Das Potsdamer Hans Otto Theater gehört derzeit zu den spannendsten Bühnen in Deutschland. Immer wieder überraschen künstlerisch originelle und politisch wache Angebote. Jüngster Clou: „Viel gut essen“ von Sibylle Berg.
Zunächst wähnt man sich in der Reithalle, der kleineren Spielstätte des Theaters, in gutbürgerlicher Behaglichkeit. Ein Mann kocht. Offenbar kann er das gut. Sorgsam hat er die Zutaten ausgewählt, penibel macht er sich an die Zubereitung. Und dabei redet er sich in Rage. Aus Zweifeln – auch dem Verzweifeln – an gesellschaftlichen Entwicklungen werden Ressentiments. Mehr und mehr steigert er sich in Wut, die schließlich in offene Ablehnung nahezu aller geltenden gesellschaftlichen Regeln umschlägt. Die berühmt-berüchtigte Sentenz „Das wird man doch mal sagen dürfen!“ steht über allem. Wobei der Hass des Mannes völlig unkontrolliert und ziellos ist, dabei aber höchst gefährlich, wünscht er sich doch schließlich einen Krieg gegen alle und jeden, sucht und findet Gleichgesinnte im Internet und meint damit Stärke zu erlangen. Mehr und mehr sieht es danach aus, dass er die Messer, mit denen er kunstvoll in der Küche hantiert, auch gegen Menschen einsetzen würde …
Sibylle Bergs Text brilliert mit scharfem Witz und Hintergründigkeit. Und sie belässt es nicht bei einer Bestandsaufnahme. Sie dringt tiefer, legt Ursachen für den Frust des Mannes offen, Ursachen, die in ihm selbst liegen, darin vor allem, dass er seine Lebensträume nicht erfüllen konnte, inzwischen sogar durch selbst verschuldeten Job-Verlust an den Rand der Existenz gedrängt wurde. Sehr fein zeigt sie, wohin Selbstüberschätzung führen kann, geistige Armut, die Unfähigkeit, soziale Zusammenhänge auch nur ansatzweise zu begreifen. Das Gute daran: Berg macht sich nicht lustig über den „Versager“. Und sie lässt das Gift seiner Verblendung sozusagen tröpfchenweise in die Rede-Flut einfließen. Da meint man als Theaterbesucher zunächst mehrfach gar, der eigenen inneren Stimme zuzuhören, entdeckt, wie gefährdet man selbst ist, populistischen Parolen auf den Leim zu gehen.
Sibylle Berg hat vorgegeben, dass der Text von einer Person oder von mehreren gesprochen werden kann. Am Hans Otto Theater hat sich Regisseur Marc Becker zu einer chorischen Lösung entschlossen. Vier Frauen und drei Männer agieren, mal einzeln, oft gemeinsam, immer punktgenau. Der gedankenreiche Text – von klug gesetzten Pausen gegliedert – kann sich so in all seiner Schärfe entfalten. Und in seinem Witz. Der von dem exzellenten Ensemble der Akteure nie ins Kalauernde abgeflacht wird. Meist bleibt einem das Lachen im Halse stecken. – Man geht bewegt und beunruhigt auf den Nachhauseweg.
Peter Claus
Viel gut essen, von Sibylle Berg am Hans Otto Theater Potsdam, Reithalle
https://www.hansottotheater.de
- „Rosenmontag For Future“ Oder: Lachen schult das freie Denken - 9. Februar 2020
- Thilo Wydra: Hitchcock´s Blondes - 15. Dezember 2019
- Junges Schauspiel am D’haus: „Antigone“ von Sophokles - 10. November 2019
Schreibe einen Kommentar