Spiegel vorgehalten

Bernie Madoff sitzt auf einer Steinbank in der prallen Sonne und träumt. Alles um ihn herum geharkt und gepflegt, nur ein Baum stört ihn. Denn von diesem weiß er, dass der ihn bis zu seinem Tod begleiten soll. „Unerträglicher Gedanke. Ich schließe die Augen und stehle mich davon. Ich träume. Wie ich es mein Leben lang getan habe, wie es alle Amerikaner tun…“ So hebt die kleine, wütende Novelle an, in der einer der größten Finanzbetrüger aller Zeiten über sein Leben und seine Ehre sinniert. Und schwadroniert.
Bernie Madoff, zu 150 Jahren Gefängnis verurteilt, ist eine reale Figur des öffentlichen Lebens. Die französische Autorin Dominique Manotti nennt ihre Novelle eine „moralische Erzählung“ und gesteht im Nachwort, diesen Monolog im Zorn geschrieben zu haben. Als in der Hauskredit-Krise Millionen mittelloser Amerikaner auf die Straße gesetzt wurden, habe das niemanden interessiert, als aber Madoff einige Tausend Reiche übers Ohr gehauen habe, seien die Zeitungen voll mit ergreifenden Geschichten gewesen. Manotti erzürnt sich darüber, dass es erlaubt sei, die Armen zu berauben, nicht aber die Reichen.
Indem sie sich in den Kopf von Bernie Madoff versetzt, hält sie der Gesellschaft und uns Lesern einen Spiegel vor: „Eine Gesellschaft hat die Helden, die sich fabriziert, die Helden, die sie verdient.“

Das schmale, sorgfältig gemachte Hardcover eignet sich mit seinen schlanken 64 Seiten – nicht nur in und um Frankfurt herum – ideal als kleines Mitbringsel zu feinen Einladungen und überhaupt als kleines Zwischendurchgeschenk. Unter den derzeit publizierten Kriminalautoren schreibt die immer wieder überraschende Dominique Manotti im Olymp der großen Gesellschaftskritiker. Die gelernte Historikerin mit Schwerpunkt Wirtschaftsgeschichte begann das Romanschreiben erst mit 50, ihre Bücher sind Lehrbeispiele politischer Analyse und alles andere als harmlos. Ihr in seiner Wucht und oft auch Kühle einzigartiges Werk wurde bereits mit zahlreichen Literaturpreisen geehrt, so etwa dem Deutschen Krimipreis, dem Prix Mystère de la Critique und der Trophée 813. Der Hamburger Argument-Verlag bringt die Kriminalromane von Dominique Manotti in vorbildlicher Ausstattung und sorgfältigen Übersetzungen heraus.

Alf Mayer

 

Madoffs Traum300

 

Dominique Manotti: Madoffs Traum

(La réve de Madoff, 2013) Deutsch von Iris Konopik

Argument Ariadne Literaturbibliothek, Hamburg 2014.

Gebundene Ausgabe: 64 Seiten, 8 Euro

Kindle: 3,99 Euro

 

 

Die Romane von Dominique Manotti:
Hartes Pflaster(Sombre Sentier, 1995), 2004
Zügellos(À nos chevaux, 1997), 2013
Kop, 2001 unübersetzt
Roter Glamour( Nos fantastiques années fric, 2001), 2011
Das schwarze Korps(Le corps noir, 2004), 2012
Letzte Schicht(Lorraine connection, 2006), 2010
Einschlägig bekannt(Bien connu des services de police, 2010), 2011
Dominique Manotti und DOA: Die ehrenwerte Gesellschaft (L’honorable société, 2011), 2012
Ausbruch(L’évasion, 2013), 2014