„Das Publikum erzwingt sich die Filme, die es haben will.“
Genre gehört zu jenen Verständigungsbegriffen, deren jeweiliges Verständnis am unmittelbarsten mit dem populären Verständnis vom Film verbunden scheint. Doch dieses landläufige Verständnis von einem vermeintlichen Kanon der Filmgenres macht die wissenschaftliche Analyse dieses Phänomens umso problematischer. Unter einem Filmgenre wird zunächst einmal eine Gruppe von Filmen verstanden, die unter einem spezifischen Aspekt Gemeinsamkeiten aufweisen. Diese Gemeinsamkeiten können in einer bestimmten Erzählform, einer speziellen Grundstimmung, hinsichtlich des Handlungssujets oder in historischen oder räumlichen Bezügen bestehen.
1. Genresynkretismen
Zunächst spielte die Differenzierung von Filmgenres in der Frühphase des Hollywood-Studiosystems eine Rolle: Man drehte Filme nach bestimmten Schemata, mit bestimmten Stars und an den selben Drehorten. Dieses Vorgehen befriedigte die wachsende Nachfrage des Stummfilmpublikums und optimierte die Dreharbeiten in wirtschaftlicher Hinsicht. So entstanden die frühen Genres aus logistischer Notwendigkeit, und zwar nicht nur in den USA, sondern weltweit und insbesondere auch im Kino der Weimarer Zeit. Eine kritische und theoretische Reflexion von Filmgenres setzte indes erst spät ein. Erste Versuche unternahmen André Bazin in Frankreich (1954) und Robert Warshow in den USA (1954). In Deutschland sprach Rudolf Arnheim 1932 in „Film als Kunst“ noch abwertend vom „Konfektionskino“. Lange galt der singuläre, genreunabhängige Autorenfilm als Königsdiziplin des Filmschaffens. Erst die Autoren der Cahiers du cinéma entdeckten den amerikanischen Genreauteur und bestätigen die Virtuosität der sog. Professionals, die im besten Falle zum „Maverick Director“ wurden, der den Genrekontext nutzt, um seine persönliche Handschrift und seine vision du monde umzusetzen. Erst die 1970er Jahre brachten eine differenziertere Genretheorie, zunächst in den USA (siehe Barry Keith Grants Film Genre Reader, 1977ff.), dann auch in Deutschland (Georg Seeßlens Geschichte und Mythologie des Films, 1979ff.).
Wie Knut Hickethier in seiner Bestandsaufnahme „Genretheorie und Genreanalyse“[i] feststellt, hat sich im Laufe der Zeit eine enorme (dreistellige) Zahl von Genredifferenzierungen ergeben, die vor allem im alltäglichen Gebrauch (z.B. in Fernsehzeitschriften) immer neu konstruiert werden. Dieses Phänomen erklärt sich durch das Bedürfnis, bereits in der Genrebezeichnung eine verbindliche Aussage über Stil und Inhalt eines Films zu treffen. Dabei werden vor allem verschiedene Genres miteinander verschmolzen und ein Genresynkretismus konstatiert. So wird Alien (1979) etwa zum „Science-Fiction-Horror“ oder Sam Peckinpahs Convoy (1978) zu einem „Trucker-Western“. Dabei fällt auf, dass diese neu kombinierten Bezeichnungen auf durchaus unterschiedliche Bedeutungskontexte Bezug nehmen:
Science Fiction hat sich etabliert als Bezeichnung für eine spekulative Darstellung zukünftiger Technik („Wissenschafts-Fiktion“), der Film muss also aus sich seines Produktionsdatums in der Zukunft spielen (auch wenn diese Handlungszeiträume von der Wirklichkeit bereits eingeholt wurden, spricht man von SF). Horror dagegen bezeichnet einen angestrebten Affekt: Der Film soll ein Gefühl des Grauens, von Angst und Schrecken im Zuschauer evozieren. Dafür haben sich klassische und moderne Settings etabliert, die – wie im Fall von Alien – durchaus auch in der Zukunft oder im Weltall verortet sein können. So kann man den besagten Film einerseits als Science-Fictions-Film betrachten (Schauplatz: Raumschiff, Zeit: die Zukunft), wie auch als Horrorfilm (die Protagonisten werden von einem übernatürlichen Monstrum gejagt und dezimiert). Letztlich ist aber beides gleichberechtigt und essenziell im Film angelegt, so dass man hier von einem intendierten Genresynkretismus ausgehen kann.
Im Fall von Convoy, der auf amerikanischen Highways spielt, dessen Protagonisten Menschen der Straße (Trucker, Highway-Polizei) sind und sich ständig in Bewegung befinden, müsste man zunächst von einem Road Movie sprechen. Diese dritte Kategorie der Genrebezeichnung subsummiert Filme, die einen bestimmten Schauplatz teilen: die Straße. Wichtig ist dabei nur, dass nicht die gezielte Reise von A nach B im Zentrum steht, sondern die Reisebewegung selbst das Ziel ist: eine eher ziellose Suche, wie sie prototypisch in Easy Rider (1969) dargestellt wurde. So teilen Road Movies nicht nur ihren Schauplatz, sondern auch ein bestimmtes Gefühl des Unbehausten und der diffusen Suche. So zählt auch Convoy zum Road Movie, denn dessen Protagonisten sind Menschen der Straße, deren Leben durch die ständige Bewegung definiert wird. Zugleich inszenierte Western-Veteran Sam Peckinpah seine Protagonisten jedoch als Westerner, die ihre Pferde gegen Lastwagen getauscht haben. Der neukreierte Genrebegriff des Truckerwestern geht also über den eher allgemeinen des Road Movies hinaus, indem hier zugleich die Protagonisten benannt und der Stil des Films vorab interpretiert wird. „Trucker-Western“ lenkt die Erwartung des Zuschauers bereits in die Richtung, hier nur einen modern verkleideten klassischen Western zu sehen.
2. Metagenres
Die filmwissenschaftliche Genregeschichtsschreibung bemüht sich in vielen Fällen zunächst um eine prototypische Darstellung einzelner Meta-Genres – bereits im Bewusstsein, dass diese Idealtypen darstellen und selten in dieser Form vorkommen – vor allem in der späteren Filmgeschichte. Die Idee ist, konventionalisierte Formen und Muster zu finden, die selbst in ihrer Neukombination erkennbar bleiben und Traditionslinien kenntlich machen. Dabei haben sich folgende Metagenres herauskristallisierte, die jedoch im einzelnen äußerst streitbar bleiben:
Western: Er spielt im Nordamerika des ausgehenden 19. Jahrhunderts und thematisiert meist gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Farmern und Indianern bzw. Banditen und Gesetzeshütern. Besondere Spielarten sind der Indianerwestern, der Kavalleriewestern, sowie der Eurowestern, speziell der Italowestern. Als asiatisches Gegenstück kann der kampfsportorientierte Eastern gelten. Die Hochphase des Western war während des classical Hollywood zwischen 1930 und 1960.
Musical: Hier werden elementare Konflikte in Tanz und Gesang ausgespielt und choreographiert. Dabei können andere Genreelemente von Melodram über Western bis hin zum Gangsterfilm oder gar Horrorfilm verarbeitet werden. Die Hochphase des Musicals liegt in der Frühzeit des Tonfilms der 1930er Jahre.
Komödie: Komödien verbindet die Intention, den Zuschauer zu belustigen. Dabei können unterschiedlichste Schauplätze und Personenkonstellationen eine Rolle spielen, auch andere bekannte Genremuster verarbeitet werden. Besondere Spielarten sind die frühe Slapstick-Komödie, Parodien, Tragikomödien, Liebeskomödien und Teenie-Komödien. Die Komödie erfreut sich von Beginn der Filmgeschichte bis heute äußerster Beliebtheit.
Liebesfilm: Der Liebesfilm erzählt von einer großen Liebe zwischen den Protagonistinnen und Protagonisten, die über Irrwege und gegen Widrigkeiten zustande kommt. Elemente des Liebesfilms kommen auch in anderen Genres vor. Mit positiver Wendung und inszenatorischer Leichtigkeit spricht man von der Romanze, wenn Tragik und Fatalismus dominieren eher vom Melodram. Da es sich um ein sehr universales Motiv handelt, trifft man auf den Liebesfilm international und in allen Dekaden.
Abenteuerfilm: Vom großen und spektakulären Erleben, von spannender Aktion, aufregenden Reisen und monumentalen Konflikten erzählt der Abenteuerfilm. Zum historischen Abenteuer zählen der Antikfilm, der Mantel und Degen-Film, Piratenfilme, Ritterfilme und prähistorische Erzählungen. Zeitgenössische Varianten sind Schatzsucher, Entdecker- und exotische Actionfilme, aber auch Road Movies und Fantasyfilme. Während die Hochphase des historischen Abenteuers im classical Hollywood liegt, tritt der Abenteuerfilme heute meist gekreuzt mit Fantasy-Elementen auf.
Phantastischer Film: Filme mit übernatürlich und phantastischen Elementen sind vielfältig und lassen sich in Science Fiction, Horror und Fantasy unterteilen. Science Fiction behandeln positive oder negative Gesellschaftsutopien, technische Zukunftsspekulationen und epische Erzählungen vom intergalaktischen Konflikt. Berührungen zum Abenteuer, Kriegs-, Western- und Horrorfilm sind häufig. Neben der Hochphase in den 1950er Jahren (Invasionsfilme) ist der SF-Film seit dem Erfolg der Star Wars-Filme (1976ff.) ungebrochen. – Den Horrorfilm verbindet die Thematisierung der Urängste des Zuschauers. Die Begegnung mit dem Unheimlichen kann mit Archetypen wie Geistern, Monstern, künstlichen Menschen, Vampiren, Gestaltenwandlern oder lebenden Toten arbeiten, aber auch menschliche Destruktivität beschwören. Überschneidungen zum SF, Psychothriller- und Fantasyfilm sind häufig. Die kulturelle Universalie der Angsterzählung verschafft dem Horrorfilm konstante Popularität in vielen Kulturen und die gesamte Filmgeschichte hindurch. Der klassische Horrorfilm entstand in den 1930er Jahren, vom modernen spricht man seit 1968. – Der Fantasyfilm spiest sich aus internationalen Märchen, Legenden und Mythen und behandelt durchaus positiv staunend das Wunderbare. Während Märchenfilme eine konstante Universalie der Filmgeschichte sind, gab es um 1980 einen Boom heroischer Fantasy, der mit dem Erfolg der Lord of the Rings-Trilogie jüngst wieder auflebte.
Kriminalfilm: Abgeleitet von crimen (Verbrechen) behandeln Kriminalfilme Verbrehen und ihre Aufklärung. Dabei muss zwischen der Perspektive des Ermittlers im Polizeifilm und Detektivfilm und der des Täters im Gangsterfilm und Thriller unterschieden werden Speziell im Psychothriller kann auch der Blick des Verbrechensopfers wichtig werden. Die Kehrseite des Gangsterfilms ist mitunter der Gefängnisfilm. Weitere Spielarten des Thrillers, der seinen Namen vom Mittel der Spannungsdramaturgie erhielt, sind der Politthriller, der Erotikthriller und der Paranoiathriller. Da die Kriminalerzählung im weitesten Sinne in allen narrativen Medien eine Universalie ist, kann man auch hier von einer Konstanten die gesamte Filmgeschichte hindurch ausgehen.
Kriegsfilm: Als Kriegsfilm bezeichnet man Filme, die Kriegshandlungen seit dem frühen 20. Jahrhundert dramatisieren. Neben den entsprechenden historischen Kriegen unterscheidet man die ideologische Ausrichtung Antikriegsfilm bzw. Propagandafilm, sowie spezielle Perspektiven wie Söldnerfilm, combat movies, Kriegsabenteuer, Gefangenenlagerfilme und Kasernenhoffilme. Auch der Kriegsfilm taucht konstant in allen Kinematografien auf, denn er hat oft historisch relevantes zu erzählen.
Erotischer Film: Die Darstellung und Erzeugung sexuellen Begehrens im Zuschauer ist die Intention des erotischen Films. Dabei kann er psychologisch komplex vorgehen und sich dem Melodram annähern, oder explizit werden: Während der Sexfilm simulierten Sex zeigt, stellt der Hardcore- oder Pornofilm reale Sexakte filmisch dar. Sexualität ist seit Beginn des Mediums Film mehr oder weniger präsent, war jedoch oft Phasen der Zensur unterworfen. Eine Hochphase des Sexfilms gab es in den 1970er Jahren, während der pornographische Film den Heimmedienmarkt seit den 1980er Jahren erobert.
Kinder- und Jugendfilm: An der Zielgruppe richtet sich dieses eher schwer definierbare Genre aus, das sowohl Kindheit und Jugend als Sujet wie auch kindliche Themen umfasst. Oft werden jugendorientierte Animationsfilme hier ebenfalls hinzugerechnet, doch es hat sich als sinnvoller erwiesen, den Animationsfilm als eigene Gattung des Films, und nicht als Genre,. Zu behandeln.
Dazu kommen zahlreiche kleinere Phänomene, die Gruppierungen nach spezifischen einzelnen Merkmalen ermöglichen: Road Movie, Katastrophenfilm, aber auch stilistische Phänomene wie Film noir und Surrealismus werden mitunter als Genres diskutiert.
3. Transformationen
Der filmische Genrebegriff ging also ursprünglich mit den wirtschaftlich etablierten Produktionsformen einher und entsprach so weitgehend den Genres der Populärliteratur des 19. Jahrhunderts. Analog zum Begriff der Trivilalliteratur bezeichnete diese Kategoriebildung damit die Muster des trivialen Unterhaltungskinos, die sich nach Arnheim „das Publikum erzwingt“. Dabei durchlaufen alle Genres verschiedene Phasen, neue Varianten entstehen, andere vergehen, ständige Transformationen überprüfen die zeitgemäße Qualität der etablierten Strukturen. Dieses Modell kann man als biologistische Perspektive bezeichnen, die von einer Lebenslinie des Genres ausgeht. Um mit Hickethier zu sprechen: „Entstehung – Stabilisierung – Erschöpfung – Neubildung.“[ii]
Entstehung: Ein bestimmter Film bzw. eine Gruppe von Filmen erweist sich beim Publikum als äußerst effektiv und wird im Folgenden immer wieder kopiert, bis eine effektive Mischung von Sujet, Motiven und Archetypen gefunden ist, die sich reproduzieren lässt.
Stabilisierung: Diese erfolgreiche Gruppe von Filmen bringt immer neue Varianten heraus, die jedoch im Kern noch mit dem zugrundeliegenden Schema übereinstimmen. Darunter sind oft Filmreihen, deren serieller Charakter in dem kurzen Serialfolgen der frühen Tonfilmzeit seinen Ursprung nahm und sich bis ins Fernsehprogramm fortsetzte. Speziell in Deutschland findet man so Genremuster vor allem im Fernsehfilm und TV-Serien, weniger jedoch in Spielfilmen.
Erschöpfung: An einem gewissen Punkt hat sich das generische Muster für das Publikum abgenutzt. Produktionsfirmen suchen nach neuen Varianten, bis mangelnder Publikumszuspruch zu einem Versiegen dieser Bemühungen führt. Das Genre ist wirtschaftlich unattraktiv geworden und liegt brach.
Neubildung: Durch einen oder mehrere überraschende Erfolge wird dem versiegten Genre neue Aufmerksamkeit zuteil. Das kann an einer neuen Mischung liegen (Genresynkretismen), an aktualisierten Stilmitteln (etwa eine naturalistischere Inszenierung) oder an einem Retrophänomen im Sinne des Zeitgeistes.
Ein anschauliches Beispiel für dieses Modell liefert der immer wieder neu belebte Western, der im Laufe seiner Neubildungen eine erstaunliche Reife durchmachte. Die Kritik an diesem biologistischen Genremodell entzündet sich an dem Umstand, das Genres sich meist nicht nur in einem bestimmten kinematographischen Kontext entwickeln, sondern auch länderübergreifend florieren und vergehen – und das aus mitunter völlig unterschiedlichen Gründen. So formierte sich der Italowestern erst wenige Jahre nach dem Ende des klassischen Western und belebte seinerseits den US-Western durch seine neuen stilistischen Impulse, wodurch eine Neuformation des Genres im New Hollywood möglich wurde, die jedoch ebenso kurzlebig war wie der Erfolg der europäischen Variante. Im Hollywoodkino ist zu beobachten, wie in regelmäßigen Zyklen klassische Genremuster in aufwändigen Blockbustern recycled werden, um deren Marktgängigkeit immer wieder auszutesten. So kehrte der Western in den 1980er Jahren (Silverado, Pale Rider), in den 1990er Jahren (Dances With Wolves, Unforgiven) und nach der Jahrtausendwende (Wyatt Earp). Nicht alle diese Bemühungen führten zum erhofften Erfolg. Lediglich der klassische Piratenfilm feierte ein erstaunliches Comeback im Gestalt der Pirates of the Caribbean-Reihe, die jedoch streng genommen stargespicktes Fantasykino ist und keinerlei Kenntnis der Genremuster voraussetzt.
In den USA, wo sich früh ein konventionalisiertes Studiosystem etablierte, etablierten sich um 1930 – und somit die Einführung des Tonfilms – einigen Primärgenres, die zum einen sozialen Entwicklungen Rechnung trugen (Gangsterfilm), die Schauerphantastik ins Kino holten (Universal-Horrorfilme) sowie den größt möglichen Nutzen aus der Verwendung synchronen Tons zogen (Musicals, Revuefilme). Auch Western und Komödien waren fest etabliert. In Deutschland dagegen drehte man heimatorientierte Bergfilme statt Western und erschuf damit ein eigenständiges Genre, das rückblickend zwischen Abenteuerfilm und Heimatfilm anzusiedeln ist.
In jenen Jahren um 1930 unternahmen Filmjournalisten wie Siegfried Kracauer oder Rudolf Arnheim bereits erste Versuche, diese konfektionalisierte Filmproduktion zu reflektieren, und letztlich säten sie damit auch einen lange gehegten Vorbehalt gegen das Genrekino: nämlich unoriginell und trivial zu sein. „Das Publikum erzwingt sich die Filme, die es haben will,“ schreibt Arnheim in „Film als Kunst“. Und ebenfalls lässt sich bereits früh feststellen, dass eine deutliche Abgrenzung zwischen filmischen Gattungen und Filmgenres besteht. Gattungen bezeichnen die filmische Form: Spielfilm, Dokumentarfilm, Experimentalfilm, Kurzfilm, Kulturfilm, Lehrfilm, Animationsfilm, Propagandafilm und Industriefilm. Diese Gattungen unterscheiden sich bereits grundlegend in der Art des vorfilmischen Materials (real oder inszeniert), ihrer Intention (Unterhaltung oder Information) und natürlich ihrer Laufzeit und des Formates. Im Unterschied sind die Genredefinitionen erheblich inhaltlicher motiviert. Andere Gruppierungsmerkmale von Filmen wie Stumm- oder Tonfilm, Schwarzweiß- oder Farbfilm, 2D- oder 3D-Film bleiben technische Spezifikationen jenseits von Genre oder Gattung.
4. Filmgenres in Deutschland
Einen großangelegten Versuch, Filmgenres in Deutschland zu systematisieren, haben Georg Seeßlen und Bernhard Roloff in den 1970er Jahren begonnen. In einzelnen Themenbänden untersuchten sie die „Geschichte und Mythologie“ der Genres, und in dazugehörigen Enzyklopädien sollten jeweils Ergänzungsbände mit kommentierten Biografien und Stichworten erscheinen. Als die Reihe vom Rowolth-Verlag als Taschenbücher veröffentlicht wurde, etablierte sie sich schnell als deutschsprachiger Standard. Später wurden die vorliegenden Bände von Seeßlen und Fernand Jung aktualisiert, mitunter massiv erweitert und im Marburger Schüren-Verlag erneut herausgegeben. Dabei wuchsen vor allem die phantastischen Genres (Science Fiction und Horror) zu umfangreichen Werken an, die auch kleinste Randphänomene berücksichtigten. Speziell zum phantastischen Film sind zahlreiche Publikationen erschienen, etwa Rolf Giesens launige Bestandsaufnahme des Genres „Der phantastische Film“ (München 1983) oder Ronald M. Hahns und Volker Jansens Horror und Science-Fiction-Film-Lexika, doch sind diese Bücher meist von einer Cineasten-orientierten Pragmatik geprägt, die Theoriebildung weitgehend ausschließt.
In den späten 1990er Jahren initiierte schließlich Thomas Koebner an der Universität Mainz ein großangelegtes Genreprojekt für den Reclam-Verlag, das in bislang immerhin 11 Bänden resultierte, wobei streitbare Konzepte wie Film Noir einzeln gewürdigt werden, während den Kriminalfilmgenres Gangsterfilm, Polizeifilm, Detektivfilm und Thriller in nur einem Band zusammengepfercht werden.
Dennoch kann man von einem wachsenden Genrebewusstsein in Deutschland sprechen. Obwohl Knut Hickethier immer wieder betont, das die klassischen Genremuster sehr bald in Fernsehproduktionen aufgingen und im Kino vor allem Hybride und Synkretismen vorherrschen, kann man in den letzten Jahren einen Anstieg der genrebewussten Filmproduktion erkennen. So etablierte sich neben der konstant präsenten deutschen Komödie vor allem der Kriminalfilm und Thriller: Filme wie Anatomie 1 und 2, Antikörper, Tattoo und aktuell gerade Die Tür können neben internationalen Produktionen überzeugen. Auch im österreichischen Kino hat man hat man sich erlaubt, mit den hervorragenden Teenie-Slasher-Filmen In drei Tagen bist Du tot 1 und 2 an die internationale Erfolgswelle des harten Horrorfilms anzuknüpfen. Und mit den Wolf Hass-Verfilmungen um Ermittler Brenner hat man den heimatlichen Kriminalfilm neu erschlossen. Von positivem Effekt auf dieses Genrebewusstsein ist vermutlich auch die momentan starke Präsenz internationaler Produktionen in deutschen Studios (Quentin Tarantinos Inglorious Basterds, die Bourne-Trilogie) sowie die Aktivität deutscher Filmemacher wie Tom Tykwer auf diesem Sektor (The International). Der Erfolg dieser Filme hat gezeigt, dass vor allem beim großen Publikum das Genrebewusstsein ungebrochen ist – und dass die klassischen Muster im modernen Gewand noch immer funktionieren.
Text: Marcus Stiglegger
Literatur
Rick Altman: Film/Genre. London 2000
Rudolf Arnheim: Film als Kunst, München 1974
Liz-Anne Bawden (Hg.): Buchers Enzyklopädie des Films. München 1989
Jürgen Felix (Hg.): Moderne Filmtheorien, Mainz 2002
Barry Keith Grant (Hg.): Film Genre Reader III. Austin 2003
Knut Hickethier: Genretheorie und Genreanalyse. In: Jürgen Felix (Hg.): Moderne Filmtheorien, Mainz 2002, S. S. 62-96
Thomas Koebner (Hg.): Reclams Sachlexikon des Films. Ditzingen 2002
Stephen Neale: Genre, London 1980
Rainer Rother (Hg.): Sachlexikon Film. Reinbek bei Hamburg 1997
Jörg Schweinitz: „Genre“ und lebendiges Genrebewusstsein – in Montage AV 3, 1994, Heft 2
Andrew Tudor: Film-Theorien, Frankfurt 1977
[i] Knut Hickethier: Genretheorie und Genreanalyse. In: Jürgen Felix (Hg.): Moderne Filmtheorien, Mainz 2002, S. S. 62-96
[ii] Hickethier 2002, S. 71
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