Heimat ist ein großes, ein undurchsichtiges, ein prekäres Wort. Für manche bedeutet Heimat Sicherheit, Geborgenheit und Identität, für andere Flucht oder Widerstand, Ab- oder Ausgrenzung. Jahrzehntelang auf Grund seiner Instrumentalisierung durch die Nazis so gut wie tabu, taucht der Begriff jetzt immer häufiger auf. Tourismus, Werbung, aber auch Gesellschafts- und Sozialpolitik entdecken das Thema. Im Zeitalter der Globalisierung, der allgemeinen Verunsicherung, scheint das Bedürfnis nach identitären Konstanten wieder zu erwachen. Wie aber gehen Künstler mit dieser Problematik um?

Peter Bialobrzeski beschäftigt sich mit dem Thema Heimat schon sehr lange. Bereits in den 1980er Jahren reiste er, der heute zu den ganz Großen der bundesdeutschen Fotografenszene gehört, mit seiner Kamera durch das geteilte Land. Damals hielt er Alltagsszenen fest, er fotografierte in Schwarz-Weiss. Es folgten in den 1990er Jahren weitere Ost-West-Deutschlandbilder, nun in Farbe und teilweise bereits mit einer anderen Ausrichtung und Fragestellung, die sich dann in einem Projekt verdichteten, welches explizit „Heimat“ hieß (2005). Die Alpen, die Küsten, das Elbsandsteingebirge – Motive, die normalerweise mit Urlaubs- oder Postkartenidyllen in Verbindung gebracht werden – inszenierte Bialobrzeski vollkommen neu. Die Fotografien, vorzugsweise Winter- und Sommerbilder, knüpfen einerseits kompositorisch an flämische Landschaftsmalereien an – manche erinnern an Gemälde Caspar David Friedrichs – beziehen sich andererseits aber auch auf die großen amerikanischen Vorbilder der New Color School. Stilistisch war diese Herangehensweise gleichermaßen ungewöhnlich wie erfolgreich. Das Presseecho anläßlich des Erscheinens des Fotobuches „Heimat“ (2006) einhellig. „Friedvoll, klar und voller Poesie“ seien diese Bilder, schrieb „Die Zeit“, auch die „Süddeutsche Zeitung“ kommentierte begeistert: „Deutschland darf wieder schön sein“.

Und dann hat Bialobrzeski, mittlerweile vielfach ausgepreist (u.a. zwei World Press Foto Awards 2003/2010) und Professor für „Stilles Bild – analog und digital“ an der HFK Bremen, von 2011 bis 2016 nochmal das Land durchstreift. „Die zweite Heimat“, so nennt er die Publikation und die Ausstellung, eine Auswahl aus über 30 000 Belichtungen. Doch dieser zweite Zyklus zum Thema folgt komplett anderen Suchbewegungen.

Wie verhält sich das Vertraute zum Unbekannten, das Da-sein zum Fern-Sein? Oder wie bringt man das Verharren und den Aufbruch, die Tradition und die Moderne in ein Bild? Es wirkt als ginge es diesmal um ein „In Between“, um ein grundsätzliches Spannungsverhältnis ästhetischer oder kultureller Beziehungen und Bezüge. Der Künstler selbst nennt es die Befragung einer „sozialen Oberfläche.“ Wer beim Thema Heimat also Heimeligkeit, Zugehörigkeitssymbole oder Codes der Innerlichkeit erwartet, muss spätestens jetzt ganz schön umdenken. Waren beim ersten „Heimat“ Projekt noch Strand- und Bergbilder vorhanden – zwei wandfüllende Riesenformate sowie eine kleine Diashow aus dieser Werkphase sind in der Ausstellung im Haus am Kleistpark noch dabei – sucht man solche Motive jetzt vergeblich. Stilistisch dominieren viele Vertikalen, viele Leerstellen, eine gleichbleibende Lichtgebung, keine Schatten, keine Tiefen. Kaum mal ein bisschen blauer Himmel, geschweige denn Sonne. Die Fotografien zeigen ein Deutschland mit all seinen architektonischen Wunden und Brüchen. Viel Beton, Brand-Wände, Abbruchareale, Garagen, triste Fassaden und Eingänge, Supermärkte, Tankstellen, Wurstbuden, dann und wann moderne Architektur. Auch wenn man es nicht wahr haben will, ja, das ist unser Land! Zerbombt und zerschunden und in den Nachkriegsjahrzehnten irgendwie wieder aufgebaut, leben wir in seltsamen Räumen.

Peter Bialobrzeski: Berlin, 2011 | Aus der Serie: Die zweite Heimat, 2011-2016 | © Peter Bialobrzeski

So ist die Beschäftigung mit den Fotografien Bialobrzeskis auch eine Beschäftigung mit der inneren Abwehr, und eine Konfrontation mit unserer Mentalität. Denn sie zeigen was wir überall sehen, aber allzu gerne übersehen.

Hagen 2016: ein wunderschöner Kirchturm schielt hinter einer trostlosen Baulücke hervor. Erfurt 2015: ein modernes Gebäude mit einem Hauseingang wie ein Eingang zum Knast, davor die akkurat aufgestellten grauen Riesenmüllcontainer. Harpstedt 2011: eine gigantische Garage, daneben angeschnitten das deutlich kleinere Wohnhaus, und ein Garten in dem kein Vogel lebt und kein Unkraut wächst, Hildesheim 2011: Flächenfraß monotoner Einfamilienhaussiedlungen. Aber dann neben all den eher kleinstädtischen Szenerien auch Großstadt. Abbruchbaustellen, riesige Werbeflächen an Fassaden und eine veritable Inszenierung dann das Foto Hamburg 2011: ein grün-glänzender Oldtimer-Porsche in einem tatortverdächtigen supermodernen Architektur-Ambiente.

Menschen kommen auch in den Bildern vor: Ein Lufthansa-Pilot im Sturmschritt vor einer McDonalds Filiale, Wartende an einem gläsernen Bushäuschen auf dem Land, eine Frau, die eine eh schon blitzsaubere Straße kehrt, Erntearbeiter auf einem Feld, Rentner mit ihren Wohnmobilen an einem kanalisierten Fluß.

Peter Bialobrzeski: Magdeburg, 2012 | Aus der Serie: Die zweite Heimat, 2011-2016 | © Peter Bialobrzeski

Auf all den Fotografien passiert nichts Sensationelles, es sind stille Bilder, Bilder, die nachdenklich machen. Bialobrzeski gelingen faszinierende, quasi soziologische Einblicke in den Zustand unserer Städte und Behausungen, in eine vorherrschende urbane Ästhetik, in die Ödnis eines reichen Landes.

Daniela Kloock

Foto ganz oben: Peter Bialobrzeski: Bochum, 2012 | Aus der Serie: Die zweite Heimat, 2011-2016 | © Peter Bialobrzeski

MEHR INFORMATIONEN

Die Ausstellung ist bis zum 31. März 2019 im HAUS am KLEISTPARK in Berlin zu sehen.

HAUS am KLEISTPARK
Grunewaldstr. 6/7

10823 Berlin-Schöneberg

Di-So 11 bis 18 Uhr, Eintritt frei

website HAUS am KLEISTPARK

website Peter Bialobrzeski