Der amerikanische Comiczeichner Robert Crumb unternimmt einen Ausflug ins Alte Land
Am Anfang war das Luftgewehr.
Gott nahm das Luftgewehr und schoß.
Jürgen Höhne, „Der Glanz dieser Tage“
„Jeder Autor, und sei er noch so groß, wünscht, daß sein Werk gelobt werde. Und in der Bibel, den Memoiren Gottes, steht ausdrücklich: daß er die Menschen erschaffen zu seinem Ruhm und Preis“, schreibt Heinrich Heine in Die Harzreise. Ludwig Tieck drückt sich in seinen Gläsernen Gedichten galanter aus: „Hättest du mich, o Herr, als menschliches Bild nicht erschaffen, / Tönte auch nicht dein Lob vom Maule des schnatternden Affen.“
Die Schöpfungs- als Bildergeschichte, das1. Buch Mose als Comic: Wer wäre für diesen Auftrag, dem sich Könner und Pfuscher – zuletzt Ralf König in der FAZ – mit und ohne Ehrfurcht genähert haben, besser gerüstet als jener Mann, der uns „Strawberry“ Fields („Schnief Schnober Jaul“), Mister Snoid („Jetzt müßte man in einen schnuckeligen Arsch kriechen können!“) und Dale Steinberger, „das jüdische Cowgirl“ („Sprich deine Gebete, Dale Votzensteiner!“) geschenkt hat? Dessen erstes Sexidol Bugs Bunny und dessen Inspirationsquelle, nach eigner Auskunft, die Einläufe seiner Mutter waren?
Der amerikanische Verlag feiert Crumbs Genesis-Interpretation als „skandalöse Satire“, als „komplexe, subversive Erzählung, die uns dazu auffordert, sowohl den Inhalt der Bibel als auch ihre Rolle in unserer Kultur gründlich neuzubewerten“. Um Kollateralschäden vorzubeugen, ist dem Buch ein Warnhinweis aufgepappt, demzufolge Minderjährige es nur unter Aufsicht Erwachsener aufschlagen dürfen –offenbar scheint Crumbs Werk in seinem Heimatland immer noch als „stoned Erbrochenes“ (Paul Krassner) zu gelten.
Crumbs Genesis beherbergt, selbst für eine Graphic Novel, wie jeder zweite Comic heutzutage albernerweise genannt wird, extrem viele Buchstaben. Das Lettering ist, dem Anlaß entsprechend, gediegen und muß eine Höllenarbeit gewesen sein. Auch bei der Übersetzung wollte man sich nicht lumpen lassen. Ins Deutsche transportiert hat den hebräischen Text, der in der US-Ausgabe der King-James-Bibel folgt, kein geringerer als „Deutschlands berühmtester Übersetzer“ (Harry Rowohlt).
„Ach Scheiß Luther!“ möchte man, als gewesener Katholik, mit Arno Schmidt meckern: Mußte es denn unbedingt einer von den „doowen Evangelischen“ sein? Ausgerechnet jener Mann, der den Stellvertreter Gottes als „des Teufels Sau“ verhöhnte?
Auch wenn Fachmänner die Lutherbibel – die Carlsen-Ausgabe benutzt die Fassung von 1912 – als „das deutscheste Buch der deutschen Literatur“ (Egon Friedell) einstufen: Hätte man nicht eine zeitgemäßere Übersetzung finden können? Die Bibel in heutigem Deutsch zum Beispiel oder die Bibel in gerechter Sprache, in der Jesus – siehe Matthäus 6 – einen Hügel erklimmt und seine „Jüngerinnen und Jünger“ das „Vater- und Mutterunser“ lehrt? „Labern mit Gott“ nennt sowas die Volxbibel des Jesus-Freak-Gründers Martin Dreyer, die die Auferstehung des Fleisches als „fettes Comeback“ betrachtet und die ebenfalls zur Wahl gestanden hätte. Ebenso wie Die Bibel. Das Alte Testament. Neu erzählt von Sybil Gräfin Schönfeldt aus dem Tulipan Verlag.
„Und die Schlange war listiger denn alle Tiere auf dem Felde, die Gott der Herr gemacht hatte …“ So fängt bei Luther das dritte Kapitel – und damit das Unheil – an, dessen erster Satz in gerechter Sprache so geht: „Die Schlange hatte weniger an, aber mehr drauf als alle anderen Tiere des Feldes, die Adonaj, also Gott, gemacht hatte.“
Die Schlange, die nicht Adonaj, sondern Crumb gemacht hat – in den Augen der Volxbibel „das fieseste Tier, das auf Erden war“ – ist nicht nur listig, sondern auch lustig, denn sie erinnert an den Feuersalamander Lurchi – eine der wenigen Freiheiten, die der Zeichner sich beim Abmalen der Schrift herausgenommen hat.
Der sah seinen Auftrag darin, „den Text zu illustrieren, ohne ihn in irgendeiner Weise ins Lächerliche zu ziehen oder für visuelle Kalauer zu mißbrauchen“. Das ist ihm prächtig gelungen, nicht zuletzt, weil er der Versuchung, den lieben Gott als nackte Negerin zu zeichnen, widerstand. Statt dem Weltenschöpfer die Backen seiner Angelfood – Crumb-Fans auch als Frl. Engelschleck Schwarz bekannt – zu verpassen, hat er sich, wie er in Interviews erzählt, für die Züge seines Vaters entschieden.
Bibelfilmfans wollen hinter der eisernen Maske eher den Geist Charlton Hestons ausgemacht haben, was daran liegt, daß Crumb sich von alten Hollywood-Monumentalfilmen inspirieren ließ. Hunderte von Standbildern, vom Fernseher abfotografiert, dienten als Vorlage. Durch einen Zufall scheinen ein paar Schnappschüsse aus „Winnetou 1“ dazwischengeraten zu sein, denn im 29. Kapitel geht Jakob „zu Rahel ein“, einem Hütemädchen, das an Nscho-tschi erinnert: „Die weich und warm gezeichneten vollen Wangen vereinigten sich unten in einem Kinn, dessen Grübchen bei einer Europäerin auf Schelmerei hätte schließen lassen“, schreibt Karl May, und Crumb hält sich, als wär´s das Wort Gottes, streng an die Vorlage.
Die ist nicht unbedingt verläßlich, wie auch die beiden Schöpfungsgeschichten der Genesis heikel sind. Eine wahrscheinlichere Version, wie die Welt entstanden ist, können wir bei C. M. Wieland lesen: „Sie ging aus einem Ei hervor“, heißt es in den Abderiten, „der Aether war das Weiße, das Chaos der Dotter, und die Nacht brütete es aus.“
Die schönste Schöpfungsgeschichte findet sich freilich bei Stifter. „Die Erhabenheit begann nun allgemach ihre Pergamente auseinanderzurollen“, schreibt Adalbert Stifter in seinem Debüt Der Condor, und siehe, „ein lachendes Gewölbe sprang über die Welt“, die damals noch platt wie ein Pfannkuchen war.
Auch bei Luther gibt´s ab Seite drei kein halten, und der Schöpfer macht seinem Namen alle Ehre: Auf Sonne, Mond und Sterne folgen Tiere – in guter Ordnung auf Land, Luft und Wasser verteilt. Dazu „allerlei Bäume, lustig anzusehen“. Spätestens hier fragt man sich, ob nicht – wenn schon! – Vilhelm Hansen der bessere Bibel-Interpret gewesen wäre. Neben Hansens Bäumen, wie sie uns aus Petzi und die Trolle vertraut sind, nehmen sich die Crumbschen – der Baum der Erkenntnis, der aus Petzi und der Pfannkuchenräuber abgemalt sein könnte, einmal ausgenommen – eher blaß aus.
Wo Schatten ist, das weiß jedes Baby, ist auch Licht. „Was ich ausdrucksstark und gelungen finde, sind die Menschen. Wie Adam und Eva die Katzen streicheln und die Ruhe des Sabbattages genießen, und wie sie dreinschauen, als sie ihre Nacktheit bedecken, sich im Gebüsch verstecken und dann von Gott befragt werden, das spricht mich an“, freut sich ein „Liberatus“ auf „jesus.de“. Trotz der Freude am Bedecken und Verstecken dürfte es Liberatus speziell auf Evas Apfelarsch abgesehen haben, denn die Mutter des Menschengeschlechts zählt zu jenen ausdrucksstarken und gelungenen Wuchtbrummen, wie wir sie aus Klassikern wie „Patricia Pig“ und „Sally Wabbelarsch“ kennen.
Die Schöpfungsgeschichte ist neben der Sintflut und dem abartigen Getümmel in Sodom und Gomorrha das Highlight des Buches, nicht zuletzt, weil am Anfang die Einfälle purzeln und Logik und Vernunft konsequent außer Kraft gesetzt sind. Aber das mag Geschmackssache sein. Goethe, dem das Kreuz „das Widerwärtigste unter der Sonne“ und „die ganze Lehre von Christo“, wie er Herder wissen ließ, „ein Scheißding“ war, hatte an der Josephs-Legende seinen Narren gefressen: „Höchst anmutig ist diese natürliche Erzählung“, schwärmt er in Dichtung und Wahrheit, „nur erscheint sie zu kurz, und man fühlt sich berufen, sie ins einzelne auszumalen.“
Was Thomas Mann dazu veranlaßte, „die reizende Mythe“ – bei Crumb fällt sie in die Kapitel 36 bis 50 – zu einem vierteiligen Roman aufzublasen. Für den Nobelpreisträger, der, wie Goethe, schon als Debütant das klinische Vollbild eines Klassikers entwickelt hatte, ein Klacks. Vierzehn Jahre – versüßt durch die Gewißheit, dem Herzenswunsch eines Kollegen zu willfahren – benötigte Mann für das 2.133 Seiten starke Riesenwerk, und damit kaum dreimal so lang wie Crumb.
Womit es Zeit für ein Geständnis ist … Auch ich habe für die Lektüre der Genesis gefühlte zehn Jahre gebraucht. Und um ehrlich zu sein: Ich habe mich die meiste Zeit königlich gelangweilt. Um Kraft zum Weiterlesen zu schöpfen, habe ich zwischendurch sogar den Fernsehapparat eingeschaltet. Eines Tages lief dort – das Schicksal meinte es gut mit mir – „Alle Jahre wieder – eine Bremische Weihnacht mit dem Bundespräsidenten“. Horst Köhler hatte sich für seine Weihnachtsfeier – traditioneller Höhepunkt: Das Staatsoberhaupt liest das Weihnachtsevangelium nach Lukas vor – seinen Lieblingsregisseur einfliegen lassen: Kai von Kotze, Cineasten u.a. als Regisseur der „Brandenburgischen“ (2002), „Nordrhein-Westfälischen“ (2003), „Saarländischen“ (2004), „Sachsen-Anhaltinischen“ (2005), „Rheinland-Pfälzischen“ (2006), „Hamburgischen“ (2007) und „Niedersächsischen Weihnacht mit dem Bundespräsidenten“ (2008) bekannt; und aufmerksamen KONKRET-Lesern womöglich aus dem Abspann von „Aktenzeichen XY … ungelöst“.
Soviel zur Trennung von Kotze, Kirche und Staat, und damit zurück zur Sache. Wie üblich in der Trivialliteratur geht es auch in der „Heiligen Schrift“ um den Kampf Gut gegen Böse – ein Ultrabösewicht, ein Schuft und Erzschurke, hält die Welt in Atem. In diesem Falle ein Bösewicht, der am Ende – von vier Augenzeugen im Stile von „Rashomon“ erzählt (vgl. Markus 14 f., Johannes 18 f., Lukas 22 f. und Matthäus 26 f.) – seinen Sohn ans Messer liefern wird.
Wer dabei an Mabuse, Goldfinger oder Fantomas denkt, irrt. Zwischen den Actionszenen, die einen fingerhutgroßen Teil der Handlung ausmachen, werden ausschließlich Stammbäume aufgezählt und Schafherden hin und hergetrieben. Auch die trostlose Landschaft gibt nicht viel her, und so mußte ich bei der Lektüre der 200seitigen Story an einen Satz von Akif Pirinçci denken – den einzigen, den ich vom Autor der berühmten Katzenromane kenne: „Überall, wo man hinkommt, findet man nichts weiter als Kälte, Finsternis, Schmerz, Einsamkeit, Haue und Scheißdreck.“ Exakt so sieht die Welt nach dem Sündenfall aus.
Man hätte es ahnen können, denn am Anfang lauert Gott, wie Mr. Snoid, hinter jedem zweiten Baum. Ein Kontrollfreak, der von morgens bis abends auf leisen Sohlen die Büsche inspiziert. Als ein Apfel fehlt, rastet Gott völlig aus – fortan ist das Menschengeschlecht erblich belastet.
Immerzu paßt ihm was nicht, fast alles, was er gebastelt hat, macht er gleich wieder kaputt. Er wütet mal in Babel, mal in Sodom – stets launisch und dabei nervtötend wie das dicke Kind, dem Mr. Natural – in „Mr. Natural und ´Das Kind´“ – zu Recht die Fresse poliert. Und so geht´s weiter: Pausenlos will er von Abraham wissen, ob der ihm auch wirklich gehorcht. Mal tun sich über Noah „die Fenster des Himmels“ auf, dann wird zum zehnten Mal Abraham verarscht: Ob er ihm nicht seinen Sohn opfern wolle?
Was Abraham nicht ahnt: Gott macht nur Spaß. (Jedenfalls vorerst. Denn Jahrtausende später kommt er auf den Einfall zurück und opfert seinen eingeborenen Sohn.) Dazwischen veranstaltet der manische Mann, der zwischen ADS und Borderline hin und herpendelt, allerlei Hokuspokus und Zauberspuk. Er läßt Schwefel und Feuer regnen oder macht Regenbögen – wer auf André Heller steht, kommt aus dem Staunen nicht heraus.
Wenn man´s nicht wüßte, würde man´s nicht glauben, Fakt ist: Das „Buch der Bücher“ ist die meistverkaufte, meistzitierte und -verfilmte Märchensammlung aller Zeiten. Noch heute treffen sich Freunde der Gattung überall auf der Welt in speziellen Märchenstuben, um sich daraus im Wortlaut vorlesen zu lassen.
An der Handlung kann´s nicht liegen. Die „Heilige Schrift“ gehört zum Bodensatz des Genres, wobei „das Buch vom Anfang“ (Th. Mann) ideengeschichtlich immerhin eine Sonderstellung einnimmt: als alter Knochen, mit dem diverse Religionen ihr Süppchen gekocht haben. Bis hinein in den Islam reicht die Wirkungsgeschichte der Histörchen und Schnurren, die einen Vergleich mit Klassikern wie Hänsel und Gretel zurecht scheuen. In welchem Tempel, in welcher Kathedrale hätte je eine Vergleichslesung mit, sagen wir, Hans mein Igel stattgefunden? Geschweige mit den Kunstmärchen der Romantik, mit Brentanos Dilldapp oder Mörikes Hutzelmännlein?
Dass die Veteranen der Underground Comix im Rentenalter Märchen erzählen, darf nicht wundernehmen. S. Clay Wilson, der sein Lebtag damit zugebracht hat, gottlos lange Schwänze, die sich wie weichgekochter Spargel durch die Seiten schlängeln und regelmäßig kleingehackt oder sonstwie malträtiert werden, mit Adern zu verbrämen, kam Anfang der Neunziger auf die Idee, Das Mädchen mit den Schwefelhölzern zu illustrieren, zusammen mit sechs weiteren Märchen.
Auf Wilson´s Andersen folgte Wilson´s Grimm: sieben Hausmärchen, mit jenem wunderbar plumpen, bäuerlichen Humor ins Bild gesetzt, der Wilsons Arbeit – sei´s „Kapitän Pißschlund und seine perversen Piraten“, sei´s „Tittengier der Dämonen“, „Seifenschmotze“ oder „Der mitternächtliche böse Beißer“ – auszeichnet. Bereits in der Eröffnungsstory des vor dreißig Jahren im sog. Volksverlag erschienenen U-Comix Sonderbandes, der einzigen deutschen Sammlung seiner Comics und Cartoons, bekommt der Betrachter – „Ich hab bissl was für euch“ – eine Ladung Unflat ins Gesicht.
Auch Robert Crumb hat sich Mitte der Achtziger an deutschen Märchenklassikern versucht, um später sogar eine Reise durch das märchenhafte Leben Franz Kafkas zu unternehmen. (In Kafka for Beginners wird der Erfinder der Strafkolonie unter anderem als glücklicher Restaurantbesitzer und Kartoffelbauer präsentiert.) Was auf uns zugekommen wäre, wenn Crumb sich auf die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm gestürzt hätte, statt die Ammenmärchen der Bibel zu bebildern, läßt die 1986 erschienene, fast unbekannte Frau Holle-Adaptation erahnen.
Crumbs Pechmariechen ist ein Trumm, das an liebgewonnene Gestalten wie das schauerliche Görl erinnert: In der nach ihr benannten Geschichte verbeißt sich ein vor Langeweile, Geilheit und Gottferne vibrierendes Görl in ein Fensterbrett, um zwei Depressionsschübe später ihr gutes altes „Hackenpferd“ zu reiten und abschließend (trostlos-erlösende Schlußpointe) „dem Lokus“ zuzustreben.
„Klostermanns Backstuben“ hieß dieser Ort in einer von Eberhard Fechners Kempowski-Verfilmungen …. Doch – ein letztes Mal – zur Sache. Die Märchen der Gebrüder Grimm, und da beißt die Maus keinen Faden ab, sind allemal bewegender und erhellender als der – streckenweise immerhin schön formulierte – Quatsch der Bibel. Und am Ende belehrender und bekehrender. Das 1. Buch Mose beweist, mit Karl Richter zu sprechen, allenfalls eins: „Gott=sein ist leicht. – : Mensch=und=Tier=sein ist schweer.“
Robert Crumb: Genesis. Carlsen, Hamburg 2009, 224 Seiten, 29,90 Euro
Die 17 Gesichter des Robert Crumb. Aus dem Englischen von Harry „don´t hurry“ Rowohlt. Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 1975
Autor: Wenzel Storch
Text: veröffentlicht in konkret 3/2010
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