Merce Cunningham in Mitten seiner Company im Tanzstück "Quartet" im Jahr 1986

Merce Cunningham Dance Company ist das Hauptwerk des amerikanischen Choreografen Merce Cunningham, der, seitdem er 1975 zum ersten Mal in einem Stück den Tanz mit Elementen der Musik und darstellender Kunst kombinierte, die Grundsteine des modernen Tanzes revolutionierte.


Die Schönheit der Bewegung

Merce Cunninghams letzte Kreation „Nearly 90“ wurde in Erfurt gefeiert.

Als diese Choreografie im vergangenen Jahr uraufgeführt wurde, da war ihr Schöpfer fast 90 Jahre alt, das gab ihr den Titel, „Nearly 90“. Als er wenig später starb, wurde die Zahl ins Quadrat erhoben. Als wollten sie zeigen, dass Merce Cunningham die Wurzel ihrer Kunst ist.

Es beginnt im Nichts, im Schwarz, und es wird enden im Licht. In den 90 Minuten, die dazwischen liegen hat das die Company am Ende feiernde Publikum so etwas wie die Summe von Merce Cunninghams Schaffen gesehen. Und ein wenig ist es, als habe einer der wichtigsten Choreografen mit „Nearly 90“, fast 90jährig, bewusst ein Werk geschaffen, das als ein Vermächtnis gelten kann und soll.

Wenn das Licht sich schwach in das Dunkel mengt, tanzen zwei Menschen wie traumverloren, wie tastend. Sie suchen verwirrende Balancen, als loteten sie die Physik ihrer Körper aus, als überprüften sie ihre Mechanik, um ihr eine weitere unerwartete Bewegung abzulocken. Ein zweites Paar kommt, ein drittes, sie verhalten sich ebenso. Es ist wie meditierende Exercises, und der Gegenstand dieser Meditation ist der Körper, nur der Körper, nur die Bewegung. Die Paare haben nichts miteinander zu tun, selbst die beiden Tänzer eines Paares benötigen einander nur als Gegenüber, als Körper. Sie haben mit nichts zu tun, auch nicht mit der dunkel dräuenden Musik (live aus dem Graben von John King und Takehisa Kosugi).

Die Musik trägt die Tänzer nicht und die interpretieren sie nicht, diese Musik fordert nichts von den Tänzern und sie erhält nichts von ihnen. Die Tänzer sind wie kraftvoll-poetische Autisten, nichts existiert als die Bewegung des Augenblicks, keine Musik, keine zu erzählende Geschichte, nicht einmal eine Situation. Der Gedanke ist der Moment, ist die Bewegung selbst. Es ist, als erlebten wir die Erfindung der absoluten Autonomie.

Und ungefähr das ist die Leistung von Merce Cunningham. „Wo immer du bist“, hat er einmal gesagt, „ist das Zentrum, und ebenso dort, wo alle anderen sind.“ Man meint, diesen Satz lesen zu können auf der Bühne, jeder dieser Tänzer ist seine eigene Mitte, er bezieht sich auf nichts und niemanden, obgleich, selbstverständlich, da ein Muster aller 13 Tänzer inszeniert ist.

Die Bewegung hat keinerlei Bedeutung außer sich selbst, sie erzählt nichts als ihre eigene Schönheit, sie verweist auf nichts, das außerhalb der eigenen Existenz läge. Ephemere Skulpturen, die ihren Wert in sich selbst finden. Es ist wie eine Sprache, die sich weigert Worte zu bilden und sich mit dem lustvollen Buchstabieren ihres wohllautenden Alphabets begnügt, immer in der Hoffnung, womöglich neue Buchstaben zu entdecken. In gewisser Weise befreit dieser Ansatz die Tänzer und macht sie autonom: Wer keine Geschichte zu erzählen hat, der ist vollkommen frei in der Wahl der Mittel, im Ausloten der Möglichkeiten eines tanzenden Körpers, denn er muss seinem Ausdruck keine Bedeutung verleihen, er kann nicht falsch verstanden werden, weil es nichts zu verstehen gibt. Außer der Feier des Lebens, der Schönheit, der Anmut, kurz: des Menschen. Diese kühlen Konstruktionen, diese Abstraktionen sind faszinierend in der Kraft des Ausdruckes, aber sie wirken nur ästhetisch, sie gehen nicht an die Seele.

So repräsentiert Merce Cunningham die Beliebigkeit, die Unverbindlichkeit der Postmoderne in einer Reinheit wie kaum ein anderer. Und kaum ein anderer hat durch die Absage an Bedeutung so viel Schönheit gewonnen.

Der Lichtbalken, der sich auf der Rückseite der Bühne bewegt, entwickelt sich am Ende zu einer weißgoldenen Fläche. Sie ist schön und klar und leer.

Text: Henryk Goldberg


Merce Cunningham solo dance on Nam June Paik’s TV program called „Good Morning Mr. Orwell“ from 1984. John Cage’s music (and other sounds) are heard in the background.

Merce Cunningham war einer der innovativsten Choreografen der Moderne. Der Trensdsetter für das moderne Tanztheater starb im Alter von 90 Jahren am 26.07.2009. Er bewies, dass Tanzen sehr wohl auch etwas mit Albert Einstein zu tun haben kann.

You have to love dancing to stick to it.  It gives you nothing back, no manuscripts to store away, no paintings to show on walls and maybe hang in museums, no poems to be printed and sold, nothing but that single fleeting moment when you feel alive.  It is not for unsteady souls.„
- Merce Cunningham



The great gig in the sky
This is a montage with music from Pink Floyd and pictures of Merce Cunningham and his choreographies.


zur website der Merce Cunningham Dance Company: MCDC