Die „Big Nudes“ von Helmut Newton sind quasi das Empfangskomitee. Unübersehbar hängen die Fotografien im Treppenhaus des ehemaligen Offizierskasinos, heute Sitz der nach dem weltberühmten Fotografen benannten Stiftung. Ein großer Auftritt für die unbekleideten Schönheiten. Helmut Newton liebte Theatralik, aber auch Paradoxien und hintergründigen Witz. Etwas Schelmisches steckt in vielen seiner Arbeiten.
Derzeit werden hier Positionen von dreizehn international berühmten Künstlerinnen und Künstlern zum Thema „Body Performance“ vorgestellt. Es sind ganz unterschiedliche Zugangsweisen und Positionen zum Thema „Körper“, und doch lassen sich erstaunliche Verbindungen und Querverweise entdecken.
Groß ist das Thema, groß geht es auch gleich im ersten Raum los. Denn die farbigen Fotografien von Vanessa Beecroft sind riesig aufgezogen. Sie zeigen die nur mit einer hautfarbenen Strumpfhose bekleideten 150 Frauen bei der Performance in der Neuen Nationalgalerie 2005. Bedeutungsschwanger stehen die fast-Nackten da, Blickkontake und Bewegungen sind ihnen von der Künstlerin untersagt. In einem kleinen Seiten-Kabinett läuft ein Video. „Lassen Sie Ihre Person hinter sich. Werden Sie durchscheinend, seien Sie still, allein, unabhängig, unerreichbar“- befiehlt eine monotone Frauenstimme. Das könnten die Regieanweisungen der Künstlerin sein, genauso Indoktrinationen oder Therapieempfehlungen. Es darf also gerätselt werden, nicht jedoch darüber, dass bei Vanessa Beecroft der vermaßte, ent-individualisierte Mensch selbst zum gefrorenen Bild wird.
Da sind die drei Models von Barbara Probst schon deutlich aktiver und selbstbestimmter. Sie fotografieren sich gegenseitig und gleichzeitig. Was zunächst wie ein spielerisches Arrangement wirkt verweist jedoch auf erkenntnistheoretische Dilemmata. Blick, Bild und Cadrage sind kontingent – wie unsere (Welt)wahrnehmung, wie überhaupt das Organisationssystem des Sehens. Dass dabei die Fotografie eine immer größere Bedeutung einnimmt ergibt sich von selbst. Immer wieder aufs neue gelingen der Künstlerin mit ihren arrangierten Diptychen und Triptychen diese grundsätzlichen Hinterfragungen – sympathische Aufforderungen über das eigene Sehen nachzudenken.
Das Leibliche, das Leben, ist per se Bewegung. Doch Fotografie ist nicht Film. So wundert es nicht, dass sich einige der KünstlerInnen an der Frage abarbeiten, wie im nur-einen-Moment-festhaltenden Medium Bewegung suggeriert werden kann. Beispielhaft hierfür stehen Jürgen Klauke und Robert Longo. Bei Klauke interagiert in einer fotografischen Sequenz ein Paar in einem seltsamen Tanz. Der Mann, ganz in schwarz, ist kaum auszumachen. Der Hintergrund der Szene ist sehr dunkel. Eine ebenfalls schwarz gekleidete Tänzerin wirbelt in verqueren Positionen zum Teil kopfüber um ihn herum. Einzig ihre bestrapsten Beine sind in den unterschiedlichsten Positionen als helle Körperteile deutlich. So wirkt die Fotosequenz in einem größeren Abstand betrachtet fast wie ein Musikstück, die Beine der Tänzerin wie Noten. „Viva Espania“ heißt die Serie der menschenhohen Abzüge, in denen Klauke seine Sehnsucht nach Verschmelzung zweier Körper ebenso visualisiert wie seine Faszination an kopflosen Geschlechterwesen. Wie dieser „Doyen der Körper-Foto-Kunst“ bereits in den 1970er Jahren normative Geschlechter-Kodierungen durchkreuzte kann in einer Vitrine mit Fotografien seiner frühen Arbeiten bestaunt werden.
Viel Bewegung, action würde man beim Film sagen, drückt auch die Serie von Robert Longo aus. Tatsächlich war auch ein Film, nämlich R.W. Fassbinders „Der amerikanische Soldat“, Ausgangspunkt für diese performative Bildserie. Diesmal sind es seltsam verdrehte, zuckende, abknickende und fallende Männerkörper auf einem Dach hoch über Manhatten. Robert Longo hat diese Choreografie, die so weich anmutet, aber einen brutalen Ausgangspunkt hat (die Protagionisten wurden von ihm mit Objekten beschossen), als Vorlage für seine berühmten großformatigen Kohle-Zeichnungen „Men in the Cities“ fotografiert.
Tänzerisch geht es dann auch weiter. So wird von Helmut Newton eine relativ unbekannt gebliebene Serie mit auffallend kleinen schwarz-weiss Fotografien gezeigt. Es geht um das „Monte Carlo Ballet“, bzw. dessen Tänzerinnen und Tänzer. Wie immer bei ihm sind diese sowohl „dressed“ als auch „naked“, und wie immer bei ihm finden sich überraschende Bildideen. So stellt er zum Beispiel eine der Tänzerinnen auf Zehenspitzen direkt vor einen schäbig wirkenden Notausgang. Die Hälfte des Bildes wird dabei von einem riesigen Feuerlöscher und dem dazugehörende Notfall-Equipment ausgefüllt.
Bei Bernd Uhligs Fotografien werden Szenen aus den Aufführungen von Sasha Walz festgehalten. Er begleitet die Choreografin schon viele Jahre, zeigt uns in poetisch-atmosphärischen Tanzbildern eingefrorene Gesten und Bewegungsabläufe, hält das Flüchtige und Fließende dieser Aufführungen fest.
Um bis ins letzte Detail durchkalkulierte Inszenierungen geht es auch bei den Fotografien von Cindy Sherman und Robert Mapplethorpe. Der chinesische Künstler Yang Fudong setzt seine nackten bzw. spärlich bekleideten, vereinsamt wirkenden Frauen in ausgesuchte Szenarien, in luxuriös ausgestattete Studio-Bühnen. Und auch er ist inspiriert vom Film – in dem Fall vom französischen Film noir. Starke hell-dunkel Kontraste bestimmen seine hochgradig ästhetischen Bildkompositionen.
Ungleich provozierender wirken dagegen dann die riesigen Fotoabzüge der Puppen/Menschen/Monster von Inez van Lamsweerde und Vinoodh Matadin. Bereits in den 1990er Jahren, lange bevor es Photoshop und ähnliche Programme zur Bildbearbeitung gab, transformierten die beiden Künstler den menschlichen Körper. Geschlechtsteile verschwinden einfach, es bleiben ungute Leerstellen, Hautfarben werden radikal verändert, ein Kinderlächeln wird in ein Männergesicht montiert. Gängige Darstellungsmodi sollen so hinterfragt werden. Es kann aber auch bei einem Gruseln bleiben. Dem entgegen arbeitet Erwin Wurm mit seinen absurd-humoristischen „One Minute Sculptures“. Wieder sind es eher unnatürliche Körperhaltungen, die die Fotografien des Künstlers festhalten, denn er fordert Besucher auf mit Alltagsobjekten kleine Inszenierungen zu vollziehen. Da legen sich Menschen auf Obst oder jonglieren liegend mit Porzellantassen, verschwinden in Mülleimern oder ziehen sich Stühle an. Der Künstler selbst nennt dies „Skulpturen“. Fragilität und Kurzlebigkeit werden hier zum bestimmenden Prinzip.
So flaniert der Besucher durch die verschiedenen Räume wie auf einer „multiplen Bühne“, immer bereit unterschiedlich agierende Menschen zu sehen. Ein breites Spektrum an Zugangsweisen zum Thema „Körper“ wird vorgestellt, dabei ist viel nackte Haut zu sehen, vorzugsweise von Frauen. Einige wichtige Fragen jedoch bleiben offen, wie die, warum es genau zu dieser Auswahl kam, und warum Performance als eigenständige Kunstform nirgendwo zu entdecken ist.
Daniela Kloock
Bild ganz oben: Vanessa Beecroft, VB55 – Performance, 2005, VB55.004.NT, Neue Nationalgalerie, Berlin, 2005, © Vanessa Beecroft
AUSSTELLUNG
Body Performance
bis 10.05.2020
Museum für Fotografie
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