Unerträgliche Schönheit
Humus: Die ambitionierte Frankfurter Schau „Die Metapher des Wachstums“ greift das Tabu-Thema schlechthin auf
Hunderte, Tausende von Handys. Alle Größen, alle Formen, alle Farben. Ein Meer von leicht gekrümmten Ovalen aus Leichtmetall mit den charakteristischen Druckknöpfen liegt in einem riesigen Haufen. Der kleine Schönheitsfehler dieser Miniatur-Fetische: Sie sind alle längst ausrangiert.
Leider findet sich das Bild des amerikanischen Fotografen Chris Jordan nicht gleich im Eingang des Frankfurter Kunstvereins. Man muss ein Magazin mit dem Titel „Denkanstöße“ im zweiten Stock durchblättern, um auf es zu stoßen. „Cell Phones“ bringt das ganze Drama, um die die Ausstellung „Die Metapher des Wachstums“ kreist, auf den Punkt: Die wahnwitzige Verschwendung von Rohstoffen auf der Welt. Der Abfall, den der technische Fortschritt produziert. Der Rausch des viel, mehr, unendlich viel mehr. Bezeichnenderweise hat Jordan der Serie, der das Bild entstammt, den Titel „Intolerable Beauty“ gegeben.
Stattdessen trifft man im Foyer auf einen riesigen Haufen Kaffee. 400 Pfund davon hat der Künstler Thomas Rentmeister auf den Boden des Hauses geschüttet. Darüber leuchtet einsam eine rote Glühbirne. Ein Hauch von Coffee-Shop liegt in der Luft. Kaffee als sorgsam austariertes Sinnbild der Globalisierung, des exzessiven Genusses und als wachstumsfördernder Humus. Wir haben verstanden. Die gleiche Durchschlagskraft wie Jordans Bild hat Rentmeisters Installation aber nicht.
Trotzdem: Angesichts der Bedrohung, zu der sich das zivilisatorische Konzept „Wachstum“ ausgewachsen hat, ist es gar nicht genug zu loben, dass die drei Kunstvereine in Frankfurt am Main, Hannover und im schweizerischen Baselland mit Unterstützung der Kulturstiftung des Bundes gemeinsam eine innovative Themenausstellung aus der Taufe gehoben haben, wie man sie sich häufiger wünschte.
In jeder Bundestagsdebatte wird der Fetisch des Wachstums noch immer mit einer Inbrunst beschworen, als habe es vor 40 Jahren nicht den Bericht des Club of Rome über die „Grenzen des Wachstums“ gegeben. Aber wahrscheinlich nützt es nichts, der Politik immer nur den Spiegel der exakten Wissenschaften vorzuhalten. Jetzt muss die Ästhetik ran.
Es gehört zu den Paradoxa des Wachstums-Diskurses, dass sein Leitbegriff ausgerechnet der Biologie entlehnt ist. Der passt aber so gar nicht zu dem Stoffwechsel mit der Natur, den sich die Menschheit zu Zwecken massenhafter Konsumbefriedigung angewöhnt hat. Dort endet Wachstum bekanntlich. Aber Natur-Metaphern haben den Vorteil, dass gegen sie immun gegen Gesellschaftskritik sind: Es muss halt alles immer wachsen.
Dabei gönnt der Mensch der Natur das organische Recht, das die Metapher aufruft, kaum irgendwo. Mit ihm sucht sich auch die große Fantasie von der Nachhaltigkeit zu legitimieren. Die Bilder unmerklich konturierter Nadelholzgewächse, die der Fotograf Ulrich Gebert in öffentlichen Parks in England aufgenommen hat, sind ein fast unheimliches Sinnbild für den tatsächlichen Umgang mit ihr: Kontrolle, Verformung und Selektion.
Die Frankfurter Ausstellung überzeugt, weil Kurator Holger Kube Ventura seinen Parcours nicht alarmistisch eng führt. Zwar verteilt das Künstlerkollektiv Mindpirates ein paar didaktische Denkanstöße. In seiner raumfüllenden Installation „Verschwendung ist die größte Energiequelle“ plakatiert es Zahlen und Fakten zum weltweiten Ressourcenverbrauch an die Wand: Weltweit werden pro Jahr 600 Milliarden Plastiktüten produziert.
Natürlich geht es nicht ohne politische Kunst: In der Videoinstallation „All that is Solid Melts into Air“ des Amerikaners Mark Boulos stehen sich zwei Schauplätze der wachstumshungrigen Globalisierung direkt gegenüber: Rechts tobt der Parkettkrieg an der Chicagoer Börse. Links proben nigerianische Fischer den Aufstand gegen die dort gehandelten Ölmultis. Deren Absturz thematisiert das Duo bankleer in seiner Arbeit „Headfonds“: Hinter dem Schutzwall seiner Computer mit abgestürzten Aktienkursen steigt die Figur eines Mannes steil mit dem Kopf zuerst durch die Glasdecke.
Die Ausstellung lotet aber auch die Ambivalenzen eines in Misskredit geratenen Begriffs aus. Indem sie zwei profane Alltagsgegenstände wie eine Leiter und einen Papierkorb mit 23,5 Karat Gold belegt, markiert die amerikanische Künstlerin Sylvie Fleurie den Wechsel vom Gebrauchswert zum Tauschwert, der Triebkraft hinter dem Prinzip Wachstum. Der Lockung von Luxus und Glamour kann man sich aber genauso wenig entziehen wie dem Bild der pink wuchernden Orchidee auf einer Wandtapete der Mindpirates.
Der hypertrophe Parasit ist Verschwendung pur. Ohne ihn gäbe es womöglich keine Evolution. Gerade deren unnütze Auswüchse produzieren Schönheit. Als negatives Pendant dazu fungiert Peter Buggenhouts Skulptur „The Blind leading the blind“. In den von dicken Staubschichten überzogenen Skulpturen aus nicht beschreibbaren Resten und Formen wird das Prinzip Werden und Vergehen endgültig zu der abstrakten Metapher, die der Ausstellungstitel verspricht.
So klug und assoziationsreich diese Ausstellung zusammengestellt ist. So sehr vermisst man den Blick der Kuratoren über den prekären Ist-Zustand hinaus. Folgt dem Zeitalter des Wachstums das der Askese, geht es um kreative Verschwendung oder doch eher auf Verzicht? Die zeitgenössische Kunst geriert sich gern als die bessere Wissenschaft. Da muss es doch irgendein Bild geben, das konkret macht, was der Ökonom Hans-Christoph Binswanger im Katalog zum Überleben empfiehlt: Mäßigung, intelligent schrumpfen.
© Ingo Arend
Bild oben: Mark Boulos „All that is solid melts into the air“, 2008, 2-Kanal Video / 2 channel video © and Courtesy the artist
Frankfurter Kunstverein. Noch bis zum 31. Juli. 2011.
Katalog, Christoph Merian Verlag
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