Nächtliche Briefe
So muss ein Gedichtband sein. Genauso. Das Papiergewicht 90 g/qm, Schleipen-Werkdruckqualität – jenes Papier, das sich immer wieder in Deutschlands schönsten Büchern findet. Als Schrift die Rialto df, die elegante Wiederbelebung einer venezianischen Tradition, Ergebnis der langjährigen Zusammenarbeit des österreichischen Meistertypographen Lui (Alois) Karner und seines italienischen Kollegen Giovanni de Faccio.
Es ist schön zu wissen, dass es dort oben in Kassel einen Verleger gibt, der weiß, was er tut, was Handwerk, Leidenschaft und Schönheitssinn angeht, der dabei aber nicht unbedingt wissen will, wie sich das alles wirklich lohnt – und es eben trotzdem tut. Weil er Respekt vor sorgsam gesetzten Worten hat. Meine Hochachtung.
Gedichte mögen sich schwer verkaufen (dieser Band übrigens ist ein Schnäppchen), aber unsere Sprache braucht sie. Unser Lesen braucht sie. Wo sonst, im Zeitalter des Rauschens, Blätterns, Zappens und Flimmerns treten uns Worte noch so entgegen: wie wilde, scheue, schöne Tiere, verwunschene Wesen mit alter, ungeheurer Kraft und Zärtlichkeit, genauer als eine Waage, schärfer als eine Klinge, mal mit einer Feder in die Wolken geschrieben, mal wie in Stein gehauen – und oft mitten ins Herz getroffen.
Wer Ingrid Mylo kennt, die Autorin der legendären „Kaffeeblüten“, der weiß, dass sie manchmal nächtelang nach einem bestimmten Wort sucht, dass sie sich niemals mit einem schnellen Fund zufrieden gibt, dass sie sich höllisch ärgern kann, wenn irgendein Druckfehlerteufel an fertigen Sätzen kratzt. Diese 41 Gedichte haben lange gebraucht. Sehr lange. Sie werden lange bleiben. Sie sind ein Worte- und ein Leseglück.
Alf Mayer
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- Katherine Mansfield / Ingrid Mylo:„Alles, was ich schreibe – alles, was ich bin. Texte einer Unbeugsamen.“ - 13. Februar 2023
- Richard Condon: The Manchurian Candidate - 18. Januar 2017
- Ross Macdonald – einer der besten amerikanischen Kriminalautoren des 20. Jahrhunderts - 22. September 2016
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