von reiner Rationalität und Wissenschaftlichkeit fließen mehr oder weniger in viele Arbeiten der Künstlerin ein und machen sie damit gleichermaßen aktuell wie diskutabel. Ihre Botschaft ist eindeutig: es ist an der Zeit, (endlich) unser Bewusstsein zu verändern, die scheinbaren Gegensätze von Körper und Geist oder Mensch und Natur aufzuheben und zu einem anderen Verständnis von Welt zu kommen.

Daniela Kloock

Bild ganz oben: Margaret Raspé, Fernsehfrühstück, 1994/2023, Installationsansicht Margaret Raspé – Automatik, Haus am Waldsee, 2023, Foto: Frank Sperling

 

AUSSTELLUNG:

Haus am Waldsee
Argentinische Allee 30
14163 Berlin
Tel. 030 / 801 89 35
www.hausamwaldsee.de