Leben und Taten des Kwami Ogonno: Günter Wallraff hat einen Blaxploitationfilm gedreht
Was mich mit all diesen Christen verbindet,
ist das, was man in der religiösen Sprache
ganz schlicht „Nachfolge Christi“ nennt.
Günter Wallraff
Und so weiß ich nur einen Ausweg: Schafft fünf, sechs,
schafft ein Dutzend Wallraffs.
Heinrich Böll
Zwei Apfelsinen im Haar
Und an der Hüfte Bananen
Das trägt Hans Esser seit heut‘
Zu einem Kokosnußkleid …
Der alberne Ohrwurm will mir nicht aus dem Kopf, seit ich das letzte Mal im Kino war. „Schwarz auf Weiß“ heißt der Film, der für eine Handvoll Cent hergestellt wurde, und der inhaltlich und formal an Genreperlen wie „Unter Null“ und „Ganz unten“ anknüpft.
Ali heißt diesmal Kwami, und auf der Webseite der Verleihfirma findet sich ein Trailer, der zeigt, wie Günter Wallraff sich binnen Sekunden in den Afrikaner Kwami Ogonno verwandelt. Zuerst sieht man, wie er sich das Gesicht mit Schmalz einreiben läßt. Dann, wie es in Windeseile mit Bratensoße betupft wird. Dann, wie er sich eine verschossene Perücke, offenbar Holzwolle vom Baumarkt, wie eine Krone auf den Kopf setzt. Nun noch ein buntes Hemd und eine große gelbe Tüte – fertig ist der weiße Neger aus Somalia.
Daß Geschwindigkeit keine Hexerei ist, hatte Immanuel Kant schon 1802 behauptet: „Die Neger werden weiß gebohren, außer ihren Zeugungsgliedern und einem Ringe um den Nabel, die schwarz sind“, teilt er in seiner Physischen Geographie mit. „Von diesen Theilen aus ziehet sich die Schwärze im ersten Monate über den ganzen Körper.“ („In England mögen wir Kant“, sagte Motörhead-Gründer Lemmy einst im Gespräch mit der „Welt“, „allein schon wegen seines Nachnamens.“)
Um seine Rolle glaubhaft verkörpern zu können, ist Wallraff tief in die Romanwelten des 19. Jahrhunderts hinabgestiegen. Sein Kwami ist eine Melange aus Ceretto Wichselmeyer und Quimbo, dem Basutokaffer, von dem sein Schöpfer sagt: „Das Merkwürdigste an ihm war die Art und Weise, sein Haar zu tragen.“
Zwar hat Carl Friedrich May seinen Quimbo „mit einer schweren, aus Schwarzholz gefertigten Keule“ ausgerüstet, und Wichselmeyer, die dunkle Lichtgestalt in Wilhelm Raabes Geschichte vom versunkenen Garten trägt – als Antidot zur schwarzen Haut – eine dottergelbe Livree. Wallraff verzichtet auf Keule und schützende Uniform; auch die Kuhglocken, die May seinem Quimbo um den Hals hängt, fehlen, genauso wie der „Kasten voll Nürnberger Hampelmänner“, mit dem Raabe seinen deutschen Mohren, den Helden des Abu Telfan, ins wilde Tumurkieland schickt.
Derart drollig ausstaffiert geht es mit schaukelnder Knopflochkamera ins Land der Herrenmenschen. „Wahrheit entsteht, wenn die Kamera wackelt und es mit der Beleuchtung hapert“, hatte Hermann L. Gremliza bei der Verleihung des Karl-Kraus-Preises an den abwesenden Herrn Wallraff 1987 befunden. „Auf diese Überzeugung ist der ganze Wallraff-Kitsch gebaut.“ Andere sehen das anders; eigentlich kein Wunder bei einem Verkleidungskünstler, dessen Talent „im Erdreich der deutschen Sprache so glücklich Wurzeln zu schlagen vermochte“, wie Thomas Mann einstmals schrieb – freilich nicht über Wallraff, sondern in Sachen Adelbert von Chamisso.
Das Saallicht erlischt, und nach dem Präludium geht´s los. Die Sonne brennt erbarmungslos, und die Knopflochkamera führt den Betrachter in blühende Landschaften. Ein Mohr sitzt in einer Gondel und läßt sich durch den Wörlitzer Schloßpark rudern. Als sich eine Dame aus dem Kahn beugt, um sich am Ufer ein Pflänzlein zu pflücken, streckt auch der Mohr seine Hand aus – eine Geste, die treuherzig wirken soll und an Judy aus „Daktari“ erinnert. Aber Wallraff wäre nicht Wallraff, wenn er sich mit einem x-beliebigen Schachtelhalm oder einer hergelaufenen Sumpfdotterblume begnügen wollte: Eine Brennessel muß es sein.
Nachdem er sich, ohne mit der Wimper zu zucken, die bemalten Finger verbrannt hat („Wenn ein Neger sich verbrennt, so wird die Stelle weiß“, behauptet Kant in § 2 seiner Physischen Geographie), stratzt er – der Filmschnitt macht´s möglich – einer Senioren-Wandergruppe hinterher. „Wo gibt´s denn hier Brummbeeren?“ will er von den Rentnerinnen wissen, die, angeführt von einem Mann mit Regenschirm, durch Gummersbach humpeln. Er wolle gern ein Stündchen mitwandern, dabei Brummbeeren pflücken und zum Ausklang noch mit allen zusammen eine Tasse Kaffee trinken, läßt Ogonno durchblicken, doch die Wanderschar ist nicht interessiert und nimmt die Beine in die Hand. „Wahrscheinlich will der was ganz anderes“, tuschelt man gereizt und liegt damit ganz richtig, denn Wallraff will in Wirklichkeit „den Lackmustest auf die Stimmung im Lande machen“. Der Rentner mit dem Regenschirm, der inzwischen stellvertretend für die Damen die Lage analysiert hat, würde Ogonno am liebsten eins überbraten: „Allein ist er ja nicht gefährlich“, vertraut er der Knopflochkamera einer nähergetretenen Passantin an, „aber wir wissen ja nicht, wo der noch welche rumhängen hat.“ „Der Schirm“, nähert sich der Mann aus Somalia interessiert, „ist auch gegen Sonne? Oder nur gegen naß?“
„Es ging spazieren vor dem Tor / Ein kohlpechrabenschwarzer Mohr. / Die Sonne schien ihm aufs Gehirn, / Da nahm er seinen Sonnenschirm“, heißt es im Struwwelpeter – noch ein Werk, das nicht ohne Einfluß auf „Schwarz auf Weiß“ gewesen sein möchte, und dessen „ungekürzte farbige Ausgabe“ sich womöglich in der mysteriösen Tüte befindet, die Kwami Ogonno beständig mit sich herumträgt. „Da lauf ich auch so mit rum, die macht mir Spaß“, lüftet Wallraff nach der Vorstellung das Geheimnis und erzählt, wie er die Tüte einst in einer Apotheke – vor Jahr und Tag sei´s gewesen – geschenkt bekommen habe.
Wallraff, der seinen Ogonno als anlehnungsbedürftige und leicht unterbelichtete Nervensäge angelegt hat, gibt auf diversen Jahrmärkten bereitwillig die Schießbudenfigur: Zu „Herzilein, du mußt nicht traurig sein …“ schunkelt er wie ein Zombie – eine Szene, die man, wäre sie nicht technisch so fragwürdig, ohne weiteres in Georg A. Romeros „Dawn Of The Dead“ hineinschneiden könnte. Als sich niemand bei ihm einhaken will, wird er bockig und bestellt erstmal ein Bier, natürlich: „Ein Dunkel!“ Wer hofft, daß er nun, mit steigendem Alkoholpegel, seine größten Erfolge anstimmen wird (z. B. „Sieben Tage lang“, jenen Rock-gegen-Rechts-Schlager, dessen Text er zusammen mit Dr. Diether Dehm erfunden haben soll) sieht sich getäuscht. Ogonno gefällt sich als beleidigte Leberwurst, und es dauert Stunden, bis er sein Dunkelbier ausgetrunken hat und sich, übrigens an einer extrem morschen Liane, weiterschwingt – der nächsten Einstellung entgegen.
Eigentlich fehlen nur die Vogelnester im Haar, aus denen die Zwergpapageien mit großem Gekrächz herausgeflattert kommen: Wo immer das „Negerl“ (Eckhard Henscheid) sich blicken läßt, benehmen sich die Menschen, wie sie es bei Kaspar, Ludwig und Wilhelm gelernt haben. „Die schrie’n und lachten alle drei, / Als dort das Mohrchen ging vorbei, / Weil es so schwarz wie Tinte sei!“ „Ich bin so dahergekommen, wie ich auch sonst daherkomme“, sagt Wallraff – und man glaubt´s ihm aufs Wort: Beim Polizei- und Schutzhundverein Köln wird er vorstellig, um seinen Schäferhund anzumelden, wenig später spaziert er in eine bayrische Amtsstube, um einen Jagdschein zu beantragen. Blaxploitation at ist best!
Und weil man als weißer Neger nicht von Jägerprüfung und Hundedressur allein lebt, findet der Mann, den Hans Leyendecker u.v.a. „die lebende Überwachungskamera der Nation“ nennen, sich eines Tages vor dem Stadion des FC Energie Cottbus wieder. „Wer gewonnen?“ möchte er von den versammelten Stiernacken wissen. „Du jedenfalls nicht!“ wird ihm beschieden, und er besteigt frohgemut – damit auch der letzte merkt, daß Kwami Ogonno nicht alle Tassen im Schrank hat – den Fanzug nach Dresden. Bevor der schwarze Mann dort grün und blau geschlagen werden kann, ist er freilich schon wieder ausgestiegen, denn ihn zieht´s ins nächste Uhrengeschäft. Wallraff hat, wie alle Marathonläufer, ein Faible für glitzernden Stopuhren, und so treibt´s ihn immer wieder – wie Petzis Freund Tick-Tack – in die entsprechenden Fachgeschäfte.
Zwischen den Episoden mit den Uhren erzählt Wallraff seine Träume. Etwa den, wie er einem Krokodil zum Fraße hingeworfen wird. Damit nimmt er, dramaturgisch klug, fast den Showdown vorweg. Denn zum Schluß wird es – wie sich das fürs Genre gehört – noch einmal richtig spannend.
Kwami Ogonno schließt sich – das Happy End naht – einem Wanderzirkus an. Weil er sich partout nicht verscheuchen läßt, darf er nach der Vorstellung das Zelt ausfegen. In der nächsten Stadt darf er den Elefantenkäfig ausmisten und in der dritten den Wagen des Direktors waschen. Als er in der vierten das Nilpferd mit Wasser abspritzen soll, ist Kwami verschwunden, und mit ihm die Armbanduhr des Bürgermeisters. Der Direktor tobt, und die Tierpfleger stellen den ganzen Zirkus auf den Kopf. Doch Kwami, die Uhr und sogar der Wasserschlauch sind wie vom Erdboden verschluckt. Da hat einer der Pfleger eine Idee: „Vielleicht hat sich der Neger im Maul des Nilpferdes versteckt“, ruft er, und gemeinsam marschiert man zum Käfig, um das Maul des Untiers zu öffnen.
Mamba Anita, so heißt das Nilpferd, versteht zwar nicht, was man von ihm will, spielt aber fröhlich mit: „Und was schaut dir aus dem Maul? Zwei Negerbeine!“ jubelt der Direktor. „Kommt doch alle her und helft mir ziehen.“ Gesagt, getan. Man zieht und zieht, und der Zuschauer staunt: „Einen zehn Meter langen Neger ziehen sie aus dem Maul des Nilpferdes“, heißt es im Presseheft. „Der dehnt sich so, weil er schon halb verdaut ist“, aber, Gott sei Dank: „Er lebt noch“.
Wer nun verstimmt sein KONKRET-Heft in die Ecke pfeffert, hat ganz recht: Der auffällig gute Einfall ist stibitzt, Günter Wallraff hat ihn dem Spielfilm „Der Neger Erwin“ (1981) entnommen, einem Klassiker des deutschen Blaxploitationfilms. Ob er bei Regisseur Herbert Achternbusch angefragt hat oder nicht: Wallraffs Rechnung geht auf. Als er sich von dem Dickhäuter fressen läßt, geht ein Aufschrei durchs Kino. Und natürlich findet sich auch die Uhr wieder an – der Bürgermeister hatte sie in seiner Schusseligkeit bloß verlegt.
Auch wenn er sich am Ende seiner Deutschlandreise halbverdaut aus dem Nilpferd Mamba Anita ziehen lassen muß, Wallraff will weitermachen. Ein Sequel sei längst geplant, erzählt er seinen Fans, die ihn, als das Saallicht aufflammt, wie einen Popstar anhimmeln.
Man darf gespannt sein und sich jetzt schon fragen: Wo will er dann nerven? In hessischen Massagesalons? In sächsischen Swingerclubs? Der Gedanke ist naheliegend, denn „der Schwarze schnackselt gern“ (G. von Thurn und Taxis). Ob allerdings „Die Rückkehr des Kwami Ogonno“ den Erotikmarkt stürmen und den wenig zimperlichen Konkurrenzprodukten – man denke an Schlager wie „Negerbande schändet deutsche Hausfrauen“ oder „Analfiasko im Negerarsch“ – das Wasser reichen kann, bleibt fraglich.
Wenzel Storchs Spielfilm „Die Reise ins Glück“, in dem es eine Gesellschaft schwarz angemalter Mitteleuropäer, zusammen mit Kaninchen, Fröschen und Bären, auf eine geheimnisvolle Insel verschlägt, ist bei Cinema Surreal auf DVD erhältlich
Autor: Wenzel Storch
Text: veröffentlicht in konkret 12/2009
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