Rasender Stillstand

Spätestens seit der 11. Documenta, 2002 von Okwui Enwezor kuratiert, gehört der Beamer zur Standardausrüstung von Museen und Kunstvereinen. Künstler, die damals präsentiert wurden, wie Steve McQueen, Eija-Liisa Ahtila, John Akomfrah, Stan Douglas oder Isaac Julien stehen heute für das Genre Video-Installation. Seltener jedoch laufen Künstlerfilme auf Filmfestivals wie etwa die von Josef Dabernig (*1956) aus Wien, der seit 1995 stille, absurde Tableaus inszeniert, wie sie selten in solch überzeugender Intensität zu sehen waren. Sein neuester Film Stabat Mater verbindet erstmals Film, Musik und Literatur. Die deutsche Premiere des Films läuft bis Ende April im Badischen Kunstverein, Karlsruhe.

Dabernigs unspektakuläre Eingangsszenen erinnern an den realistischen Film Italiens der 1950er und 1960erJahre. In Stabat Mater springt ein Mädchen Seil auf einer Terrasse, die nicht zu Ende gebaut wurde. Das Thermalbad-Hotel am Meer hat seine besten Tage hinter sich, das Schwimmbad zwischen den Felsen ist ohne Wasser, an den Kanten bröckelt der Beton.

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Josef Dabernig | Stabat Mater, Filmstill, 2016 © Bildrecht, Wien

Was zur Ertüchtigung des menschlichen Körpers gebaut wurde, verfällt nun seinerseits. Aber noch sind vereinzelt Gäste zu sehen, sie nehmen ihr Frühstück ein, sitzen auf den Felsen, niemand spricht, nur die Kinder gehen ihren Spielen nach. Aus dem Off erzählt uns dafür der Schweizer Schriftsteller Bruno Pellandini eine Geschichte über die Dürre in Uruguay, über Menschen die warten und hoffen.

Josef Dabernig ist in Wien eine feste Größe, international seit Jahrzehnten an Ausstellungen beteiligt, in Deutschland jedoch kaum bekannt. Das liegt vielleicht an dem konzeptuellen Grundton seines Werks. Wie kann einer Faszination auslösen, der seine Drehbücher und Fotoserien minutiös plant, nichts dem Zufall überlässt, dann aber doch eben dies erreicht: Dass sich die Fantasie des Betrachters von den nüchternen Bildern löst, der Junge sich an den Süßigkeiten erbricht, das Paar am Tisch zu streiten beginnt, der an der Wand lehnende Kellner endlich das gebrauchte Geschirr abträgt.

Die Szenen werden untermalt von Franz Schuberts „Stabat mater“, einer Bearbeitung für Orgel von Christoph Herndler, was zur gedämpften Stimmung des Films beiträgt. Christliche Trauermusik, verhalten und doch von unerhörter Tiefe, solche Gegensätze scheinen ganz nach dem Geschmack des katholisch sozialisierten Künstlers zu sein. In Karlsruhe sind neben Stabat Mater noch vier weitere Filme von Dabernig zu sehen, außerdem Fotografien, Filmskripte, Wandarbeiten sowie die eine Tabelle, in der Dabernig seinen Zigarettenkonsum über ein Jahr eingetragen hat.

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Josef Dabernig | Stabat Mater, Filmstill, 2016 © Bildrecht, Wien

Seine Zwanghaftigkeit scheint der Künstler nicht verleugnen zu wollen, im Gegenteil, er hat sie ins Produktive gewendet und erfindet immer neue Strategien der Vermessung des Daseins. Er beobachtet und hält fest, fotografiert und verzeichnet, akribisch, ohne Hast, genüsslich. Schon während seines Studiums der Bildhauerei an der Akademie der bildenden Künste in Wien soll er das Aktmodell vermessen haben, anstatt es in Ton zu modellieren. Die Strenge seines Werks wird durch seine Verweise auf Fußball gemildert, aber auch beim Sport zählt letztendlich allein stoische Selbstdisziplin. Da ist es nur konsequent, wenn auch der Betrachter nichts auf dem Tablett serviert kriegt. Nie rollt ein Ball, nur der Kampf um ihn ertönt, Trikots immerhin kommen vor, 26 Eintrittskarten von Spielen in Krakau oder Mailand können in einer Vitrine betrachtet werden.

Leer sind die Sportstadien, die er in Miskolc, Ungarn oder in St. Petersburg, Russland fotografiert hat, einst modern, nun sichtlich heruntergekommen wie das Thermalbad-Hotel in Lecce. Auch in Wisla, Darbernigs erstem Film aus dem Jahre 1996, ist das Stadion nicht mehr ganz neu. Zwei Männer in Anzügen, aber offener Jacke, schlendern mit den Händen in den Hosentaschen zur Trainerbank, nehmen Platz und beobachten ein Spiel, das nur in der Imagination abläuft. Der Künstler selbst ist in die Rolle des Cheftrainers geschlüpft, steht auf, gibt Zeichen. Aus dem Off schallt der Audio-Mitschnitt eines Fußballspiels, vielleicht, aber nur vielleicht einer Begegnung des erfolgreichen polnischen Clubs Wisla-Krakau, der, just als Dabernigs Film entstand, ein mehrjähriges Tief zu beklagen hatte?

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Josef Dabernig | Wilsa, Filmstill, 1996 Foto: © Bildrecht, Wien

Diese Schere zwischen Sehen und Hören wurde für Dabernigs Filme prägend, doch blieb diese Strategie nicht unverändert. In Excurses on fitness (2010) gehen der Künstler selbst und seine Freunde in absoluter Stille ihren Übungen nach, als wären es Exerzitien. In River Plate von 2013 ist der Sound zwar den gefilmten Tableaus angepasst, doch rauscht der Fluss ungewöhnlich laut, trommelt der Regen eindringlich auf das trockene Flussbettufer. Der Verkehr auf der nahen Autobahnbrücke reißt nicht ab, der Fluss zieht an den Menschen vorbei.

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Josef Dabernig | River Plate, Filmstill, 2013 © Bildrecht, Wien

Rasender Stillstand als bedrohliche Idylle. Auch nimmt der Künstler in diesem Film indirekt Bezug auf seine Herkunft als Bildhauer, lässt einzelne Körperteile von Männern und Frauen auf der Leinwand erscheinen. Verschiedene Lebensalter, der Körper in all seinen Erscheinungen, jugendliche Schönheit, sichtbarer Verfall: Indem uns der Künstler rätselhafte Stillleben als unvollendete Geschichten vorführt, wird der Zuschauer Teil seiner Szenarien.

Carmela Thiele

Bild ganz oben: Josef Dabernig | Stabat Mater, Filmstill, 2016 © Bildrecht, Wien

AUSSTELLUNG

bis 01.05.2017

Josef Dabernig | Stabat Mater

Badischer Kunstverein

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Josef Dabernig | Excursus on fitness | Videostill, 2010 © Bildrecht, Wien