When Action Rides the Rails oder Tut tut – die Bahn kommt

Wir hören die Ouvertüre aus Rossinis „Wilhelm Tell“ und sehen zwei Züge durch eine Westernlandschaft rasen. Lone Ranger und sein durchgeknallter Indianer-Freund Tonto liefern sich mit den Bösewichtern einer Eisenbahngesellschaft, der US-Armee und anderen Banditen eine wahrhaftige Berg- und Talfahrt mit Stunts und Slapstick. LONE RANGER wurde zu Unrecht so schwer von der Kritik gescholten und vom großen Publikum gemieden.

Der Anti-Western SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD (1968) erzählt von der kriminellen Erschließung der USA durch den Eisenbahnbau vor der gigantischen Naturkulisse des Monument Valleys – und genauso macht es der Anti-Western LONE RANGER, ein filmischer Comic, der aber bei allem Kampf ums Vergnügen die historische Komponente nicht außer Acht lässt und selbst nicht vor  Bildern eines Massakers an den Ureinwohnern scheut. Optisch und actiontechnisch setzt LONE RANGER auf Züge, um hier volle Fahrt zu nehmen. Er ist voller Hommagen, wobei Johnny Depp als stoischer Tonto und der  Showdown vor allem von Buster Keaton und seinem legendären Zug-Verfolgungsfilm DER GENERAL inspiriert sind.

Eisenbahnfilme sind eines der besten Subgenres: Züge bieten Klaustrophobie und rasende, teils entfesselte Geschwindigkeit und Gewalt, wie in EXPRESS IN DIE HÖLLE – RUNAWAY TRAIN (1985), in dem vier hintereinander gekoppelte Dieselloks führerlos durch die Eiswüste Alaskas rasen. Züge bieten spektakuläre Zwischenspiele wie bei 007 – LIEBESGRÜSSE AUS MOSKAU (1963), STAND BY ME (1986) oder GETAWAY (1972/1994). Was wäre SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD (1968) ohne Eisenbahn? Der krüppelige Eisenbahngesellschafter Morton will mit seiner Bahn quer durch die Wüste bis zum Pazifik, bekanntermaßen endet er in einer trüben Pfütze. Doch die Bahn kommt –tut, tut!

MORD IM ORIENT-EXPRESS (1974) und DER ERSTE GROSSE EISENBAHNRAUB (1978) sind Klassiker. Die Eisenbahn verwandelt selbst einen müde konstruierten Thriller wie ALARMSTUFE ROT II (1995) in einen gradlinigen Reißer mit kurz-trockenem Showdown in der Zug-Kombüse. Gleiches gilt für die Katastrophenreißergurke KASSANDRA CROSSING (1976), die jedoch, wie auch TRANS-AMERIKA-EXPRESS (1976), mit einem genialen Eisenbahncrash aufwartet.

Mit Volldampf  in die Top 3:

Nr. 3: Die Kamera rast über die nächtlichen Gleise, eine Erzählerstimme zählt hypnotisierend bis zehn und versetzt den Zuschauer zurück ins Nachkriegsdeutschland. EUROPA (1990) von Lars von Trier erzählt von einem Schlafwagenschaffner, der in den Nachkriegswirren in eine höchst tragische Widerstandsgeschichte gerät. Dieser Thriller ist kein lupenreiner Eisenbahnfilm, zu viel spielt außerhalb der Bahn, doch er huldigt in teils surrealen Bilderbögen die Kraft der Eisenbahn und bietet zum Ende  einen Supercrash.

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Nr.: 2: DER GENERAL (1926) ist die Mutter aller Eisenbahnfilme. Regisseur und Hauptdarsteller Buster Keaton ist berühmt für seine ausgefeilten artistischen Verfolgungsjagden, die ihn zum Vorbild von Actionstar Jackie Chan machten. Keaton scheute keinen Aufwand. Der vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs angesiedelte Film war einst der teuerste aller Zeiten. Warum? Es ist eine (fast) durchgängige Jagd mit Zügen, die in einer Schlacht der Süd- gegen die Nordstaaten gipfelt, bei der Keaton mangels F/X-Technik einfach eine echte Lok samt Brücke in die Luft sprengte.

Nr. 1: RUNAWAY TRAIN (1985) rast schrankenlos über jedes Haltesignal. Zwei Knackis  fliehen aus dem Gefängnis. Mit dem nächsten Zug soll’s nach Süden gehen, aber die ausgewählten vier Dieselloks geraten außer Kontrolle, führerlos rasen sie durch die eisige Schneelandschaft von Alaska. Auf der Bahn entbricht  ein blutiger Kampf auf Leben und Tod – Mensch gegen Mensch, gegen die Technik und gegen die Natur. RUNAWAY TRAIN ist das engagierte Projekt der C-Firma ‚Canon‘ gewesen. Nach einem Drehbuch von Akira Kurosawa (DIE SIEBEN SAMURAI) inszenierte der Exilrusse Andrej Konchalovsky dieses Meisterwerk aus Action und Anspruch, für das alle Hauptdarsteller für den ‚Oscar‘ nominiert wurden.

Ganz außer Konkurrenz, aber gut, sind die stillgelegten Bahn-Streifen: in den zu Diners umgebauten Eisenbahnwaggons lassen sich bei Fritten und Cola die wirklich wichtigen Dinge des Lebens unter Freunden bereden – wie in DINER und PULP FICTION. Im Eisenbahnwaggon trifft man aber auch den kettenrauchenden „Nichtraucher“ aus Erich Kästners DAS FLIEGENDE KLASSENZIMMER.

Wolf Jahnke 

 

MEHR INFORMATIONEN:

Eisenbahn im Film – Eine Wikipedia-Liste