Schriftlastige Moderne

Kritik von Carmena Thiele

Deutschlandradio Kultur

gesendet: 02.01.2014

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Warum lassen Künstler Buchstaben und Text in ihre Werke einfließen? In „Wortreiche Bilder“ liefert Katrin Ströbel die Erklärungen – und schreibt zugleich eine engagierte Einführung in die zeitgenössische Kunst.

Heute wundert sich niemand mehr, wenn Künstler ganze Botschaften in ihre Werke integrieren. Ein prominentes Beispiel ist Jenny Holzer, die mit ihren gigantischen Textprojektionen den Leuchtreklamen der Werbung Konkurrenz macht. Sprache ist – wie Form und Farbe – zum alltäglichen Material der bildenden Kunst geworden. Aber wie kam die Sprache in die Kunst? Auf welche Weise nutzen Künstler sie heute?

Mit diesen Fragen beschäftigt sich auf knapp 350 Seiten ausführlich die Studie „Wortreiche Kunst“ von Katrin Ströbel. Die Autorin bringt ihre Leser zügig auf den neuesten Stand eines bereits 100 Jahre währenden Phänomens. Viel Raum widmet sie der Analyse aktueller Werke, die sich auf sehr unterschiedliche Weise der Schrift bedienen. Das Buch liest sich dann zunehmend wie eine – engagierte, aber auch anspruchsvolle – Einführung in die zeitgenössische Kunst.

Collagen und Experimente

Schon die Avantgarde der Moderne war „schriftlastig“. Die Kubisten, Picasso und Braque, fügten Schrift als Repräsentanten der Wirklichkeit in ihre Bilder ein. Die Dadaisten entzogen sich mit Bildcollagen, Flugblättern und experimentell gestalteten Zeitschriften komplett dem bürgerlichen Kunstbegriff. Marcel Duchamp stellte ein Urinoir unter dem Titel „Fontäne“ aus und offenbarte damit, wie sehr die Bedeutung eines Objekts vom Kontext abhängt.

Stellt sich die Frage, ob sich die Grenzen zwischen so unterschiedlichen Bereichen wie Literatur und Kunst komplett auflösen. Adorno hatte in den 1960er-Jahren auf ein „Verfransen der Demarkationslinien“ zwischen den Gattungen hingewiesen. Und der Autor eines bis heute grundlegenden Buches zum Thema, „Bilder werden Worte“, Wolfgang Max Faust, diagnostizierte etwa zehn Jahre später die Geburt einer neuen Universalkunst.

Die Autorin hingegen weist an vielen Beispielen nach, dass Künstler die Sprache zwar – wie auch andere Verweise des gesellschaftlichen Lebens – in ihr Werk einverleiben, aber dies nur im Dienste der bildenden Kunst tun. Besonders deutlich wird dies am Beispiel des Projektes „Lustmord“ von Jenny Holzer. Im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ machte sie auf das Leid vergewaltigter Frauen während des Jugoslawienkrieges aufmerksam. Sie konfrontierte die Leser anhand von – auf Nahaufnahmen von Haut – gesetzten Kurztexten mit der Perspektive des Täters, des Opfers und des Beobachters. Als Quellen dienten Holzer Berichte der UNO und von Amnesty International.

Schrift als Ergänzung

Text transportiert Inhalt, erzählt Geschichten oder liefert zumindest Verweise – ein unerschöpflicher Materialpool für die Kunst. Manch einer nutzt die Schrift aber auch komplett inhaltsfrei. Hanne Darboven etwa reichte die bloße Niederschrift des immer gleichen Buchstabens auf Millimeterpapier. Gerahmt und wandfüllend gehängt, versinnbildlicht diese Arbeit den zeitlichen Ablauf einer Handlung, was eigentlich als zentrales Merkmal der Literatur galt. Fazit: Auch wenn die gegenseitigen Anleihen immer raffinierter werden, agieren Künstler weiterhin aus einer anderen Perspektive als Schriftsteller. „Schrift ersetzt nie, Schrift ergänzt.“

 

wortreiche Bilder

 

 

 

 

Katrin Ströbel: Wortreiche Bilder

Zum Verhältnis von Text und Bild in der zeitgenössischen Kunst

transcript-Verlag, Bielefeld 2013

378 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 36,80 Euro

 

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