Unter der Überschrift „Wo ist Böll?“ spürte das „Zeit-Magazin Leben“ im August 2007 der Frage nach, warum in drei Teufels Namen das deutsche Volk seinen Böll vergessen hat. Bei dem ellenlangen Text handelt es sich um das redaktionelle Umfeld für eine Kontaktanzeige des Romanciers Maxim Biller, der – eigentlich total süß – auf diesem Wege versucht, „jemanden zu finden, der auch Böll liest und mit mir darüber spricht“.
Böll vergessen? Im Land der Böllizisten? War nicht gestern noch seine Katharina Blum beliebter als Plumpaquatsch, Pillhuhn und Fliewatüüt zusammen?
Wir erinnern uns: Die Hauptperson ist eine „Kommunistensau“, „rote Wühlmaus“ und „Kreml-Tante“. Als ihr das dämmert, schmeißt sie 1 Flacon Kölnisch Wasser, 1 Fl. Tomatenketchup, 1. Fl. Salatessig, 1 Fl. Worcestersauce und diverse Cremetuben an die vier Wände ihrer kleinen Wohnung. Nach diesem Wutausbruch sind ihr ein anonymer „Zärtlichkeitsanbieter“ und ein „Todesherbeiführer“ auf den Fersen. Der Todesherbeiführer mit dem originellen Namen Tötges will sie interviewen, d.h. „bumsen“ – spätestens hier ahnt der moderne Leser: Hinter der Sache kann nur der „Entenhausener Kurier“ mit seinem verrückten Schriftleiter Kai Diekmann stecken. Und am Ende des Buches bumst es dann auch, „aber gewaltig“ (Ina Deter).
Wenn schon Die verlorene Ehre der Katharina Blum nicht viel mehr ist als ein aufgeblasener Pennälerscherz, sprachlich braucht sich Bölls Erzählung nicht hinter den Arbeiten eines – sagen wir – Max von der Grün (Vorstadtkrokodile) zu verstecken. Wobei den Kollegen vom heiteren Fach naturgemäß die schöneren Anfangssätze glücken: „An einem Aprilabend fuhr Charlotte Müller, genannt Karlchen, mit ihrem rostigen Kombi, der bis zum Kragen mit Töpferwaren aus dem Westerwald beladen war, in München ein.“ So souverän hebt Barbara Noacks gleichaltrige Aussteigerromanze Drei sind einer zuviel an – übrigens grandios verfilmt mit Jutta Speidel -, Böll hingegen notiert zugeknöpft und irgendwie verdruckst: „Für den folgenden Bericht gibt es einige Neben- und drei Hauptquellen, die hier am Anfang einmal genannt, dann aber nicht mehr erwähnt werden.“
Aber scheiß auf den Anfang! Dafür hat Böll den Knalleffekt am Schluss. Und der Schluss ist immer noch die Hauptsache, „wenn der nicht gut ist“, das wusste schon Karl May, „so sieht das Buch aus wie ein Pferd ohne Schwanz“.
Böll bemüht zur Erläuterung des Konstruktionsprinzips, nach dem er seinen „Bericht“ zusammengeklatscht hat, die von ihm erfundene Pfützensymbolik. Irgendwas soll anscheinend „trockengelegt“ werden. Bei Kapitel 25 z. B. handelt es sich „lediglich um den Durchstich eines Nebenpfützenstaus“. Und in den Pfützen schwimmt das übliche Böll-Personal. Diesmal heißen die Herrschaften Sträubleder und Beizmenne, gegen Ende stoßen noch Kneipenwirt Kraffluhn und „ein gewisser Kottensehl“ hinzu. Und auch die Blum heißt eigentlich nicht Blum, sondern Brettloh. Stellt sich die Frage, ob „Die verlorene Ehre der Katharina Brettloh“ als Titel nicht schöner gewesen wäre.
Dass Böll in Sachen Namensgebung ein Händchen hatte, ist bekannt. Hier gibt sich der Nobelpreisträger viel Mühe, ist aber noch nicht ganz auf der Höhe seiner gestalterischen Kraft. Erst in Fürsorgliche Belagerung, als Gestalten wie Blurtmehl und Holzpuke, Blörl, Pliefger, Lühler und Pottsieker zum Leben erwachen, ist er auf dem Gipfel seiner Kunst angelangt.
Es wär an der Zeit, dass endlich einmal ein Heinrich-Böll-Figurenlexikon rauskommt. Thomas Mann und Karl May haben ja auch eins. Bei May heißen die Leute allerdings nicht Bur-Malottke oder Dr. Kluthen, sondern – man kann das kompromisslos finden – Kattapattamattafattagattalattarattascha (freilich nur in Old Surehand Bd. 1).
Autor: Wenzel Storch
Text: veröffentlicht in konkret 4/2008
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14. Dezember 2012 um 19:38 Uhr
Kattapattamattafattagattalattarattascha wird Old Shatterhand von einem zu Späßchen aufgelegten Mitreisenden genannt. Und der Indianer, dem dieser Bär aufgebunden wird, meint: „Uff, uff, uff! Ich werde ihn sehr oft hören müssen, ehe ich ihn nachsprechen kann“