Die getidan-Autoren Wolf Jahnke und Michael Scholten lernten sich in Berlin kennen, lebten von 2008 bis 2010 gemeinsam in einer Neuköllner WG und teilten ihre Filmleidenschaft bei vielen hundert DVD-Abenden und Kinobesuchen. Scholten wanderte nach Kambodscha aus, doch noch immer tauscht das Duo eifrig Informationen über Filme aus und schrieb zuletzt gemeinsam das Buch “Die 199 besten Actionfilme & -Serien”.
AUF GETIDAN.DE CHATTEN JAHNKE & SCHOLTEN ÜBER AKTUELLE FILME, KINOKLASSIKER UND IHRE LIEBLINGSSCHAUSPIELER.
RED DAWN
Michael Scholten: Kaum trat ich im 1991 meinen Zivildienst an, zerfiel die Sowjetunion. Du warst drei Jahre vorher bei der Bundeswehr. Mal angenommen, “der Russe” wäre gekommen: Hättest Du Deine Heimatstadt Lengerich erfolgreich verteidigen können?
Wolf Jahnke: Wenn ich Red Dawn glauben darf, hätten wir dafür viel mehr Waffen gebraucht als wir damals bei der Bundeswehr hatten.
Michael Scholten: Hast Du Dich bei dem Film übrigens auch gefragt: Warum, um Himmels Willen, erobern die Nordkoreaner ausgerechnet dieses Kaff in den USA? Und warum eilt kein einziger US-Soldat zur Hilfe?
Wolf Jahnke: Doch, aber es lohnte sich kaum, über irgendein Warum oder Wie nachzudenken. An einer Stelle wurde was von einem Elektroding erzählt, das alles lahmgelegt hat. Auch die Jagd nach dem koreanischen Telefon ergab keinen Sinn, aber da staunte ich schon längst über andere Sachen im Film.
Michael Scholten: Zum Beispiel?
Wolf Jahnke: Hauptdarsteller Chris Hemsworth, der Typ aus Thor, hält eine flammende politische Rede, nach der die ganzen dusseligen Teens sofort zu Guerillakriegern werden. Das war im umstrittenen Original von 1984 eine interessant erzählte Geschichte über das Erwachsenwerden und wurde von stimmungsvollen Bilder der wechselnden Jahreszeiten begleitet. Im Remake war es nur ein kurzer Bildsalat, fern von allem, was man selbst im Kino als „realistisch“ sehen möchte.
Michael Scholten: Hast Du eigentlich das Original von John Milius gesehen? Ich kenne das nur vom Hörensagen.
Wolf Jahnke: Den Film habe ich 1984 als Schüler gesehen. Damals wurde vor dem Münsteraner Kino dagegen demonstiert, was ihn für mich erst recht interessant machte. Hätte mir einer gesagt, dass der Film albern und langweilig ist, wäre ich vielleicht nicht reingegangen. Als ich ihn später nochmal auf DVD gesehen habe, fand ich ihn als historisches Politkum lustig, die altmodische hemdsärmelige Machart mit aufwändigen Kampfszenen gegen die Russen und Kubaner aber durchaus gelungen.
Michael Scholten: Ist das ein Film, wie man ihn vom Autor von Apocalypse Now erwartet? Oder war der rückblickend unter seiner Würde?
Wolf Jahnke: Milius hatte ja schon mitgeschrieben am „reaktionären“ Dirty Harry. Markige Sprüche wie „Ich liebe den Geruch vom Napalm am Morgen“ und kriegerisches Gehabe findet man auch in Red Dawn und in seinem Conan-Film, den ich, wie alle Filme von Milius, recht öde und behäbig finde. Als Autor oder Erzähler, zum Beispiel in Interviews, finde ich ihn wieder höchst unterhaltsam, als Regisseur aber auf keinen Fall.
Michael Scholten: Welcher Film ist denn Deiner Meinung nach besser, gemessen an den filmischen Möglichkeiten der 80er und der Gegenwart: das Original von 1984 oder das Remake?
Wolf Jahnke: Ganz klar das Original. Das hatte – bei allem Genöle – erzählerische Wucht und dachte über das Szenario recht differenziert nach. Ordentlich Geld steckt in beiden Filmen, und handwerklich solide sind sie auch. Das Remake ist eine krude Wichtelhirn-Fantasie. Das ist wie Starship Troopers, nur ohne jegliche Ironie. Wie ist es Dir denn ergangen? Konntest Du darüber lachen?
Michael Scholten: Ich habe eher mit dem Kopf geschüttelt. Regisseur Dan Bradley ist ja von Haus aus Stuntman und Second Unit Regisseur, hat zum Beispiel die Stunts von James Bond 007 – Ein Quantum Trost gedreht. So fand ich die erste Invasion auch durchaus gelungen. Die Action stimmte, die vielen Fallschirme aus dem Computer vermittelten glaubhaft, dass man die Nordkoreaner nicht mal eben besiegen kann. Aber diese “Wolverines”-Jugendbande, in der politisch korrekt jede Hautfarbe auftaucht und das obligatorische blonde Cheerleader-Girl rumhüpft, aber auch diese Attitüde „Nun knall ihn ab, dann bist Du ein Kerl und fühlst Dich besser“ nervte gewaltig. Vor allem unter Einfluss der aktuellen Waffendebatte in den USA.
Wolf Jahnke: Es waren ein paar echt schön Stunts dabei. Der Rest ist Comic. Ich glaub auch kaum, dass der Film erfolgreich zur Waffenfreiheit aufruft. Er entlarvt sich eher selbst mit seinen Ideen.
Michael Scholten: Mein größtes Problem war, dass ich das Nordkorea-Szenario einfach nicht akzeptieren wollte, auch nicht mit dem Zusatz, dass ein durchgeknallter Russe mitmischt.
Wolf Jahnke: Die Soldaten waren ja erst Chinesen. Dann fiel den Machern und dem Verleih auf, dass man damit die Chinesen beleidigen und somit viele chinesische Kinogänger und DVD-Käufer verprellen könnte.
Michael Scholten: Hast Du das Ende verstanden? Rasen die Teenager begeistert ihrem Tod entgegen? Oder habe ich das im dumpfen Delirium einfach nur falsch gedeutet?
Wolf Jahnke: Das Ende, wenn sie alle lächelnd mit MGs aus Autos ballern, ist unfassbar. Aber ich glaube, nach Auffassung der Macher fahren die da stilgerecht zum Endsieg.
Michael Scholten: Hm, wie viele Koreaner sind denn noch übrig? Und wie viel Munition haben die Kleinstadtkrieger im Gepäck? Ich weiß nicht… Vielleicht tu ich diesem Film auch Unrecht und er ist ein Meisterwerk, das ich verkenne, weil ich ihn bei mir daheim in Phnom Penh nur als schlechte Raubkopie im DVD-Player sehen konnte. In welchem Umfeld hast Du ihn gesehen? Beim Veteranentreffen mit den Stubenjungs von der Bundeswehr?
Wolf Jahnke: Nein, ich war in Osnabrück in einem grabbeligen alten Kino mit dem Charme eines Bahnhofkinos. Da saß ich am Neujahrstag mit zwei Freunden und einem jungen Pärchen, so dass es auf seine Art ein passendes, denkwürdiges Erlebnis wurde.
Michael Scholten: Ist Dir irgendein Darsteller positiv in Erinnerung geblieben?
Wolf Jahnke: Nein, die waren eigentlich alle konstant unterirdisch. Da der Film schon etwas älter ist und vor seinem Kinostart herumlag, konnte man ein paar der Darsteller inzwischen in anderen Rollen sehen, allen voran Chris Hemsworth. Aber da fand ich die Riege der jungen Helden im Original von 1984 natürlich besser: Patrick Swayze, Jennifer Grey, Charlie Sheen oder C. Thomas Howell.
Michael Scholten: Connor Cruise, der Adoptivsohn von Tom Cruise und Nicole Kidman, darf in Red Dawn auch rumballern. Hast Du bei ihm das Talent der Eltern entdeckt?
Wolf Jahnke: Genetisch geht der offenbar andere Wege. Seither hat ihn auch kein anderer Film mehr gebucht. Das ist bestimmt gut so. Konntest Du einen neuen Star entdecken?
Michael Scholten: Nein. Ich befürchte, das sind und bleiben allesamt Geheimtipps. Aus aktuellem Anlass die Gretchenfrage: Red Dawn oder Der Hobbit?
Wolf Jahnke: Red Dawn. Ich schaue lieber kurzen aufrichtigen Edel-Trash als die x-te aufgeblähte Fantasy-Produktion mit 1000 lustigen CGI-Kreaturen. Und Du?
Michael Scholten: Der Hobbit. Ich war am Wochenende nach zweieinhalb Monaten Babypause endlich mal wieder im Kino und durchaus angetan vom Hobbit, wohingegen ich nie ein Freund von Der Herr der Ringe war. Ich finde, der neue Film ist ein guter Mix aus ruhiger Erzählung und obendrauf Action, bietet viel bessere Effekte als die erste Trilogie und zum Glück wenig Elijah Wood (der nervt als blauäugiges Mädchen am Anfang), aber viel Martin Freeman, den ich als Hauptdarsteller sehr viel besser finde. Über die drei Musicaleinlagen bin ich anfangs gestolpert, auch das Zusammentreffen von Dracula, Mr. Smith und Elisabeth I. im Elbenland wirkte befremdlich (da mir in so einer Fantasy-Welt einfach No-Name-Gesichter lieber sind als die von Promis in Kostümen), aber unterm Strich richtig gute Kinounterhaltung.
Wolf Jahnke: Der Zwergenkram kann mir gestohlen bleiben. Ich schätze halt ein aufrechtes Plädoyer für Freiheit und gegen Böses im Allgemeinen. Muss jetzt los. Gruß. Wolf.
Michael Scholten: Ach so, apropos Wolf: WOLVERINES!!! Toller Schlachtruf in Red Dawn, oder?
Wolf Jahnke: Aber hallo! Das war im Original mit C. Thomas Howell toll. Da kommt ein Riesenrussenhubschrauber und zerballert ihn schön mit lauter Bloodpacks, während er „Wolveriiiiiiiines“ ruft. Nicht mal das gibt es im Remake.
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