Manuskripte brennen nicht – nur Menschen

Michail Bulgakows „Der Meister und Margarita“, das erst knapp 30 Jahre nach dem Tod des Schriftstellers erscheinen durfte, war im deutschen Osten ein Kultbuch. Nun setzt sich das Theater Rudolstadt mit dieser teuflischen Geschichte auseinander.

Zwei Menschen, ein Mann, eine Frau, umfließen einander, verfließen miteinander, wortlos, selbstlos. Dann kommt der dritte er trägt eine Pelzmütze und spricht Russisch. Herzlos, mitleidlos. Und dann sagt, dann fragt, dann barmt die Frau: „Wird der Roman erscheinen?“. Es erscheint aber eine Bank, es erklingt die Internationale, sie treibt die Massen zum Menschenrecht und zu Paaren. Es ist jene Bank, auf der gleich ein Mann einem anderen Mann erklären wird, dass Annuschka bereits das Öl gekauft hat.

Annuscka und das Öl, Behemoth und die Wohnung Nr. 50, die Bank und die Patriarchenteiche. Dieses Buch, in dem der Teufel den Moskauern zeigt, wo Gott wohnt, darf das verhurte Wort vom Kult für sich in Anspruch nehmen. Michail Bulgakows „Der Meister und Margarita“ wurde, wenigstens im deutschen Osten, genossen wie eine Kostbarkeit, die es ja tatsächlich ist. Diese Lust galt zu Teilen der Satire auf die damals noch immer sakrosankten Verhältnisse der Sowjetunion, zu Teilen auch dem wunderbaren Figurenensemble, angeführt ohne jeden Zweifel, von dem Kater Behemoth. Den hatte sich der Teufel wohl geschaffen, weil er keine Lust hatte, immer wieder als des Pudels Kern zu erscheinen. Und weil ihm der Faust ein gar zu dröger Geselle schien, wünschte er sich eine Frau als Partner eines Paktes. Kann sich ein Theater behaupten gegen die Macht, die Magie eines solchen Buches? Alejandro Quintana hat die Bearbeitung von Niklas Radström in Rudolstadt inszeniert, dem Schweden, mit dessen „Bibel“ er in Rudolstadt schon heftig reüssierte.

Henrike Engel hat ihm eine Bühne gebaut mit viel Gold und Rot. Gold die Kachelwände, rot die Fahnen, die von oben fließen, ein Bühneneingang, schön garniert mit kleinen Lämpchen. „Moskau wie es singt und lacht“, ein irrwitziges Estradenprogramm. Hinten ein kleines Theater auf dem Theater, dort werden die Visionen des Meisters von Jerusalem Bild. Und vorne die unseren von Bulgakow?

Alejandro Quintana dimmt die überbordende Überdrehtheit, den schrillen Wahnwitz des Buches gleichsam auf beinahe Normaltemperatur. So gewinnt er nicht Bulgakows Magie, nicht seinen Witz, was aber wohl ohnehin als unangemessene Erwartung gelten muss. Dafür insistiert der Regisseur auf Bulgakows Trauer, der Trauer, was die brachiale Menschheitsbeglückung macht mit fragilem Menschenglück.

Und das wird getragen von zwei Figuren und Schauspielern, Anne Kies und Benjamin Petschke, der Dichter und Margarita. Im Eigentlichen ist hier nicht der Meister, Marcus Ostberg, die Spiegelfigur des Autors, dazu ist er schon zu jenseitig, schon zu kaputt, es ist der Dichter Besdomny, der nun Unbehauste und Befreite. Der Teufel lässt ihn vom Glauben abfallen und also von den Lügen, das bringt ihn in die Irrenanstalt und also zu Verstand. Petschke entwickelt die Figur sehr überzeugend, er führt den ängstlich-bemühten Verseverfertiger in die Verzweiflung, die Einsamkeit, er drängt ihn, schmal und verloren, aus dem Leben, aber dann lässt er ihn etwas finden, was nicht vorkam bisher in seinem Leben: sich selbst.

Anne Kies hält ihre Margarita in leiser Ernsthaftigkeit, beinahe stilisiert, das gibt ihr Kraft und Würde. Diese Frau hat in der Tat die Kraft, den Mann zu retten, und den Zorn, den Furor hat sie auch. Sie cremt sich mit Lust die Zaubersalbe auf den Leib, sie vernichtet mit Wut die Wohnung des Mannes, der den Dichter vernichtete- und fliegt. Licht und Farbe übergießen die Wände, Moskau von oben, das hat dann doch ein wenig Magie.

Kein Magier ist Matthias Windes Voland, und gleich gar nicht, wenn er die Vorstellung in Schwarzer Magie gibt, moderiert von einem wunderbar schweineblöden Markus Seidensticker. Die Späße treiben seine Spaßmacher, er ist der Ernstmacher. Und legt den Menschen, die das Volk sind und vorn „Wir wollen Geld!“ skandieren, das Maß an, vollkommen humorlos. Müde, resigniert, es hat sich nichts geändert mit ihnen. Das hat, natürlich, nicht die Magie von Bulgakows Varieté, nicht seinen Witz – aber es verströmt seine Trauer. Später, wenn Moskau brennt, zertanzt die Teufelsbrut die letzte Romantik der Revolution, aus den Lautsprechern dröhnt das „Bella ciao“.

Der lustige Teil dieser Brut ist Johannes Geißer, der geschmeidig tänzelnde Korowjew, Satans Spielmeister, der den Job genießt. Und unser geliebter Behemoth, seine schnöselige Arroganz? Ach, lassen wird das, es ist zu traurig. Das Kätzchen (Marie Luise Stahl) taugte fürs Weihnachtsmärchen.

Nicht die Weihnachtsgeschichte, die Geschichte von Pontius Pilatus (Johannes Arpe) und Jeschua (Andreas Mittermeier), die Hoffnung also, es könnte ein Diktator berührbar sein von Menschlichkeit, erzählen sie hinten, auf der kleinen Bühne wie vom Rummelplatz, das gibt schöne, fließende Übergänge. Allerdings, die Verkürzungen des Textes verkleinern diese Geschichte beträchtlich.

„Manuskripte brennen nicht“ – das war die Hoffnung, die sich Michail Bulgakow gab. Sie hat ihn nicht getrogen. Aber sie hat ihm auch nicht geholfen, denn er hat nie erfahren, dass das Buch seiner Leiden einmal als Weltliteratur gelten würde. Manuskripte verbrennen nicht, nur Menschen, die sie schreiben.

Henryk Goldberg

Bild oben: In Moskau ist der Teufel los – „Meister und Margarita“ in Rudolstadt  © Lisa Stern

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Der Meister und Margarita
nach Michail Bulgakow von Niklas Rådström 
Deutsch von Steffen Mensching (Deutschsprachige Erstaufführung)
Regie: Alejandro Quintana

Premiere am 27. Januar 2018, Theater im Stadthaus

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