„Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“ ist eine theatrale Tortenschlacht. Dreh- und Angelpunkt ist die Erbschuld „Deutschland“, die als thematischer Brocken 60 Minuten über die Bühne gewargelt wird. Das Stück ist ein buntes Hin und Her, ein naiv-derber Reigen, der kein Auge trocken lässt und Völkisches und Folkiges dermaßen wohlmeinend miteinander in einen Topf wirft, dass die ausgekochte Schuhsohle am Ende durchaus so etwas wie Nährwert vorzuweisen hat.
Tatort dieses unbekümmerten Derbleckens ist ein mit Tierstreu ausgelegtes Kinderzimmer. An den Wänden prangen schweizer Karnevals-Monster-Masken und ein üppiger, augenloser Aufziehkasperl. Dahinter verprügelt ausgeplottet und in überdimensional Joe Louis Max Schmeling. Ein Turm aus Fernsehern bohrt sich ins Auge, gekonnt versteckt erscheint gegen Ende ein surreales Kriegsszenario aus Playmobil und ein dadaistischer Reichsadler baumelt in XL von der Decke. Alles ist hier so groß, wie das Thema es zu fordern scheint. Das Menschlein selbst wirkt wie von höherer Macht hinein verwunschen in diese infantile Versuchswelt, diese Baby-Version des Lands der Dichter und Denker, oder vielmehr: dem quietschig-bunt abgesteckten Reich der Richter und Henker.
Und flux geht’s los. Schon starten die beiden Hauptdarsteller, Anfangs noch in Zivil, schier aus dem Stegreif eine Reminiszenz an Ur-Anarcho Fritz Teufel. Das Publikum bleibt feucht-fröhlich, mit Schokoküssen verziert zurück und umgehend werden in Lufthansatracht Eier gelegt, der Ritter wird mit dem Araber ausgetrieben und China dem Erdboden gleich gemacht. Erika Steinbach kommt genauso zu Wort wie die unvermeintlichen Großeltern der Darsteller, Heiner Müller oder die Hamburger Radaubrüder von SLIME. Was Pasolini mit Alkopop und Rave zu tun hat, warum Roberto Blanco ein Antisemit ist und wie viele Pflastersteine eine laufende Waschmaschine in die Luft jagen, Sie sehen es nur hier! Es wird live gefurzt, gekifft, getanzt und gesungen und am Ende ist das ganze Bühnebild kaputt.
Ja, dieses Stück will ein Gesamtkunstwerk sein und ist in der Tat eine angenehme Zumutung. Zitiertes wird dermaßen energetisch gebrochen und fix zerschrotet, dass der Betrachter geradezu gezwungen ist um Schweißtuch und Riechfläschchen zu bitten. Schnell, schnell, schnell – schon wieder vorbei. Weiter, dichter, lauter werden Texte, Bilder, Posen und Musiken ineinander gepresst. Ein Collagenwerk wie ein Ameisenhaufen. Jedes semantische Prinzip darin eine Arbeiterin. Allgemeinplätze, Ausländerhetzte, Glaubensgrundsätze. Alles getreu dem Motto: Stell dir vor du schläfst und der Fernseher ist noch an. (Doch man ahnt: Die Kanzlerin. Wäre sie im Publikum, sie wäre wohl aus Höflichkeit sitzen geblieben. Oh nein!)
Unbekanntes und Unzusammenhängendes wird so lange unterbewusst und unnachvollziehbar durch den Reiswolf gehobelt, bis man – wie im echten Leben – gar nicht mehr wissen will, was das Ganze eigentlich soll. Ironie hier, Idealismus da. Ja was wollen sie denn nun eigentlich? Oh je, 2012 ist nur noch der Wunsch nach klaren Antworten so stark, wie es die Glaubensgrundsätze dereinst waren. Und das ist durchaus mehr als ein Problem.
Nach einer Prozession in nackt und Sexappeal ist das Stück aus, wir gehen nach Haus. Doch spätestens an der Garderobe fällt auf: der Stallgeruch ist mitgebracht. Was man gesehen hat war Müffel-Memory – die Performance mit Aussage. Doch wie könnte man das noch mal in Kurz für die, die es nicht gesehen haben? Vielleicht so: Die deutsche Identität ist wie eine Zwangshochzeit. Am Anfang ist’s noch lustig, aber so richtig geil wird’s dann nicht mehr. Schön, dass das mal wieder gesagt wurde.
Mark Schröppel
__________________________________________________
INFORMATION:
Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker
SKART Schröppel Karau Art Repetition Technologies
„Sie haben eine tragische Rolle in der Zersetzung und Verneinung des Lebens aller anderen Völker. Wissen Sie, die Deutschen sind anders. Sie sind die Negation zu den anderen, und insofern tragen sie ein schweres Los. Und deswegen wird ihnen ja auch die Weltherrschaft versprochen als Kompensation dafür, dass sie die Gehassten sind bei den Völkern. Sie sind notwendig, und deswegen sage ich: Sie sind ein Teil von uns.“ (Michel Mahler)
„Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“ ist der Versuch eines abseitig artikulierten Kommentars über ein Land, in das man durch Zufall hineingeboren wurde. Deutschland ist der thematische Brocken, an dem sich persönlich, politisch und pubertär gerieben wird. Mittels handgefertigten Bühnenbildern, Videos, Musiken und Texten sollen dabei alte Brücken abgerissen und neue gesprengt werden: Von Gleichschaltung hin zu Gleichheit, von Haltung hin zu Entertainment, von Empathie hin zu Völkerverständnislosigkeit.
Performance, 60 min.
SKART sind: Verena Billinger, Stine Hertel, Philipp Karau, Mark Schröppel, Katharina Stephan, Sebastian Unsinn
Gefördert von: ATW Gießen, Hessische Theaterakademie, Kulturamt Gießen, Stadttheater Gießen, Asta Gießen
Dank an: Florian Krauß, Sebastian Schulz, Robert Kulet, Inga Wagner, Jan Rohwedder, Caroline Creutzburg, Camilla Vetters, Klaus Karau, Elisabeth Menke, Sina, Mama und Pipsi, Matthias Raab, Joschi, Heike, Jörg und Uwe, Prof. Heiner Goebbels, Schreinerei Holz und Idee, Bernhard Greif, Kim Willems, André Schallenberg, Andreas Mihan, René Liebert & Synonym für Freundschaft
SKART Schröppel Karau Art Repetition Technologies
Die Performancegruppe SKART wurde am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen gegründet und besteht aus Philipp Karau und Mark Schröppel. In Kooperation mit wechselnden befreundeten KünstlerInnen arbeitet SKART in den Bereichen Performance, Elektronische Musik, Video und Bildende Kunst. „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“ ist die Diplominszenierung von SKART.
KRITIKEN:
Linksradikaler Kindergeburtstag SKART hat mit „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“ einen irrwitzigen Trip durch die Geschichte der BRD nach 1945 auf die Bühne gepfeffert. (…) Statt ausgefeilten Dialogen knallen Bilder, Botschaften, Songs und Videoeinspielungen in rasendem Wechsel auf Netzhaut und Trommelfell, bis das Ganze bei einem Loop aus Westernhagens schlimmstem Stück, „Freiheit“, minutenlang stehenbleibt. Das ist wahre Folter, der unbarmherzig verlängerte Scheitelpunkt einer Achterbahnfahrt vor dem Absturz. Der wiederum entpuppt sich als schreiend komischer Dialog zwischen Dauergrinser Roberto Blanco und der ewiggestrigen Vertriebenenvertreterin Erika Steinbach – in Frosch- und Entenmaske. Bei all dem Spektakel verliert das Stück nie an Unbekümmertheit, Ironie, Witz und – das muss erlaubt sein – Liebe. Die Bilder sind immer spannend, einfallsreich und entwaffnend, an- bzw. ausziehend.
(Florian Kapfer, Neue Szene Augsburg, Nov. 2011)
Deutschland, eine Abrechnung Als Philipp Karau und Mark Schröppel am Freitag und Samstag anlässlich ihrer Diplominszenierung die TiL-Bühne betraten, schien es zunächst, als wollten die beiden Studenten der Angewandten Theaterwissenschaften nur von Fritz Teufel berichten. Der war einer der Mitbegründer der Kommune I, verbrachte einige Jahre im Gefängnis und kam durch das geplante „Pudding-Attentat“ auf US-Vizepräsidenten Humphrey zu Berühmtheit. Als Teufel letztes Jahr starb, verschwand seine Urne, um neben dem Grab Rudi Dutschkes wieder aufzutauchen. In der Tradition von Teufels Spaßguerilla steht die Performancegruppe SKART (Schröppel Karau Art Repetition Technologies). Als die beiden sich als Kapitän und Stewardess kostümiert haben, können die Spiele beginnen: Schokoküsse fliegen ins Publikum und wieder zurück auf die Bühne, es wird Wasser verspritzt und hin und wieder aus der Rolle gefallen. Eine Stunde lang verhandelt „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“ deutsche Verhältnisse seit dem zweiten Weltkrieg: Von Max Schmelings Niederlage gegen Joe Lois in New York 1938 bis hin zum Diskurs um gewalttätige Jugendliche mit Migrationshintergrund, mit Zeitzeugen und Popmusik. Das ist irrsinnig, laut und lustig, Ironie und Chaos haben dabei genauso ihren Platz wie die Dekonstruktion von Geschlechterrollen und Nationalstaatlichkeit.
Grandios choreografiert ist der Kampf, den die beiden mit Ritterrüstung und Steinschleuder bewaffnet gegeneinander führen und der in der Zerstörung von Teilen des Bühnenbildes endet. Aus den Trümmern erstehen SKART mit Bommelhut und Kopftuch auf, Requisiten werden aus den Sägespänen am Boden gezogen. Nach minutenlangem Abspielen von Westernhagens „Freiheit“ öffnet sich die symbolische Mauer aus Tarnnetz noch einmal. Die beiden Performer mit Hang zum Exhibitionismus erscheinen in Frischhaltefolie und Theraband eingewickelt, mit Frosch- und Entenmaske unterhalten sich Schlagersänger Roberto Blanco und Vertriebenenvertreterin Erika Steinbach über Werte und Ordnung. Die Vielstimmigkeit, schiere Masse und Lautstärke von Video, Klängen, Aussagen und auch technischen Mitteln ist erschlagend: Gartenzwerge baumeln von der Decke, Pflastersteine werden in die Waschmaschine gesteckt, Plakate mit grotesken Masken fragen: „Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab‘?“ Mit auf der Bühne ist das werwolfartige Haustier (Verena Billinger) im knappen Goldbadeanzug, das vor den sechs Fernsehern Fanta trinkt.
Gegensätze werden nicht aufgelöst, sondern ausgestellt, das Motto lautet: Verständnislosigkeit statt Empathie, Unterhaltung statt Erziehung. So auch in der letzten Produktion „Der Fischer und sein Mann“ als Musiktheater für Kinder in Duisburg, im Februar zeigen sie „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“ nochmals in Mülheim a. d. Ruhr, als „Versuch eines abseitig artikulierten Kommentars über ein Land, in das man durch Zufall hineingeboren wurde, zu scheitern“. Der große Coup kommt zum Schluss: Sebastian Unsinn alias MC Burger King von der Augsburger Electrocombo „Bassschickeria“, entsteigt in weißer Priesterrobe zum Finale, rappt mit eindringlicher Stimme und verspritzt salbungsvoll Bier, während Schröppel und Karau einen modifizierten Reichsadler herumtragen. Trotz der offensichtlichen Punk-Attitüde, die SKART vertritt, bleibt die Aussage vieldeutig. Ein Fest der Körper und der Anarchie.
(Fiona Sara Schmidt, Giessener Zeitung, Nov. 2011)
„Frei-heit, Frei-heit“, skandierte, im Sound-Loop minutenlang zu hören, die Fanmasse eines Pop-Konzerts. Jeder Einzelne von ihnen versteht vermutlich darunter etwas anderes. Genau wie die etwas ratlos vor geschlossenem Tarnnetz-Vorhang lauschenden Besucher der Performance „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“ beim Start des Körber Studios Junge Regie 2012 im Thalia in der Gaußstraße. Einige nahmen sich denn auch die Freiheit, den Saal zu verlassen.
Mark Schröppel und Philipp Karau vom Kollektiv Skart aus Gießen – zugleich auch die Performer – demonstrierten reichlich künstlerische und körperliche Freiheiten in ihrer satirischen Collage über die Befindlichkeiten der Deutschen zwischen Nazi-Vergangenheit und neoliberaler Gegenwart. Sie sprangen spielerisch mit den Idol- und Klischee-Bildern von rechts und links, von DDR und BRD um und demontierten sie respektlos. Nur mit Enten- und Froschkopf bekleidet, führten sie Ideologie-Dispute ad absurdum und outeten sich als Fans von Fritz Teufel – für das frech-fröhliche Duo der „Archetypus des Freigeists“.
…
Dann lieber die bisweilen naive Radikalität des Skart-Kollektivs. Es bedient sich locker der Old-School-Formen wie Dada, Performance oder Punk, formuliert aber daraus eine neue, an bildender Kunst orientierte Sprache – gegen die Theaterkonvention. Schröppel und Karau berufen sich im Publikumsgespräch auf das Scheitern als Chance und zitieren Martin Kippenberger: „Mit Pubertät zum Erfolg.“ Sie übertragen die Montage-Prinzipien eines Jonathan Meese auf die Bühne und hauen dem Zuschauer ihren entwaffnenden Bubencharme um die Ohren. Auf die Frage, warum sie nur mit einem Frosch- beziehungsweise Entenkopf „bekleidet“ auf die Bühne kommen, antworten sie: „Uns hat das Kostüm so am besten gefallen!“ Ihr Stück ist ein mit ironischen Anspielungen aufgeladenes Bilder- und Wortpuzzle. Soll sich doch jeder denken, was er will. Wie der Kunst, sei auch dem Zuschauer alle Freiheit zugestanden. Noch.
(Hamburger Abendblatt, April 2012)
- Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker - 28. Juli 2012
Schreibe einen Kommentar